Experten-Interviews

Ausgabe Juni 04/2015

Innovatives HRM: Die Sprache der Kollegen lernen

Die Personalabteilung hat vielfach nur wenig Mitspracherecht in der Geschäftsleitung. HR-Experte Matthias Mölleney sagt, wie Personalverantwortliche ihren Einfluss im Unternehmen vergrössern können und welche Kompetenzen für ein innovatives HRM nötig sind.

Von: Wolf-Dietrich Zumach   Teilen  

Wolf-Dietrich Zumach

Wolf-Dietrich Zumach ist nach diversen Führungspositionen in Verlagen seit 2004 selbständiger Berater für Medienunternehmen. Als Entwickler und Ideengeber hat er ein starkes Interesse für innovative Querdenker und Businessideen. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Verlags-Know how und hat seit 2007 für WEKA Business Media schon weit über 100 Fachinterviews im Print-, Audio- und Videoformat durchgeführt und produziert.

Innovatives HRM

© Nicole Heiling

personalSCHWEIZ: Herr Mölleney,weshalb hat HR in der Geschäftsleitungoft einen schweren Stand?

Matthias Mölleney: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste, eher historische Grund, ist, dass HR von seiner Herkunft her immer noch im Ruf steht, ein Verwalter zu sein nach dem Motto «Die kosten ja nurund bringen nichts». Der zweite Grund ist, dass HR offenbar eine andere Sprache spricht als die anderen Unternehmensabteilungen: die Sprache der Soft Skills ist halt eine andere als die der betriebswirtschaftlichen Zahlen. Viele HR-Manager sind schon von der Ausbildung her weniger Betriebswirte, sondern – wie das zum Beispiel in Deutschland sehr verbreitet ist – eher Juristen oder Psychologen. Die allermeisten Kollegen in der Geschäftsleitung haben aber eine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Das Problem ist also: Wie findet man eine gemeinsame Sprache? Ein weiterer Grund ist, dass HR eine spezielle Rolle im Unternehmen hat. HR ist ja nicht nur Vertreter der Geschäftsleitung, sondern hat auch eine Vermittlerrolle zwischen dieser und der Belegschaft: Es vertritt auch die Stimmungen, die Sorgen und das Potenzial der Mitarbeitenden in der Geschäftsleitung.

Wie kann HR seine interne Positionierung im Unternehmen verbessern?

Zuerst sollten die HR-Verantwortlichen auch die Sprache der Kollegen aus anderen Abteilungen lernen, sprich: sich betriebswirtschaftliches Wissen aneignen,um die HR-Inhalte auch für andere Kollegen verständlich zu machen. Ein zweiter Punkt betrifft den Lebenszyklus, den alle Unternehmen durchlaufen: von der Gründungsphase über die Wachstums-, Konsolidierungs- und Expansionsphase bis hin zur Turnaround- und Exit-Phase. Jede dieser Phasen stellt an die Führungskräfte und das HR ganz unterschiedliche Anforderungen. Ein gutes HR würde für jede Phase einen optimalen Support bieten, gleichzeitig aber auch für die nächste Phase schon vorausschauend entsprechende Fachleute im Unternehmen platzieren – und wenn es sein muss, auch einmal gegen die Meinung der Linie. Dies würde die oft harten Folgen von Phasenwechseln vermeiden, in denen ein grosser Teil des bisherigen Managements ausgetauscht wird, weil es noch in der alten Phase denkt und handelt.

Was kann HR darüber hinaus tun?

HR sollte versuchen, die Diskussion um das Humankapital in eine andere Dimensionzu bringen und neue Denkanstösse zu initiieren. Ich will das mal am Beispiel der Weiterbildung erläutern. Wenn man einem Mitarbeitenden einen MBA-Abschluss bezahlt, sind das vorerst Kosten, die das Betriebsergebnis schmälern. Eigentlich sind es aber Investitionen, die man im Anlagevermögen zu einem gewissen Wert aktivieren können sollte. Dies ist aber nach den in der Schweiz gängigen Buchhaltungsstandards, IFRS bzw. SwissGAAP, heute leider noch nicht möglich. Die spannenden Fragen bleiben aber: Wie hoch ist der «Wertzuwachs» dieses Mitarbeitenden durch die MBA-Ausbildung? Über welchen Zeitraum bringt ein solcher Abschluss einen Mehrwert? Soll man ihn über nur drei oder eher über 30 Jahre abschreiben? Ein weiteres Beispiel wäre die Fluktuationsrate. Nehmen wir einmal an, ein Unternehmen hat eine Fluktuationsrate von 7 Prozent. Ist das der optimale Wert? Vielleicht wären 8 Prozent besser, weil damit mehr «frisches Blut» in das Unternehmen kommt. Oder sind es 6 Prozent, weil das weniger Kosten verursacht? Brauchen wir in der Buchhaltung eine andere Fluktuationsrate als in der Forschung oder im Verkauf? Sie sehen, ein innovatives HR könnte ganz andere Fragen stellen und hätte viele Möglichkeiten, neue, spannende Diskussionen in der Geschäftsleitung anzustossen. Damit würde man im Unternehmen zwar nicht immer den Beliebtheitspreis gewinnen, aber es würde HR entscheidend weiterbringen.

«HR-Manager müssen die Grenzen des klassischen Personalmanagements überwinden und auch in anderen Disziplinen wie BWL, Marketing und Kommunikation Bescheid wissen.»

Welche neuen Kompetenzen müssen HR-Manager dafür mitbringen?

Ich glaube, sie sollten mehr transdisziplinäre Kompetenzen besitzen. Ich will das wieder an einem Beispiel erläutern, nämlich an der Personalrekrutierung. Früher war das eine Aufgabe ähnlich wie im Einkauf: Eine Stelle wurde beantragt, dann genehmigt, ausgeschrieben, ein Bewerbender wurde ausgewählt und dann angestellt. Heute sind wir im Zeitalter des Fachkräftemangels und des Personalmarketings.Als HR-Manager muss ich also auch etwas von Marketing verstehen. Diesen künftig gesuchten Kompetenzmix vermitteln wir deshalb auch in unserem Masterstudiengang HR Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich: Das erste Drittel der Ausbildung ist reine nackte Betriebswirtschaft, ganz losgelöstvom HR. Die beiden Folgesemester konzentrieren sich dann auf strategisches HRM und auf Innovationen im HRM.

Social Media sind in der Personalrekrutierung und im Employer Branding ein viel beachtetes Thema. Brauchen HR-Fachleute hier wirklich tiefgehende Kompetenzen oder reicht ein guter externer Dienstleister?

HR-Manager müssen die Grenzen desklassischen Personalmanagements überwinden und auch in anderen Disziplinen wie Marketing und Kommunikation Bescheid wissen. Darüber hinaus sollten sie aber natürlich auch wissen, wie Jobvideos funktionieren und wie HR-relevante Plattformenwie die Arbeitgeberbewertungsplattform kununu interaktiv eingesetzt werden können. Und in der Kommunikation sollte man die neuen Kanäle wie Blogs oder Twitter beherrschen.

Wie steht es mit den Kompetenzenim HR-Controlling? Wird dessen Bedeutung nicht vielfach überschätzt?

HR-Controlling muss einen echten Mehrwert bieten. Man muss hier über relevante qualitative Kennzahlen nachdenken, die auch wirklich handlungsleitend sind. Nicht ein Mehr an Kennzahlen ist gefragt, sondern ein Herausdestillieren und Interpretieren von denjenigen, die matchentscheidend sind. Also nicht einfach nur dieFluktuationsrate messen, sondern sich Fluktuationsziele setzen oder nicht nur die Ausbildungskosten messen, sondern sich Gedanken über die Rentabilität von Ausbildungen machen – das wäre qualitatives HR-Controlling in einer neuen Qualitätsdimension.

Welche Veränderungen bringen die neuen Werte und Ansprüche der Generation Y für das HRM?

Wenn ich das so genau wüsste, würde ich wahrscheinlich irgendwo auf einem goldenen Sessel sitzen und eine Prophetenzulagekassieren (lacht). Wir bemerken, dass ein Wertewandel stattfindet. Die Höhe des Salärs spielt nicht mehr eine so grosse Rolle wie früher. Die zentrale Frage für die Generation Y ist vielmehr: Werde ich mich in meiner neuen Arbeitsstelle wohlfühlen? Das positive Arbeitsklima ist also das Entscheidende. Wir sehen heute auch, dass 80 Prozent der Stellen über persönliche Empfehlungen besetzt werden. Wenn ein Unternehmen eine neue Stelle ausschreibt, prüfen Bewerbende erst einmal auf Facebook, Xing oder LinkedIn, ob sie jemanden kennen, den sie bezüglich dieser Stelle befragen können, nach dem Motto: du kennst das Unternehmen, du kennst mich – würde das passen? Das verändert die Rekrutierung natürlich komplett. Unternehmen müssen sich heute überlegen, wie sie ihre eigenen Mitarbeitenden dazu motivieren können, bei Freunden, Bekannten und Verwandten Werbung für ihr Unternehmen zu machen. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht in die Falle laufen, zu glauben, wir wüssten immer ganz genau, wie diese neue Generation Y tickt. Hier kann es auch Überraschungen geben. So haben nur rund 2 Prozent der befragten Schweizer Universitätsabgänger im Jahr 2000 gesagt, sie könnten sich vorstellen, mehr als 5 Jahre in ihrer beruflichen Einstiegsstelle bei ihrem ersten Arbeitgeber zu bleiben, während dies im Jahr 2014 fast unglaubliche 40 Prozent waren. Dies ist ein Trend ganz entgegenden landläufigen Vorstellungen von der Generation «Projekt».

 

«In der Linie interessiert sich keiner wirklich dafür, wie sich HR organisiert – Hauptsache, es macht seine Arbeit.»

Wird das HR-Business-Partner-Modell Ihrer Erfahrung nach in der unternehmerischen Realität auch tatsächlich gelebt?

Ich denke schon, dass dieses Modell in der Realität gelebt wird. Die Linie hat gar keine andere Wahl, wenn sich HR so organisiert. Wenn man es negativ ausdrücken wollte, könnte man auch sagen: In der Linie interessiert sich keiner wirklich dafür, wie sich HR organisiert. Ob wir jetzt Business Partner heissen oder anders – Hauptsache, HR macht seine Arbeit. Ich glaube, das HR-Business-Partner-Modell ist da umgesetzt und wird da auch gelebt, wo es passt. Aus meiner Sicht passt es für mittelgrosse bis grosse Unternehmen, die noch traditionell organisiert sind, besonders gut. Für ein Unternehmen wie Google zum Beispiel wäre so ein Modell vermutlich nicht sehr erfolgsträchtig. Deshalb muss man für solche netzwerkartigen Unternehmen überlegen, was eine bessere HR-Organisationsform sein könnte.

Welche Alternativen gibt es für solche Unternehmen?

Meine Studierenden und ich haben letztes Jahr das Modell einer neuartigen HRNetzwerk-Organisation entwickelt, das mehr HR-Verantwortlichkeiten vollständig in die Linienorganisation verlagern will. Das hat übrigens in ähnlicher Formschon in den 80er-Jahren mein damaliger Chef Heiko Lange, der von Porsche als neuer HR-Leiter zur Lufthansa gewechselt ist, propagiert. Die Lufthansa hatte seinerzeit 65000 Mitarbeitende, davon 600 im HR. Als Heiko Lange bei der Lufthansa anfing, hat er uns alle mit seiner Aussage verblüfft, er bräuchte nur noch fünf HR-Mitarbeitende. Sein Credo war: Wozu brauche ich Macht, wenn ich Einfluss habe. Deshalb schienen ihm die restlichen 595 HR-Mitarbeitenden, die gewissermassen Ausdruck seiner Macht waren, überflüssig. Wir hielten ihn damals für einbisschen verrückt, heute verstehe ich sehr gut, was er damit gemeint hat.

Wo liegen die Vorteile einer solchen Netzwerk-Organisation?

In Unternehmen mit netzwerkartigen Strukturen – und das finden wir heute immer öfter – können Sie mit einem HR, das in festen Einheiten wie Business Units organisiert ist, nicht viel gewinnen. Meine These ist hier: Man kann ein Netzwerk nur mit netzwerkartigen Strukturen gut supporten. Unternehmen, die sich schnell bewegen wollen oder müssen, brauchen einen Support, der mit den Unternehmenseinheiten sehr gut verlinkt ist und sich daher auch schnell mitbewegen kann. Das an sich wäre jetzt ja noch nichts wesentlich Neues. Mit unserem Modell streben wir aber an, dass HR noch mehrals bisher in die Linie integriert wird. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass in der Extremform einer solchen Struktur das kleine Projektteam in der Linie seinen HR-Verantwortlichen selber demokratisch wählt. Eine solche Person würde dann eine entsprechende Ausbildung bekommen und in das HR-Netzwerk eingebunden werden, um Zugang zu Problemlösungen und fachlichen Informationen zu haben. Ein kleines, zentrales HR würde sich dann auf seine Expertenfunktion konzentrieren, Standardprozesse wie die Lohnabrechnung können wie heute üblich weiterhin in zentralen internen oder externen Service Centern effizient abgewickelt werden.

Lassen Sie uns zum Schluss einen Blick in die Zukunft werfen: Welches sind die wichtigsten Herausforderungen für HR in den nächsten 10 bis 20 Jahren?

Ein erster und für mich zentraler Punkt ist der folgende: Ich glaube, dass wir uns zurzeit in einer fundamentalen gesellschaftlichen Umbruchsphase befinden, einer Zeitenwende, ähnlich wie zum Beispiel der Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Das Dumme daran ist nur, dass wir nicht genau wissen, wie die nächste Epoche aussehen wird. Aber wenn man von einer solchen Zeitenwende ausgeht, wird sich HR noch mehr als bisher mit seiner eigenen Flexibilisierung beschäftigen müssen, unter der Fragestellung: Wie kann HR etwas tun, das dem Unternehmen noch mehr Nutzen bringt, aber der Gesellschaft nicht schadet? Damit verbunden ist hier natürlich auch die Frage, wie sich Unternehmen in den nächsten 10 oder 20 Jahren weiterentwickeln werden.

Welche Entwicklungen werden die HR-Arbeit in den nächsten Jahren prägen?

Der durch die nächsten Generationen ausgelöste Wertewandel wird HR sicher stark verändern. Gleichzeitig wird sich der Fachkräftemangel noch weiter verschärfen. Zudem wird das «Internet of Things» einen grossen Einfluss auf die Entwicklung des HR haben, denn dann «reden» die Maschinen selber miteinander und brauchen gar keine Menschen mehr. Durch die fortschreitende Digitalisierung werden bestimmte Berufsbilder aussterben, aber gleichzeitig neue Berufsbilder entstehen. Und ein letzter Punkt: Die Unternehmensreputation ist heute in den Zeiten von Social Media jederzeit durch jeden Mitarbeitenden in Gefahr. Das Risiko eines schweren Schadens für das Unternehmensimage ist heute immens höher als früher, und dieses Risiko sollte durch HR mittels geeigneter Massnahmen, vor allem im Bereich der Führung, möglichst gering gehalten werden. Am besten so, dass Mitarbeitende erst gar nicht auf die Idee kommen, sich über ihr Unternehmen in sozialen Medien negativ zu äussern.

Zur Person

Matthias Mölleney wechselte nach 20 Jahren in den Diensten der Lufthansa, davon die letzten 8 Jahre auf der obersten Managementebene, 1998 in die Schweiz. Dort war er Mitglied der Konzernleitung und Personalchef von Swissair, Centerpulse und Unaxis. 2006 gründete er mit seiner Frau die Beratungsfirma people-Xpert in Uster, die sich einerseits mit der Entwicklung und Einführung von modernen Personalmanagement-Konzepten beschäftigt, andererseits Unternehmen und Führungskräfte in Veränderungssituationen berät und begleitet. Seit Anfang 2010 leitet er das Center for Human Resources Management & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). Zudem ist er Präsident der Zürcher Gesellschaftfür Personalmanagement (ZGP).

www.peoplexpert.ch

www.fh-hwz.ch/de/centerforhrmleadership.htm

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