Praxisfälle

Fallstrick Scheinselbstständigkeit: Freelancer oder Arbeitnehmer?

Durch die kürzlich gefällten Entscheide zum Fahrdienst «Uber» ist die Problematik um das Thema «Freelancer» wieder mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Diverse Gerichte haben entschieden, dass die vermeintlich selbstständigen Uber-Fahrer beitragsrechtlich als unselbstständig Erwerbende qualifizieren und in einem Arbeitsverhältnis zu «Uber» stehen.

Von: Sara Ledergerber, André Lerch   Teilen  

Sara Ledergerber

Sara Ledergerber ist Fachanwältin SVA für Arbeitsrecht. Sie berät Arbeitgeber sowie Mitarbeitende in allen Belangen des privaten und des öffentlichen Arbeitsrechts. Auf Anfrage führt Frau Ledergerber auch betriebsinterne Schulungen zu arbeitsrechtlichen Themen durch.

André Lerch

André Lerch ist Fachanwalt SVA für Arbeitsrecht. Er berät Arbeitgeber sowie Mitarbeitende in allen Belangen des privaten und des öffentlichen Arbeitsrechts. Auf Anfrage führt Herr Lerch auch betriebsinterne Schulungen zu arbeitsrechtlichen Themen durch.

Fallstrick Scheinselbstständigkeit

Was sind Freelancer?
Vorab zur Terminologie: «Freelancer» und «freie Mitarbeiter» sind keine gesetzlich geregelten Begriffe. Darunter werden Personen verstanden, welche sich persönlich verpflichtet haben, für ein Unternehmen Dienstleistungen zu erbringen, ohne jedoch bei diesem Unternehmen als Arbeitnehmende angestellt zu sein. In der Praxis häufig anzutreffen sind solche Konstellationen bei Ärzten, IT-Beratern, Interim-Managern, Chauffeuren und Journalisten. Entsprechende Verträge werden oft als «Auftrag» oder «Zusammenarbeitsvertrag» bezeichnet, was die beabsichtigte juristische Qualifikation als Auftrag oder einfache Gesellschaft verdeutlichen soll. Problematisch an solchen Vertragsbeziehungen kann sein, dass den «beauftragten» Personen der durch das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht angestrebte Sozialschutz entgeht, obwohl sich ein solcher Schutz aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses rechtfertigen würde.

Risiken bei der Beschäftigung von Freelancern
Freelancer, die für ein Unternehmen Dienstleistungen erbringen, erhalten in der Regel ein höheres Entgelt als Arbeitnehmende. Dafür kommen Freelancer nicht in den Genuss von bezahlten Ferien, Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Unfall, Zulagen bei Nacht- und Sonntagsarbeit, berufliche Vorsorge etc. Stellt sich nun aber nachträglich heraus, dass ein Freelancer als Arbeitnehmender qualifiziert, kann er arbeitsrechtliche Forderungen gegenüber dem Unternehmen geltend machen. Einzelne Forderungspositionen können ein Unternehmen teuer zu stehen kommen; beispielsweise dann, wenn der vermeintliche Freelancer plötzlich rückwirkend den Ferienlohn für die letzten fünf Jahre einfordert.

Wer in seinem Unternehmen Freelancer ohne Arbeitsvertrag beschäftigt, ist daher gut beraten, eingehend zu prüfen, ob diese Mitarbeitenden sozialversicherungsrechtlich tatsächlich als Selbstständigerwerbende qualifizieren und aus zivilrechtlicher Sicht nicht doch ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

Wie unterscheidet man Freelancer von Arbeitnehmenden?
Grundsätzlich irrelevant ist die Bezeichnung des Vertrags, denn die rechtliche Qualifikation eines Vertragsverhältnisses ist dem Parteiwillen entzogen. Es nützt also wenig, wenn man ein faktisches Arbeitsverhältnis als «Auftrag» betitelt. Die Gerichte stellen zur Unterscheidung auf eine Reihe von Kriterien ab, wobei stets eine Gesamtwürdigung bezogen auf den konkreten Einzelfall vorzunehmen ist. Oft liegen gleichzeitig Merkmale vor, die sowohl für als auch gegen ein Arbeitsverhältnis sprechen. Entscheidend ist in einem solchen Fall, welche Merkmale überwiegen.

Ein Arbeitsverhältnis liegt insbesondere dann vor, wenn der Mitarbeitende in die fremde Arbeitsorganisation eingegliedert wird und Weisungen bezüglich der Arbeitsausführung erhält. Zur Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation gehört in der Regel, dass die Arbeitsleistung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht umschrieben wird, wobei letzteres Kriterium infolge der nun verbreitet eingeführten Möglichkeit von Homeoffice wohl an Bedeutung verlieren wird.

Für einen Arbeitsvertrag ist weiter typisch, dass der Arbeitgeber die Arbeitsmaterialien zur Verfügung stellt und dem Arbeitnehmenden dessen Auslagen vergütet. Auch die Gewährung von Ferien deutet auf ein Arbeitsverhältnis hin, ebenso wie eine fixe oder periodische Vergütung. Dabei muss es sich nicht zwingend um einen Zeitlohn handeln; auch ein Leistungslohn bzw. eine Erfolgsvergütung kommen infrage. Weiteres Merkmal eines Arbeitsvertrags ist das Tragen des Unternehmerrisikos durch den Arbeitgeber. Sodann spricht die wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmenden für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, ebenso wie eine Verpflichtung, das Unternehmen nicht zu konkurrenzieren.

In der Regel stimmt die zivilrechtliche Einstufung als Arbeitsverhältnis mit der sozialversicherungsrechtlichen Einstufung als unselbstständige Erwerbstätigkeit überein und vice versa, d.h., bei Vorliegen einer selbstständigen Erwerbstätigkeit liegt in aller Regel auch kein Arbeitsverhältnis vor. Diese Gleichung ist jedoch nicht zwingend. Hat ein Zivilgericht zu klären, ob eine Zusammenarbeit als Arbeitsvertrag qualifiziert, so ist dafür die beitragsrechtliche Ausgangslage nicht alleine ausschlaggebend; sie dient lediglich als Indiz. Dass die beitragsrechtliche Ausgangslage von der zivilrechtlichen Qualifikation abweichen kann, zeigt auf, wie komplex, unklar und deshalb risikoreich die Handhabung des freien Mitarbeiterstatus im Einzelfall sein kann.

Umgang mit Freelancern
Um bezüglich der beitragsrechtlichen Ausgangslage Sicherheit zu erlangen, ist es möglich, bei der zuständigen Ausgleichskasse ein sogenanntes «Ruling», d.h. eine verbindliche schriftliche Beurteilung, einzuholen, bei welchem die Ausgleichskasse den Sachverhalt prüft und im konkreten Einzelfall entscheidet, ob eine selbstständige oder unselbstständige Tätigkeit vorliegt.

Die Möglichkeit eines verbindlichen «Ruling» besteht zur Frage, ob eine Zusammenarbeit zivilrechtlich als Arbeitsvertrag qualifiziert, leider nicht. Hier gilt es, anhand der oben ausgeführten Kriterien abzuwägen. Im Zweifel raten die Autoren zum Abschluss eines Arbeitsvertrags, sofern die Kandidatin oder der Kandidat dazu überhaupt bereit ist. Nicht selten sträuben sich namentlich hoch qualifizierte und gutverdienende Arbeitskräfte dagegen, sich anstellen zu lassen, obwohl die Umstände der Zusammenarbeit klar auf ein Arbeitsverhältnis hindeuten. Kann auf die Zusammenarbeit mit solchen Fachkräften nicht verzichtet werden, sollte zumindest gut dokumentiert werden, dass ein Arbeitsvertrag angeboten, jedoch von der Fachkraft abgelehnt wurde. Die nachträgliche Einforderung arbeitsrechtlicher Ansprüche könnte in einem solchen Fall allenfalls mit der Einrede des Rechtsmissbrauchs abgewehrt werden. Nicht selten verfügen solche gut qualifizierten Fachkräfte über eine eigene Gesellschaft, deren Eigentümer sie selbst sind. Ist dies der Fall, ist es insbesondere im Hinblick auf sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen ratsam, mit solchen Fachpersonen keine direkten Verträge abzuschliessen, sondern mit deren Gesellschaft. Sodann kann es sich unter Umständen anbieten, den Zusammenarbeitsvertrag als Werk vertrag – nicht als Auftrag – zu strukturieren, und zwar namentlich dann, wenn die vom Freelancer erbrachte Leistung die Realisierung eines angestrebten Erfolgs beinhaltet, beispielsweise die massgeschneiderte Ausfertigung einer Softwareapplikation. Dabei ist gleichzeitig zu empfehlen, die Vergütung nicht periodisch, sondern nach Erreichen vertraglich definierter «Mile stones» auszurichten.

Pro Arbeitsvertrag sprechen:

  • Weisungsgebundenheit betreffend Arbeitsausführung
  • Vorgaben betreffend Arbeitsort/-zeit
  • Zurverfügungstellung von Arbeitsgeräten/-kleidern
  • Gewährung von Ferien
  • Wirtschaftliche Abhängigkeit
  • Kein Unternehmerrisiko
  • Regelmässiges Entgelt
  • Beitragsrechtliche Einstufung als unselbstständig erwerbend
  • Konkurrenzverbot

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Mai 2022 von personalSCHWEIZ erschienen.

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