Experten-Interviews

Mai 2022

Personalentwicklung & ein Blick zurück: «Ich halte nicht viel von Talent Pools»

In der allerersten Ausgabe von personalSCHWEIZ haben wir Matthias Mölleney, Leiter des Center for Human Resources Management & Leadership an der HWZ, zur Zukunft der Arbeit interviewt. Führen wir heute anders? Haben wir den Fachkräftemangel besser im Griff? Wir blicken mit ihm zurück und unterziehen seine damaligen Prognosen einem Realitätscheck. Ausserdem verrät der HR-Experte und ehemalige Swissair-Personalchef, warum er gegenüber Talent Pools skeptisch ist und welche Schwerpunkte bei HR-Weiterbildungen weiterhin wichtig sind.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Personalentwicklung & ein Blick zurück

Matthias Mölleney, vor genau 10 Jahren haben wir mit Ihnen das Titelinterview für die allererste Ausgabe von personalSCHWEIZ geführt – zum Thema «The future of Work». Wie hat sich die HR-Welt in dieser Zeit verändert?
Die Arbeitswelt hat sich erheblich verändert, vor allem wegen und mit der damals bereits deutlich spürbaren Digitalisierung. Und diese Entwicklung hat sich in der Pandemie noch weiter beschleunigt. Aber auch die anderen Themen wie Fachkräftemangel und die neuen Anforderungen an Führung in netzwerkartigen Strukturen waren damals vor 10 Jahren bereits absehbar. Heute sehen wir Organisationsformen in der Praxis, die damals konzeptionell entwickelt wurden. Wir sehen aber auch die Erfolge der Personal- und Organisationsentwicklung in den letzten Jahren, und wir sehen IT-Anwendungen im Personalmanagement, die das wirksam unterstützen.

War und ist die Pandemie Fluch oder Segen für die Personalarbeit?
Ich glaube, niemand von uns hat sich diese Pandemie gewünscht. Sie hat viele Betriebe extrem gefordert und an den Rand ihrer Existenz gebracht – manche auch darüber hinaus. Wenn man in der Entwicklung der Personalarbeit intensiv nach den positiven Aspekten der Pandemie sucht, wird man sie aus meiner Sicht am ehesten in einer gestiegenen Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden und den damit zusammenhängenden HR-Prozessen finden. Es ist schon immer so gewesen, dass Krisen zu einer Rückbesinnung auf das Menschliche führen. Führungskräfte und Mitarbeitende suchen nach Orientierung, nach Leuchttürmen, weil die Unsicherheit schwerer zu ertragen ist als Veränderungen, auf die man sich einstellen kann.

Ist in den letzten Jahren die Anerkennung von HR gestiegen?
Die Zahl der Unternehmen, die das Personalmanagement als einen wichtigen Teil der Geschäftsleitung ansehen und nicht mehr nur als reine Dienstleistungsfunk tion, hat deutlich zugenommen. Es ist allerdings noch nicht überall klar, was die Unternehmensführung von einem modernen Personalmanagement erwarten darf. Was ich allerdings nach wie vor vermisse, ist der Einfluss von Personalprofis in den Verwaltungsräten. Wenn sich das nicht ändert, bleibt das Personalmanagement weiterhin eher operativ als wirklich strategisch.

Wie hat sich die HR-Rolle entwickelt?
Die HR-Rolle hat sich weiter professionalisiert. Die Dienstleistungen sind digitaler geworden und haben sich auch qualitativ weiter verbessert. In vielen Unternehmen hat das Personalmanagement auch eine Gestaltungs-, teilweise auch eine Führungsrolle übernommen. Z.B. bei der Veränderung der traditionell hierarchischen Strukturen in anpassungsfähige Netzwerke mit einem steigenden Grad an Selbstorganisation.

Sie haben damals einige Prognosen gewagt. Was denken Sie, wie gut haben Sie abgeschnitten?
Meine wesentlichen Prognosen aus dem Interview vor 10 Jahren waren ein sich weiter verschärfender Fachkräftemangel, die Entwicklung neuer Führungsansätze, die Erweiterung von Homeoffice und Remote Work, mehr Teilzeitarbeit, auch in der Führung, andere Attraktivitätskriterien für Arbeitgeber, v.a. bezüglich Work-Life-Balance, mehr Investitionen in die Führungskultur und entsprechende Weiterbildungen. Alle meine Aussagen sind ganz oder weitgehend eingetroffen, wobei zum Teil die nicht vorhersehbare Pandemie etwas nachgeholfen hat.

Ihre Einschätzungen waren in der Tat sehr akkurat. Sie haben damals die hierarchisch geprägte Führung im Kontext der Wissensarbeit infrage gestellt und für eine Führung im Netzwerk plädiert. Das ist heute in immer mehr Unternehmen Realität ...
Wir haben dafür zwischenzeitlich den Begriff der Agilität eingeführt, allerdings in manchen Unternehmen so inflationär, dass viele Mitarbeitende ihn schon gar nicht mehr hören wollen. Aber unabhängig von Modebegriffen haben sich viele Firmen auf den Weg gemacht zu einer verstärkten Selbstorganisation. Sie beziehen Mitarbeitende konsequenter ein bei der Entwicklung neuer Arbeits- und Arbeitszeitmodelle und befähigen sie, eigenverantwortlicher zu kooperieren.

Führungspositionen in Teilzeit auszuüben, war vor 10 Jahren noch ein Randphänomen. Top Sharing ist heute keine Seltenheit mehr. Wird sich der Trend fortsetzen?
Ja, ich denke schon. Ich wünsche mir aber für die Zukunft, dass wir nicht mehr nur über Arbeitszeitmodelle reden, sondern über Arbeitsmodelle. Ich habe vor einigen Jahren eine Kolumne geschrieben mit dem Titel «Lasst uns endlich die Teilzeit abschaffen – und Vollzeit auch». Damit wollte ich darauf aufmerksam machen, dass die Messung der Arbeitszeit bei Führungskräften und Wissensarbeitern meistens nicht geeignet ist, um die Leistung zu messen, denn eigentlich sollten ja die Ergebnisse zählen und nicht die Zeit, die man auf dem Weg dorthin gebraucht hat.

Inwiefern hat die besondere Situation in den letzten beiden Jahren zu einem Umdenken beim Führungsverständnis geführt?
Das offensichtlichste Umdenken bestand darin, dass alle Führungskräfte lernen mussten, wie man Mitarbeitende führt, die physisch nicht anwesend sind. In dieser Situation, die wir ja während der Phasen mit Homeofficepflicht flächendeckend hatten, greifen traditionell-transaktionale Führungsansätze zu kurz, und die Anforderung, tragfähige Beziehungen zu den Mitarbeitenden und zwischen den Mitarbeitenden aufzubauen, hat in der Pandemie stark an Bedeutung gewonnen.

«Was ich nach wie vor vermisse, ist der Einfluss von Personalprofis in den Verwaltungsräten.»

Der Fachkräftemangel hat sich in den letzten Jahren, wie von Ihnen angetönt, nochmals zugespitzt. Wie überzeugt man junge Spezialist*innen von der eigenen Firma?
Das gelingt am besten durch die gelebte Kultur und durch Transparenz. Junge Spezialist*innen interessieren sich ganz besonders dafür, wie es ihnen gehen würde, wenn sie die Stelle bekämen und bei der Firma anfangen würden. Dank Social Media haben sie genügend Möglichkeiten, zu erfahren, wie es in dem Unternehmen wirklich zu und her geht und wie dort mit Mitarbeitenden umgegangen wird. Ganz wichtig ist auch, dass die Arbeit, die es zu tun gibt, «sinnvoll» ist.

Den eigenen Mitarbeitenden durchgängig «sinnvolle» Tätigkeiten anzubieten, ist nicht immer einfach. Was raten Sie Unternehmen, deren «Purpose» schwer zu vermitteln ist?
Der Aufwand, den Purpose des eigenen Unternehmens zu identifizieren und zu beschreiben, lohnt sich auf jeden Fall. Klar, es gibt solche, bei denen der Purpose auf der Hand liegt, und solche, wo man ihn mühevoll suchen muss. Ein Unternehmen ohne erkennbaren Purpose hat es auf jeden Fall schwer auf dem Arbeitsmarkt.

Teilweise sind die Probleme auch hausgemacht, weil zu wenig in die Entwicklung der eigenen Mitarbeitenden investiert wurde. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Da haben wir ein grundsätzliches Problem. Investitionen in die Entwicklung der eigenen Mitarbeitenden, zum Beispiel eine Weiterbildung, sind betriebswirtschaftlich gesehen gar keine Investitionen, sondern Kosten – und Kosten sind etwas, was alle Unternehmen tief halten wollen. Das führt dazu, dass die Entwicklung von Mitarbeitenden oft über Budgets gesteuert und die Mittel mit der Giesskanne verteilt werden und nicht über den individuellen Entwicklungsbedarf. Auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die derzeit tendenziell zunehmende Fluktuation müssen wir unbedingt der Personalentwicklung mehr Aufmerksamkeit schenken. Das muss nicht unbedingt mehr Kosten bedeuten, aber es braucht ein sehr viel stärkeres Bewusstsein der Führungskräfte für das Potenzial und die Perspektiven ihrer Mitarbeitenden.

Was sollten Unternehmen bei ihrer Personalentwicklungsstrategie beachten?
Ich würde eine Dualstrategie vorschlagen, d.h. einerseits eine strategische Nachfolgeplanung für die Schlüsselpositionen einführen und andererseits die Begabungen und die Erfahrungen der Mitarbeitenden systematisch erfassen. Bei diesem Vorgehen geht es um eine gut aufeinander abgestimmte Bedarfs- und Ressourcenbetrachtung. Ich halte nicht viel vom immer noch recht verbreiteten Ansatz, für die als besonders förderungswürdig identifizierten Mitarbeitenden sogenannte Talent Pools zu bilden. Bei fast allen dieser Pools ist sehr genau geregelt, wer unter welchen Bedingungen dort hineinkommt und wer die Verantwortung für die Selektion trägt. Allerdings ist niemand dafür verantwortlich, dass die Mitglieder des Talent Pools auch wieder aus diesem «Topf» gezogen werden und eine anspruchsvollere Stelle übernehmen können.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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