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Experten-Interviews
Social Recruiting, Employer Branding & Retention: «Menschen wollen mit Menschen sprechen»

David Gisler, welche sind aktuell die drei grössten Herausforderungen, mit denen Sie bei der Personalgewinnung konfrontiert sind?
Der Fachkräftemangel hat sich zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel entwickelt. Für People Attraction ergeben sich dadurch folgende Herausforderungen: Erstens hat sich die Rolle des Recruiters fundamental gewandelt – vom Selektionsspezialisten zum multidimensionalen Talent-Partner. Moderne Recruiter müssen gleichzeitig empathische Beziehungsmanager sein, aber auch versierte Technologieexperten, die KI-Tools souverän beherrschen. Zweitens sind die Anforderungen an eine optimale Candidate Journey gestiegen. Die Bewerber erwarten zu Recht einen Top-Service und schnelle Prozesse. Und drittens ist der Einsatz von Technologie und Datenanalyse unabdingbar geworden.
Welche Rolle spielt Social Recruiting in der Talentgewinnungsstrategie von Siemens? Auf welchen Kanälen sind Sie mit Ihrem Unternehmen präsent?
Social Recruiting ist ein wichtiger Teil unserer Talentsuche und bietet entscheidende Vorteile. Besonders wertvoll ist dabei der Zugang zur grössten Gruppe im Arbeitsmarkt: den passiven Kandidaten. Diese Arbeitskräfte sind zwar nicht aktiv auf Jobsuche, aber durchaus offen für neue Möglichkeiten.
Durch unsere gezielte Präsenz auf sozialen Plattformen erreichen wir diese Talente direkt in ihrem digitalen Alltag, ohne dass sie aktiv auf Jobportalen nach Stellen suchen müssen. Ausserdem ermöglicht uns Social Media, die Siemens-Kultur und unsere Unternehmenswerte auf authentische Weise zu vermitteln. Organische Inhalte publizieren wir als Siemens Schweiz hauptsächlich über LinkedIn, Facebook, Instagram und YouTube. Bezahlte Kampagnen spielen wir auf Snapchat, TikTok und Reddit aus.
Welche Social-Media-Plattformen sind in puncto Recruiting besonders erfolgversprechend?
Welche Plattform wir wählen, hängt stark von der Berufsgruppe und unserem Ziel ab. LinkedIn hat sich als klassisches Business- Netzwerk für die Ansprache von Professionals etabliert, weil den Recruitern viele spezialisierte Such- und Kontaktfunktionen geboten werden. Jedoch nutzen diese Plattform mittlerweile zahlreiche Unternehmen intensiv für ihre Recruiting- Zwecke, was es schwieriger macht, sich abzuheben. Deshalb setzen wir ergänzend auf Instagram und Facebook für berufstätige Zielgruppen, wo der Umgangston etwas lockerer ist. Um junge Talente und Berufseinsteiger zu erreichen, sind TikTok, Snapchat und Reddit ideal, da diese Plattformen bei ihnen sehr beliebt sind.
Sie haben die Direktansprache von Talenten via Social Media erwähnt. Was ist dabei besonders wichtig?
Die pauschale Massenansprache ist der schnellste Weg zum Scheitern. Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der Masse der Kontakte, sondern in der Qualität der Ansprache. Darum schauen wir uns immer zuerst das Profil, die Karriere und die Interessen der Person genau an, bevor wir sie kontaktieren. Dies ermöglicht eine individuelle Ansprache. Je nach Zielgruppe kombinieren wir verschiedene Kanäle – Social Media für die Erstansprache, personalisierte E-Mails oder Landingpages für detailliertere Informationen und Telefonate oder virtuelle Meetings für tiefergehende Gespräche.
Sie rekrutieren ganz unterschiedliche Jobprofile, vom Servicetechniker bis zur Ingenieurin. Wie reagieren diese auf eine Direktansprache via Social- Media-Kanal?
Wenn man jemanden genau nach seinen Bedürfnissen und Erwartungen anspricht, wird das durchwegs positiv wahrgenommen. Wichtig ist, so wie die Zielgruppe zu sprechen und auf Unternehmensfloskeln und Marketingsprache zu verzichten. Menschen wollen mit Menschen sprechen, nicht mit Unternehmensbotschaften. Bei Siemens kommunizieren wir transparent und authentisch. Das stärkt das Vertrauen in uns als Arbeitgeber, und die Leute sind viel eher bereit, mit uns zu interagieren.
Was sind Ihre Dos und Don’ts beim Active Sourcing – unabhängig vom gesuchten Profil?
Beim Active Sourcing nutzen wir Empfehlungen oder gemeinsame Kontakte wo immer möglich als vertrauensvollen Einstieg. Wir kommunizieren klar, warum genau eine Person angesprochen wird, und zeigen den spezifischen Nutzen. Dabei betonen wir Entwicklungsmöglichkeiten, spannende Projektinhalte und den Impact der Position. Ehrlichkeit ist dabei entscheidend: Wir präsentieren die Position realistisch und gehen auf Bedenken ein. Vertrauen ist unsere wichtigste Währung im Active Sourcing – wir verstehen den Prozess als Dialog zwischen gleichwertigen Partnern, nicht als einseitige Rekrutierungsmassnahme.
Unvorbereitet in Gespräche zu gehen, ist ein grosser Fehler. Recruiter*innen müssen die Position und das Umfeld genau kennen, denn fehlendes Wissen zerstört schnell Vertrauen. Falsche Versprechen sind ebenso kritisch. Wir kommunizieren beim Gehalt nur, was tatsächlich möglich ist, zeigen realistische Entwicklungsmöglichkeiten auf und sprechen ehrlich über Herausforderungen.
Erfolg im Active Sourcing basiert auf Glaubwürdigkeit – ein gebrochenes Versprechen kann eine erfolgreiche Beziehungsarbeit sofort zunichtemachen. Schliesslich achten wir auf eine kontinuierliche Kommunikation mit schnellen Antworten und regelmässigen Updates zum Prozess und Wertschätzung auch bei Absagen. Jede Kandidatin und jeder Kandidat ist ein*e potenzielle*r Markenbotschafter* in, unabhängig vom Ausgang des Gesprächs.
Welche Tipps haben Sie für die Rekrutierung von «schwierigen» resp. seltenen Profilen?
Mit Market-Mapping und Talent Intelligence setzen wir auf die systematische Identifikation potenzieller Kandidaten im Markt. Mithilfe von Kompetenzcluster- Analysen schauen wir in alternativen Branchen nach passenden Fähigkeiten. Bei schwierigen Rollen setzen wir auf Skills statt Titel und bewerten Kompetenzen und Potenzial.
Wir bauen Talent-Pipelines für Schlüsseltechnologien auf, um früh Beziehungen zu Spezialistinnen und Spezialisten zu knüpfen. Unsere Reputation in Fach- Communities stärken wir mit Thought Leadership, sprich durch Artikel, White Papers und Referate. Zudem nutzen wir kreative Sourcing-Kanäle, indem wir auf Plattformen wie GitHub präsent sind und bei Konferenzen netzwerken. Innovative Methoden wie Hackathons oder die In- Cube Challenges helfen, Talente praxisnah zu identifizieren und zu begeistern.
Parallel fördern wir intern Talente mit Upskilling- Programmen und Jobrotation. Frühe Bindung geht über Engagement an Hochschulen – unsere Siemens Student Association mit über 200 Studierenden ist unsere Zukunftsinvestition. Zudem öffnen Partnerschaften mit Start-ups neue Talentpools, etwa durch unser Sponsoring von Jungunternehmerpreisen.
Ein abschliessender Tipp: Aktivieren Sie die Netzwerke der eigenen Mitarbeiter über Referral-Programme!
ZUR PERSON
David Gisler (44) studierte Soziologe und Wirtschaftspyschologie und hat über 20 Jahre Erfahrung in People Attraction. Seit 11 Jahren ist er bei Siemens Schweiz AG, aktuell als Head of Talent Acquisition für die Regionalgesellschaft und das Smart Infrastructure Global Headquarters. Er begeistert sich für technologische Innovationen und schloss seine letzte Weiterbildung mit einem EMBA in Digital Transformation ab. Privat engagiert sich der zweifache Familienvater ehrenamtlich bei der Feuerwehr und liebt es, im Team Einsätze zu bewältigen und sein Wissen als Feuerwehrinstruktor weiterzugeben.
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