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Praxisfälle
Einfluss auf Arbeitsleistung und Verhalten von Mitarbeitenden: Sucht am Arbeitsplatz
Was gilt als Sucht?
Die Sucht hat viele Gesichter. Menschen unterschiedlichen Alters und aus allen sozialen Schichten können davon betroffen sein. Entscheidend für die Sucht ist ein eigendynamisches und zwanghaftes Verhalten.
Es wird unterschieden zwischen der substanzgebundenen Sucht:
- Genuss- und Suchtmittel (Nikotin, Alkohol)
- illegale Drogen (Cannabis, Kokain, Ecstasy, Heroin etc.)
- Medikamente (Schlafmittel, Beruhigungsmittel etc.)
- weitere Substanzen (Lösungsmittel, Lachgas etc.)
und den substanzungebundenen Suchtarten:
- Glücks- und Geldspiele – anerkannt als suchtartige Störung
- Videospiele (Gambling, Gaming) – anerkannt als suchtartige Störung
- Sexualverhalten und Kaufverhalten – Störung der Impulskontrolle (nahe an Suchtverhalten)
- Soziale Medien und Internet – noch keine Anerkennung als suchtartige Störung
Während die Einnahme von psychoaktiven Substanzen die psychischen Funktionen (Wahrnehmung, Bewusstsein, Emotion etc.) beeinflusst, spricht man bei der substanzungebundenen Sucht von Verhaltenssucht. Beides kann sich auf die Arbeitsleistung, das Arbeitsklima und die Sicherheit auswirken.
Was gilt rechtlich?
Insbesondere der Konsum von psychoaktiven Substanzen wie Alkohol, Kokain und anderer Drogen am Arbeitsplatz kann die Arbeitssicherheit gefährden und die Gesundheit schädigen. Arbeitgebende sind gestützt auf ihre Fürsorgepflicht (Art. 328 OR und Art. 6 ArG) sowie Art. 82 UVG gehalten, die notwendigen Massnahmen zur Verhütung von Berufsunfällen zu treffen und die Belegschaft oder deren Vertretung über alle Fragen, welche den Gesundheitsschutz betreffen, anzuhören. Gestützt auf die VO 3 zum Arbeitsgesetz können Arbeitgebende den Genuss alkoholischer Getränke einschränken oder verbieten. Arbeitgebenden obliegt zudem eine Informations- und Kontrollpflicht hinsichtlich der getroffenen Schutzmassnahmen.
Mitarbeitende haben eine arbeitsvertragliche Sorgfalts- und Treuepflicht sowie gestützt auf Art. 11 der Verordnung über die Unfallverhütung die Pflicht, sich nicht in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich selbst oder andere gefährden. Dies gilt auch für den Konsum von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln.
Bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoss gegen die Gesundheitsbestimmungen machen sich Arbeitgebende und Arbeitnehmende strafbar (Art. 59 und 60 ArG; Art. 112 UVG). Führt das Suchtproblem gar zu einem Schaden von anderen Mitarbeitenden resp. Drittpersonen, können sowohl Arbeitgebende (Art. 55/97 OR) als auch die handelnden Arbeitnehmenden (Art. 41/321e OR) haftbar gemacht werden.
Handlungspflicht und Vorgehen
Erscheint eine Person in einem Zustand zur Arbeit, der zumindest den Verdacht weckt, dass sie berauscht oder nicht voll handlungsfähig ist, muss der/die Vorgesetzte gemäss Suva einschreiten und abklären, ob die Arbeit ohne erhöhte Gefährdung erledigt werden kann. Ist unklar, ob die Person arbeitsfähig ist, ist sie nach Hause zu schicken oder an einen ungefährlichen Arbeitsplatz zu versetzen.
Spätestens nach dem zweiten Vorfall dieser Art empfiehlt sich eine schriftliche Verwarnung sowie ein protokolliertes Personalgespräch über die allfällige Suchtproblematik und deren Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis.
Achtung: Blut- oder Urinproben stellen einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeitenden dar. Solche Alkohol- und Drogentests können nur unter der Voraussetzung durchgeführt werden, dass die betroffene Person ihr Einverständnis erklärt und ein überwiegendes Sicherheitsinteresse vorliegt. Unter diesen strikten Voraussetzungen können auch Drogentests vor der Einstellung durchgeführt werden, und zwar auch für Lehrlinge.
Lohnanspruch bei Abwesenheit
Das Gesetz sieht eine Lohnfortzahlungspflicht nur vor, wenn die Verhinderung an der Arbeitsleistung nicht selbst verschuldet ist (Art. 324a OR). In der Rechtsprechung wurde ein Verschulden bei Trunkenheit bejaht. Allerdings geht man im Falle einer Sucht von einer Krankheit aus, wenn sich das fachärztlich diagnostizierte Abhängigkeitssyndrom auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt. Dies hat das Bundesgericht jüngst in einem IV-Fall so entschieden. Daher kommen im Falle einer diagnostizierten Sucht die Bestimmungen der vertraglichen oder gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit zum Zuge. Zu beachten gilt, dass einzelne Krankentaggeldversicherungen Suchtkrankheiten und insbesondere generell Vorerkrankungen von der Deckung ausschliessen. Über solche Ausschlüsse sind die Mitarbeitenden zwingend zu informieren. Als selbst verschuldet gilt die Arbeitsverhinderung dann, wenn sich die betroffene Person einer Behandlung verweigert.
Kündigungen als Folge der Sucht
Fristlos: Drogenkonsum allein rechtfertigte gemäss Rechtsprechung keine fristlose Kündigung, wenn der Konsum weder die Arbeitsleistung noch das Klima negativ beeinflusst. Bei regelmässiger Trunkenheit am Arbeitsplatz, die dazu führte, dass der Arbeitnehmer nach Hause geschickt werden musste, war die fristlose Kündigung zulässig. Erforderlich ist meistens eine vorgängige Verwarnung mit Androhung der fristlosen Kündigung im Wiederholungsfall.
Ordentlich: Auch eine ordentliche Kündigung ist nicht uneingeschränkt möglich, da das Suchtverhalten als Krankheit angesehen wird. Arbeitnehmende, die aufgrund einer Sucht arbeitsunfähig sind, kommen deshalb in den Genuss der Kündigungssperrfristen gemäss Art. 336c OR.
Wirkt sich das Suchtverhalten auf die Arbeitsleistung, die Arbeitssicherheit oder das Verhalten bei der Arbeit aus, ist eine Kündigung nicht missbräuchlich.
Datenschutz
Informationen zur Sucht einer/eines Mitarbeitenden sind wie andere Gesundheitsdaten besonders schützenswerte Personendaten. Arbeitgebende haben auch nach der Durchführung von Drogentests keinen Anspruch auf detaillierte medizinische Angaben, sondern lediglich darauf, ob (i) ein Suchtverhalten vorliegt, welches als Krankheit einzustufen ist, und (ii) ob diese Sucht geeignet ist, Leistung oder Verhalten am spezifischen Arbeitsplatz einzuschränken oder die Arbeitssicherheit zu gefährden.
Arbeitszeugnis
Das Arbeitszeugnis hat sich auf die erbrachte Arbeitsleistung und das Verhalten zu beschränken. Wenn das Arbeitsverhältnis allerdings aufgrund eines suchtbedingten Sicherheitsrisikos aufgelöst werden musste, ist ein entsprechender Hinweis angezeigt.
INFOBX: Präventive Massnahmen
- Verbot von Konsum und Handel mit Suchtmitteln (inkl. Alkohol) am Arbeitsplatz (inkl. Konsum vor Arbeitsbeginn)
- Nutzungsreglement für Internet und Telefon
- Technische Sicherheitsvorkehrungen
- Androhung von Konsequenzen bei Verstoss
- Schulungen und Kontrollen
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juni 2023 von personalSCHWEIZ erschienen.
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