Experten-Interviews

Sonderausgabe Führung Oktober 2013

Reinhard K. Sprenger: Weniger Schema F, mehr Plan B!

Kein deutschsprachiger Autor hat sich so intensiv mit dem Thema Führung auseinandergesetzt wie Reinhard K. Sprenger. Ein Interview mit dem Bestsellerautor und Managementberater über die Kernaufgaben der Führung.

Von: Wolf-Dietrich Zumach   Teilen  

Wolf-Dietrich Zumach

Wolf-Dietrich Zumach ist nach diversen Führungspositionen in Verlagen seit 2004 selbständiger Berater für Medienunternehmen. Als Entwickler und Ideengeber hat er ein starkes Interesse für innovative Querdenker und Businessideen. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Verlags-Know how und hat seit 2007 für WEKA Business Media schon weit über 100 Fachinterviews im Print-, Audio- und Videoformat durchgeführt und produziert.

Reinhard K. Sprenger

Dr. Reinhard K. Sprenger, Managementberater

personalSCHWEIZ: Herr Sprenger, Sie haben zum Thema Führung ja bereits einige Bestseller geschrieben. Nun haben Sie mit «Radikal führen» ein weiteres Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Was ist darin Neues zu finden?
Reinhard Sprenger: Erlauben Sie die Gegenfrage: Wann wurde jemals etwas Neues geschrieben? Wirkliche Originalität ist äusserst selten und wird meistens von der Wortwahl und der Form der Darreichung erzeugt, nicht vom Inhalt. Um Ihre Frage dennoch zu beantworten: Ein Buch, das die Aufgaben von Führung archäologisch herauspräpariert, gab es bislang noch nicht. Das Novum an meinem neuen Buch ist, dass es umfassend und unter Vermittlung von systemischen Vorgaben und individuellen Eigenschaften beschreibt, was an Führung wirklich zeitlos und essenziell ist. Und das ist das Radikale an dem Buch, dass es den Wurzeln der Führung auf den Grund geht. Denn alles, was aus der Wurzel wächst, hat Kraft; alles, was nur vom Ziel gezogen wird, bleibt schwach.

Weshalb braucht es überhaupt Führung?
Die konzentrierteste Antwortet lautet: Um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Ein Unternehmen strebt wie alle sozialen Systeme nach Selbsterhaltung. Es geht vorrangig darum, weiterzuexistieren, weiter «mitspielen» zu dürfen. Und dafür sollen Führungskräfte einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag besteht darin, Probleme der Organisation und der Menschen im Unternehmen zu lösen. Denn ohne Probleme innerhalb einer Menschengruppe gäbe es ja das Bedürfnis nach Führung nicht. Aus diesen Problemen resultieren die Kernaufgaben der Führung.

Sie haben fünf Kernaufgaben der Führung identifiziert: «Zusammenarbeit organisieren», «Transaktionskosten senken», «Konflikte entscheiden», «Zukunftsfähigkeit sichern» und «Mitarbeiter führen». Welche davon ist Ihrer Meinung nach die wichtigste?
Wenn man fragt: Warum gibt es überhaupt Unternehmen?, dann lautet die Antwort: Weil es Aufgaben gibt, die man nur zusammen bewältigen kann, die den Einzelnen aber überfordern. Wenn ein Einzelner eine Aufgabe alleine bewältigen kann, sollte er es tun – zumindest aus ökonomischen Gründen. Das also ist der Kern: Unternehmen sind um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut. Unternehmen sind Kooperations-Arenen. Deshalb ist es die wichtigste Führungsaufgabe, Zusammenarbeit zu organisieren, die sich von allein nicht ergibt. Das Unternehmen als Solidargemeinschaft zusammenzuschweissen und den Kooperationsvorrang durchzusetzen.

«Unternehmen sind um die Idee der Zusammenarbeit herum gebaut. Deshalb ist es die wichtigste Führungsaufgabe, Zusammenarbeit zu organisieren, die sich von allein nicht ergibt. Das Unternehmen als Solidargemeinschaft zusammenzuschweissen und den Kooperationsvorrang durchzusetzen.»

Sie bemerken in Ihrem Buch, dass Transaktionskosten unsichtbar sind, weil es dafür keine Kostenstelle gibt. Wie können Führungskräfte trotz fehlender Sichtbarkeit Transaktionskosten im Unternehmen senken?
Zunächst einmal gilt es, einen Blick für Transaktionskosten zu entwickeln. Was ist das überhaupt? Wie entstehen sie? Denn wenn etwas keine Kostenstelle hat, ist es ja Voodoo. Wenn man aktiv werden will, dann gilt es, alles zu verhindern, was interne Märkte eröffnet, was die bürokratischen Krakenarme verlängert. Also alles unterlassen, was die Leitdifferenz «Oben/Unten» beliefert, was das Unternehmen unter Vertikalspannung setzt. Dann lautet die Frage: Wie können wir Sog nach aussen erzeugen, zum Markt, zum Kunden? Bei jeder Intervention in die Organisation sollte man fragen: «Welche Leitdifferenz wird da befeuert?» Wenn die Antwort «Oben/Unten» lautet, dann rennen Sie zehnmal um den Block, denken Sie nach und prüfen Sie, ob der Kunde Sie dafür wirklich bezahlt.

«Kluge Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance» – mit diesem Satz weisen Sie sowohl auf den personenzentrischen als auch auf den systemischen Ansatz in der Führung hin. Können Sie uns dies näher erläutern?
Führung ist mehr als das Handeln von Individuen. Führung äussert sich auch in Strukturen, Instrumenten und Institutionen – in Organisation eben. Und beide Ebenen sind wechselwirksam. Das Verhalten eines Menschen ist ja nicht immer gleich, sondern wird sowohl von anderen Menschen in bestimmten Situationen beeinflusst als auch vom institutionellen Rahmen eines Unternehmens, innerhalb dessen sich die Interaktionen vollziehen. Wenn aber Individuum und System in einen Konflikt geraten und aufeinanderprallen, siegt im Regelfall das System. Sollte es mal anders sein, nennt man diese Individuen «Helden» – oder, im tragischen Fall, «Märtyrer».

«Führung ist mehr als das Handeln von Individuen. Führung äussert sich auch in Strukturen, Instrumenten und Institutionen - in Organisation eben. Wenn Individuum und System in einen Konflikt geraten, siegt im Regelfall das System.»

Sie stellen fest, dass Unternehmenswerte Organisationen meist lähmen, da sie «Fortschritt postulieren, aber Rückschritt bringen». Warum ist das so?
Weil jeder Wert gegengelagert ist gegen einen polaren Wert, der ebenso berechtigt ist. Ist Offenheit nicht ebenso berechtigt wie Verschwiegenheit? Was ist mit Wandel und Stabilität, was mit Anweisungen befolgen und Unternehmer sein? Das ist der Knackpunkt des ganzen Wertegeraunes: Es gaukelt eine Welt ohne Widersprüche vor. Es gibt aber nur einen Wert, an dem man sich in der Wirtschaft orientieren darf: der Kunde. Wenn ein Unternehmen für vernünftige Produkte zu marktdefinierten Preisen steht und sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegt, braucht man über Werte nicht zu sprechen.

«Der Ursprung allen Scheiterns ist der Erfolg.» Wie ist diese paradoxe Aussage in Ihrem Buch zu verstehen?
Wenn wir etwas erfolgreich getan haben, dann entwickeln wir daraus oft ein Programm, und dieses Programm heisst: «Erfahrung – Regelhaftigkeit – Weiter so!» Sollten sich die Umstände ändern, dann antworten wir mit verstärkten Anstrengungen in der gleichen Richtung. Je schneller sich die Umwelt ändert, desto schneller haben sich auch unsere Erfolgsrezepte überlebt. Wenn aber Unternehmen rückwärtsgewandt den Zufall ausblenden, wenn sie an früheren Kausalitätsunterstellungen und entsprechenden Strategien festhalten, sitzen sie in der Erfolgsfalle. Irgendwann fliegen sie dann aus der Kurve.

«Das ist der Knackpunkt des ganzen Wertegeraunes: Es gaukelt eine Welt ohne Widersprüche vor. Es gibt aber nur einen Wert, an dem man sich in der Wirtschaft orientieren darf: der Kunde.»

Bezüglich der Kernaufgabe «Zukunftsfähigkeit sichern» ist in Ihrem Buch der folgende Satz zu finden: «Wenn Sie Ihr Unternehmen in die Zukunft führen wollen, müssen Sie es aus der Zukunft führen.» Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?
Die Zukunft, das ist das Unvorhersehbare. Management, das das Unternehmen zukunftsfähig machen will, ist daher vor allem die Produktion von Musterbrechung. Zelte sind da besser als Paläste, Pläne mittlerer Reichweite besser als Langfristprognosen, Experimente besser als Standardprozesse, alternative Szenarien durchspielen besser als «Weiter so!». Deshalb meine ich: Weniger Schema F, mehr Plan B! Corporate Foresight ist ein eigenständiges Aufgabenfeld der strategischen Planung. Dabei geht es um Methoden jenseits der traditionellen Marktbeobachtung. Dazu gehören Trend- und Umfeldanalysen, die Expertenbefragung sowie Techniken wie Preferred Futuring, Presencing und die gute alte Szenariotechnik. Gerade die Letzteren helfen durch das Spielen mit alternativen Zukunftsbildern den eventuell notwendigen schnellen Kurswechsel zu simulieren. Vor allem aber sollten in Zukunftskonferenzen alle Mitarbeiter sensibilisiert werden für die Offenheit dessen, was vor uns liegt.

Sie betonen die enorme Wichtigkeit des gegenseitigen Vertrauens von Führungskräften und Mitarbeitern. Wie aber schafft man ein solches Vertrauen?
Darauf gibt es nur eine Antwort: Verwundbarkeit startet Vertrauen. Indem Sie sich aktiv verwundbar machen, bringen Sie den Vertrauensmechanismus in Gang. Kontrollverzicht ist das Instrument, mit dem Sie die Vertrauensbeziehung beginnen. Wohlgemerkt: aktiv verwundbar machen, indem Sie den ersten Schritt tun. Das tun Sie, indem Sie auf explizite Sicherungsmassnahmen verzichten: Regularien abschaffen, das Kontrollsystem abbauen, Reporting- und Monitoring-Systeme zurückfahren – angemessen und überlegt zurückfahren, wohlgemerkt. Sie können aber auch Zugangsbeschränkungen lockern oder auf zusätzliche Informationen verzichten. Vertrauen ist, wenn Sie Leute einstellen, die besser sind als Sie, oder wenn der Mitarbeiter Mühe hat zu kündigen, weil er spürt, dass Sie sich auf ihn verlassen, dass er wirklich gebraucht wird.

«Die Zukunft, das ist das Unvorhersehbare. Management, das das Unternehmen zukunftsfähig machen will, ist daher vor allem die Produktion von Musterbrechung. Zelte sind da besser als Paläste, Pläne mittlerer Reichweite besser als Langfristprognosen.»

Am Schluss Ihres Buches schreiben Sie: «Wenn Sie (als Führungskraft) nur im Leben eines Mitarbeiters ein Beitragender waren, haben Sie Ihren Job gemacht.» Was meinen Sie damit genau?
Wir können im Leben selten etwas zurückgeben; aber wir können es weitergeben. Wir können säen, ohne zu ernten – so wie auch wir geerntet haben, ohne zu säen. In diesem Sinne kann eine Führungskraft ihre Erfüllung darin finden, die Kompetenz anderer zu vergrössern. Ihnen zu grösserer Freiheit, zu grösserer Unabhängigkeit zu verhelfen. Oder – in der Diktion Nietzsches – seinen Existenzgrund darin finden, sich überflüssig zu machen. Letztlich glaube ich: Der einzig legitime Grund der Führung ist die Selbstführung.

Zur Person

Dr. Reinhard K. Sprenger gilt als der profilierteste Managementberater Deutschlands. Geboren 1953 in Essen, wohnt er heute in Zürich und Santa Fe, New Mexico. Zu seinen Kunden gehören zahlreiche internationale Konzerne sowie nahezu alle Dax-100-Unternehmen. Sprengers Bücher wurden ausnahmslos Bestseller und liegen in etlichen Sprachen vor. Normative Basis von Sprengers Büchern sind die Selbstmotivation und  die Selbstverantwortung des Einzelnen, seine Freiheit und seine Verpflichtung. Sprengers Thesen brechen mit den herkömmlichen Strategien der Unternehmensführung. Seine Ideen sind revolutionär, weil sie einem vertrauensbasierten Humanismus entspringen: Sprenger stellt den Menschen als Freiheitswesen in den Mittelpunkt seiner Führungsphilosophie. Zusätzlich zu seiner Autorentätigkeit coacht Sprenger Vorstände, sowohl in Einzel- wie auch in Gruppencoachings. Er leitet Führungsseminare und berät bei der Entwicklung von Personalsystemen. Seine Thesen sind unbequem, provokativ und ungemein erfolgreich. So bekräftigt die Financial Times Deutschland: «Reinhard K. Sprenger ist der einzige deutsche Management-Guru, der den Namen wirklich verdient.»

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