Experten-Interviews

Juli-August 2021

Outplacement und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt: «Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe»

Wenn Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, kommen oft Outplacement-Agenturen zum Einsatz. Die spezialisierten Dienstleister helfen bei der persönlichen Standortbestimmung und beim Finden einer beruflichen Anschlusslösung. Für Menschen mit Beeinträchtigungen ist dieser Prozess eine besondere Herausforderung. Der Verein Kiebitz bietet sowohl klassisches Outplacement als auch Hilfe im Wiedereingliederungsprozess. Wir sprechen mit Yves Schätzle, Leiter Coaching und Mitglied der Geschäftsleitung, und Claudio Deragisch, Geschäftsführer, über verborgene Talente und den Stellenwert von Trainingsarbeitsplätzen zum Aufbau der Arbeitsmarktfähigkeit.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Outplacement und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt

Herr Deragisch, Herr Schätzle, wie hat sich die Pandemie auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Claudio Deragisch (CDE): Gestartet sind wir in dieses geschichtsträchtige Jahr mit der Vorstellung, dass Schlagwörter wie Nachhaltigkeit, Eingliederung oder strategische Ziele unseren Alltag prägen werden. Stattdessen haben wir neue Ausdrücke kennengelernt, zum Beispiel Lockdown, Systemrelevanz und Social Distancing. Es hatte aber durchaus auch sein Gutes, dass alles anders gekommen ist als gedacht. Aufgrund der intensiven «Corona-Erfahrung» konnten wir unsere Kompetenzen massgeblich weiterentwickeln, sei es als Organisation oder als Individuen. Coaching per Video und qualitativ hochwertige Arbeitsagogik in einer Mischform aus Präsenzbetreuung und Beratung aus der Distanz sind für uns mittlerweile selbstverständlich geworden. Ich bin überzeugt, dass wir davon auch in Zukunft profitieren werden.

Stellen Sie seit letztem Jahr eine Zunahme an Arbeitnehmenden fest, die ihre Stelle verloren haben und zu Ihnen kommen?
Yves Schätzle (YSC): Gemäss Medienmitteilung vom 7.6.21 des «Amts für Wirtschaft und Arbeit» Basel-Stadt wurden per Ende Mai 2021 im Kanton Basel-Stadt 4049 arbeitslose Personen bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) registriert. Im Jahre 2019 waren es zur selben Zeit 3013 arbeitslose Personen. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen wir bei Kiebitz bisher eine Zunahme von 20% Zuweisungen, was unter anderem auch mit dem Lockdown des letzten Jahres zusammenhängt. Die Anzahl der zugewiesenen Fälle ist abgesehen von der Arbeitslosenquote aber noch von vielen weiteren Faktoren abhängig, sodass nicht immer gleich ein unmittelbarer Effekt durch die Anzahl Stellensuchender auf die zugewiesenen Fälle feststellbar ist. Auf welcher Höhe sich die Anzahl der zugewiesenen Fälle, als Auswirkung auf das «Corona-Jahr», mittelfristig einspielen wird, werden wir noch sehen.

Sind Ihre Kundinnen und Kunden eher Unternehmen oder Privatpersonen?
YSC: Kiebitz begleitet seit 25 Jahren Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen oder müssen. Ein Grossteil unserer Kund*innen sind Einzelpersonen, die uns von den Sozialversicherungen, also von RAV, IV, und von der Sozialhilfestelle zugewiesen werden. Im Bereich Privatkunden arbeiten wir sowohl mit Firmenmandaten als auch mit Privatpersonen, die sich von sich aus bei uns melden, zusammen.

Was sind typische Fragestellungen von Kund*innen?
YSC: Die typische Fragestellung gibt es eigentlich nicht. Grundsätzlich lassen sich zwei Kategorien von Kund*innen unterscheiden: Kund*innen, die sich beruflich neu orientieren wollen, und/oder solche, welche Unterstützung bei der Stellensuche brauchen und ihre Bewerbungskompetenzen verbessern wollen. Zu den Gründen, sich beruflich neu zu orientieren, gehören die Sinnfrage, «ich würde gerne noch etwas Sinnvolleres machen als in meiner aktuellen Tätigkeit», gesundheitliche und/oder strukturelle Gegebenheiten wie z.B. der Wegfall des bisherigen Berufs resp. der Funktion aufgrund der Digitalisierung.

Kiebitz ist einerseits ein Outplacement-Dienstleister, andererseits unterstützen Sie auch Arbeitnehmende mit Beeinträchtigungen bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Was bedeutet Outplacement für Sie?
YSC: Outplacement bedeutet für uns in erster Linie «Unterstützung für den nächsten Karriereschritt». Als KMU ist es uns ein grosses Anliegen, massgeschneiderte und individuelle Lösungen anzubieten. Entsprechend modular ist unser Angebot aufgebaut.

Wie unterscheidet es sich vom Begriff der «Wiedereingliederung»?
YSC: Menschen, welche in einem «Outplacement» Unterstützung suchen, verfügen in aller Regel über eine gute Arbeitsmarktfähigkeit ohne besondere Einschränkungen. Im Rahmen der «Wiedereingliederung» hingegen stellt Kiebitz für Menschen in einer Aufbauphase nach einer ganz oder teilweise überwundenen physischen oder psychischen Belastung Aufbautrainings in für sie geeigneten Tätigkeiten zur Verfügung. Ziel ist die Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit, wo es möglich ist, die Integration in den ersten Arbeitsmarkt und, wo es nötig ist, die Förderung der sozialen Integration. Der praxisnahe Einsatz in einem unserer Betriebe dient der Vorbereitung für den Übertritt in eine Stelle in der Wirtschaft.

Mit welchen Tools unterstützen Sie Ihre Kund*innen bei der Stellensuche?
YSC: Für eine erfolgreiche Stellensuche gehen wir von fünf Erfolgsfaktoren aus: 1. Ein klares Suchprofil – dies tönt einfach, nur sind sich die wenigsten darüber im Klaren, was sie genau suchen! 2. Eine klare Positionierung im Arbeitsmarkt. Hier gilt es auch die Fragen der Motivation und der Einzigartigkeit zu klären. 3. Die «Visitenkarte» – die Optimierung des schriftlichen Bewerbungsdossiers. 4. Ein sicherer und überzeugender persönlicher Auftritt, Stichwort «Eigenmarketing». 5. Eine geeignete Bewerbungsstrategie.

Wie wichtig ist die Standortbestimmung im Prozess? Wie gehen Sie dabei vor?
YSC: Eine gründliche Standortbestimmung bildet die Basis für die anschliessende berufliche Neuorientierung und für ein erfolgreiches Selbstmarketing. Sie besteht aus der Analyse des beruflichen Werdegangs, also dem «Blick zurück», dem Bewusstmachen der beruflichen und persönlichen Kompetenzen sowie dem Erfassen von Neigungen und beruflichen Zielen. Ergänzt wird dieses «Selbstbild» durch das «Fremdbild», d.h. durch ein Feedback von Drittpersonen.

Wie kann man die eigenen verborgenen Talente herausfinden?
YSC: Viele Kund*innen sind sich ihrer Talente und Kompetenzen tatsächlich nicht bewusst. Manchmal ist es, wie wenn wir diesbezüglich einen blinden Fleck hätten. Was wir gut können, erachten wir oft als selbstverständlich, und wir brauchen jemanden, der uns einen Spiegel hinhält, damit wir diese Talente erkennen. Dies ist eine der Aufgaben des Coachs, die Kompetenzen mittels geeigneter Fragen mit den Kund*innen herauszuarbeiten. Hilfreich können auch Fremdbildinterviews oder diagnostische Tests sein. Sich der eigenen Talente bewusst zu sein, ist nicht nur für eine Neuorientierung wichtig, sondern auch für ein entsprechend selbstbewusstes Auftreten, z.B. im Hinblick auf anstehende Vorstellungsgespräche.

Zu Kiebitz gehören u.a. ein Bürocenter, das Restaurant «Cocotte» und das «Atelier allerlei». Welche Rolle spielen diese Betriebe im Wiedereingliederungsprozess?
CDE: Eine sehr wichtige! Sinnvolle Trainingsarbeitsplätze mit einem realen Arbeitsinhalt sind zentral in der Wiedereingliederung. Über die Arbeit können sich die Arbeitsagoginnen und -agogen ein sachliches Bild der vorhandenen Ressourcen machen. Diese vorhandenen Kompetenzen können anschliessend über gezieltes Training gestärkt werden. Somit erlebt sich die Person wieder als kompetent in ihrem Arbeitsbereich, der dann langsam, aber stetig erweitert werden kann. Ein ebenfalls sehr wichtiger Teil der beruflichen Rehabilitation ist Zugehörigkeit zu einem Arbeitsteam. Dadurch erfährt man auch soziale Interaktion und Wertschätzung für seine Arbeit innerhalb des Teams.

Sind diese Trainingsarbeitsplätze Ausgangspunkt für den späteren Wechsel in den 1. Arbeitsmarkt?
CDE: Ja und nein. Bei den meisten Massnahmen geht es früher oder später darum, eine Anschlusslösung im 1. Arbeitsmarkt zu finden. Somit sind sie als Trainingsort für den Aufbau der vorhandenen und neuen Kompetenzen sowie für die Stärkung des Selbstvertrauens ein wichtiger Teil im Hinblick auf eine Anschlusslösung im 1. Arbeitsmarkt. In anderen Fällen geht es darum, herauszufinden, welcher Arbeitsinhalt und welches Pensum mit den vorhandenen Einschränkungen noch möglich sind, und dann aufgrund dieser Situation eine Anschlusslösung zu finden, die dann meistens nicht im 1. Arbeitsmarkt ist.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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