Stefan Kellenberger, Sie sind Head of Talent Management & Engagement bei Lidl Schweiz. Was haben Sie zuletzt selbst gelernt – und wie haben Sie es gelernt?
Eigentlich etwas ganz Einfaches, jeden Tag dankbar zu sein und nicht immer alles zu ernst zu nehmen. Das wurde mir auf meiner letzten Reise durch Andalusien und Marokko bewusst. Wir sind in der Schweiz privilegiert, alles zu haben, was wir brauchen, jeden Tag das tun zu können, was wir wollen, und zu allem hin auch noch fit und gesund zu sein. Es gibt, unter anderem auch im beruflichen Kontext, gefühlt jeden Tag neue Probleme und Herausforderungen, die aber in Wirklichkeit nicht so gross sind, wie sie manchmal gemacht werden, vor allem wenn man dies mit den wirklichen Problemen wie Hunger oder mangelnder Bildung vergleicht.

Welche Entwicklungen in der Arbeitswelt fordern Sie als Learning-Verantwortlichen derzeit am stärksten heraus?
Auch bei Lidl Schweiz stehen wir vor der Herausforderung, genügend neue Mitarbeitende zu finden und diese dann nachhaltig und langfristig an das Unternehmen zu binden. Deshalb sind wir im Learning gefordert, neue Mitarbeitende optimal an Bord zu holen und zu befähigen. Dabei dürfen wir aber die bestehenden Mitarbeitenden nicht vergessen, denn auch diese sollen sich wohlfühlen und ihre Arbeit optimal ausführen können.

Wie sieht die grundlegende Strategie Ihres Unternehmens in Bezug auf Lernen und Weiterbildung aus?
Aktuell haben wir zwei Fokusthemen in diesem Bereich definiert. Zum einen wollen wir das Thema Berufsbildung nachhaltig ausbauen und mittelfristig die Anzahl der Lernenden in allen Sprachregionen erhöhen. Unsere Lernenden sind unsere Führungskräfte von morgen. Getreu nach unserem Motto vom Lernenden zur Geschäftsführung. 

Zum anderen setzen wir den Fokus auf die interne Entwicklung neuer Führungskräfte. Mit unserem jährlichen Talentmanagementprozess, der einen Entwicklungsdialog, einen individuellen Entwicklungsplan mit passenden Massnahmen sowie ein Zwischengespräch umfasst, setzen wir gezielt auf eine vorausschauende und zukunftsgerichtete Entwicklungsplanung. Unsere Leadership Academy, welche die gesamte Kaderentwicklung in unserem Unternehmen abbildet, zielt auf die Befähigung der Führungskräfte aus den eigenen Reihen ab.

Gibt es bei Ihnen im Detailhandel besondere Hürden oder Chancen in der Kompetenzentwicklung?
Ich denke, die grösste Chance bei uns ist, dass man mit Willen und Biss alles erreichen kann. So haben wir diverse Beispiele von Mitarbeitenden, die beispielsweise als Aushilfe angefangen haben und sich daraufhin bis zur Regionalleitung mit einer Verantwortung für fünf Filialen und weit über 100 Mitarbeitenden hochgearbeitet haben. Frei nach dem Motto «the sky is the limit».

Welche Kompetenzen stehen bei Ihnen generell im Fokus?
Unsere Unternehmenskultur basiert auf den Werten Respekt, Verbundenheit, Leistung, Vertrauen und Bodenständigkeit – diese bilden das Fundament. Darauf aufbauend fördern wir gezielt vier Kompetenzbereiche: Methoden-, Sozial-, persönliche und Führungskompetenz sowie zahlreiche Teilkompetenzen. Entscheidend ist, dass sich alle unsere Entwicklungsprozesse daran ausrichten – sei es im jährlichen Entwicklungsgespräch, im Weiterbildungsangebot der Leadership Academy oder in anderen gezielten Massnahmen.

Und welche sind typisch für bestimmte Berufsgruppen in Ihrem Unternehmen?
Unsere Hauptberufsgruppen gliedern sich im Wesentlichen in Vertrieb (Verkauf), Betrieb (Logistik) und Dienstleistung (Zentrale). Je nach Position und Aufgabengebiet sind die Kompetenzen natürlich unterschiedlich. Allen gemeinsam ist jedoch der Fokus auf Zusammenarbeit, Kommunikation und Kooperation. Sowohl im Management als auch bei unseren Mitarbeitenden setzen wir auf den gemeinsamen Erfolg und das #teamlidl.

Inwieweit werden sich die benötigten Kompetenzen in den nächsten fünf bis zehn Jahren verändern?
Ich denke, dass sich in den Bereichen Vertrieb und Logistik weniger ändern wird als bei den Arbeitsplätzen in der Zentrale. Nichtsdestotrotz schreitet die Digitalisierung weiter voran, was bedeutet, dass die Anpassungsfähigkeit jedes Einzelnen gefragt ist, wenn ein Job morgen nicht mehr so aussieht wie heute.

Das Beruhigende: Auch in Zukunft werden die Menschen ihre Grundbedürfnisse im stationären Detailhandel decken – bei uns wahrscheinlich sogar noch mehr als heute.

Lebenslanges Lernen wird zur Normalität. Wie gelingt es, bei Mitarbeitenden das Verständnis dafür zu verankern oder, besser noch, sie dafür zu begeistern?
In unserer Lidl-DNA ist sowohl die Ambition, jeden Tag besser zu werden, als auch eine grundsätzliche Veränderungsdynamik stark verankert. So ist es für unsere Mitarbeitenden nichts Besonderes, wenn morgen etwas anders ist als gestern. Durch diese Dynamik und den Willen zur Veränderung sind wir sehr anpassungsfähig und können auf neue Herausforderungen schneller als andere reagieren.

Sehr wichtig ist auf jeden Fall, die Mitarbeitenden immer von Neuem abzuholen und zu erklären, wieso wir Themen umsetzen. So erlebe ich das Thema Sinnstiftung und «what’s in it for me» immer öfter. Wir sind als Organisation und im Speziellen im HR stark gefordert, diese Botschaften entsprechend zu platzieren und unsere Mitarbeitenden immer wieder aufs Neue zu begeistern.

Wie kann ein lernfreundliches Umfeld im Arbeitsalltag geschaffen werden?
Das Thema Zeit spielt hier definitiv eine zentrale Rolle. Ohne die nötige Zeit kann auch nicht gelernt werden. So planen wir eben diese Zeit wenn immer möglich mit genügend Vorlauf in unsere Prozesse mit ein, damit sich unsere Mitarbeitenden auch mit den nötigen Themen beschäftigen können. Zum anderen gehört die Art des Lernens dazu. Ob digital via E-Learning, im Selbststudium, on the Job oder in einem Seminar, die Mischung macht es aus. Wichtig ist dabei, dass die nötigen Informationen zur richtigen Zeit vermittelt werden und auch zugänglich sind.

Wie gelingt es, die Personalentwicklung stärker auf einzelne Mitarbeitende zuzuschneiden?
Grundsätzlich besteht die Herausforderung immer darin, die richtige Entwicklung zur richtigen Zeit für die richtigen Mitarbeitenden zu gewährleisten. Als Smart Discounter setzt Lidl Schweiz auf einfache und effiziente Prozesse in den Filialen und Verteilzentren sowie am Hauptsitz. Standardisierte Prozesse können jedoch einer individuellen Personalentwicklung gegenüberstehen. Genau hier sehe ich die Verantwortung bei den einzelnen Führungskräften. Sie können in der direkten Betreuung mit unserer Unterstützung ihre Mitarbeitenden individuell fördern.

ZUR PERSON 

Stefan Kellenberger (38) ist seit 2012 bei Lidl Schweiz tätig und nach Stationen im Recruiting, Employer Branding und der Leitung von diversen Personalprojekten heute für die Themen Talent Management & Engagement verantwortlich. Nach einer kaufmännischen Lehre und der berufsbegleitenden Weiterbildung zum dipl. Betriebswirtschafter HF hat er sein Studium mit dem Bachelor of Science in Business Administration abgeschlossen. Diverse Weiterbildungen im HR-Bereich vervollständigen sein Profil. Er ist seit mehr als 20 Jahren fest in der Detailhandelsbranche verankert und hat fast ebenso lange Erfahrung in verschiedenen Bereichen des HR. Privat ist der mittlerweile im Thurgau lebende Stadtsanktgaller gerne mit Familie und Freunden unterwegs, besucht Festivals und Konzerte und bereist die Welt. Zudem ist er langjähriger Fan des FCSG und selbst noch fussballerisch aktiv.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.