Experten-Interviews

November 2023

HR-Datenanalyse, strategische Personalplanung & Datenethik: «Die Analyse ergänzt die Intuition»

Bei weitreichenden (Personal-)Entscheidungen weiss man im Idealfall, wie die potenziellen Auswirkungen aussehen werden. Anstelle eines Blicks in die «Kristallkugel» werfen Führungskräfte im digitalen Zeitalter lieber einen Blick auf interne Datenquellen, bevor sie wichtige Beschlüsse fassen. Und hier kommt Herbert Burri ins Spiel. Als Leiter HR-Datenanalyse bei der Schweizerischen Post und Präsident von Swiss HR Analytics ist er in der Welt der HR-Daten zu Hause. Wir haben mit ihm über HR Analytics, KI und Datenethik gesprochen. Im Interview verrät er, wie sein Fachgebiet die strategische Personalplanung verbessert und warum Analysen am besten zusammen mit Intuition funktionieren.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

HR-Datenanalyse, strategische Personalplanung & Datenethik

Herr Burri, als Leiter HR-Datenanalyse bei der Schweizerischen Post sind Sie quasi der «Herr über alle HR-Daten» in Ihrem Unternehmen. Wie schlafen Sie nachts mit all dieser Verantwortung?
Gut, danke der Nachfrage! Die Verantwortung über diese Daten teile ich glücklicherweise mit anderen. Schon rein aus Sicht der Governance ist dies besser so. Es gibt bei der Post mehrere Dataowner, also Personen, welche pro Quellsystem die entsprechenden HR-Daten fachlich verantworten. Ich selbst bin verantwortlich für die Integration dieser Quelldaten in unsere Business Intelligence Tools und die anschliessenden Analysen, Visualisierungen und Interpretationen. Diese Verantwortung trage ich gerne.

Sie beschäftigen sich täglich mit HR Analytics. Für was steht der Begriff?
Unter HR Analytics verstehe ich die Anwendung von anspruchsvollen Datenanalysemethoden im HR-Umfeld. Unser Ziel ist, den Entscheidungsträgern des Unternehmens damit solide Grundlagen anzubieten und so in personalbezogenen Fragen bessere Entscheidungen zu ermöglichen – Entscheide, die nicht nur auf Erfahrung und Bauchgefühl basieren, sondern datenbasiert begründet werden können. Häufig wird auch von People Analytics oder Workforce Analytics gesprochen. Diese Begriffe verstehe ich als synonym.

HR Analytics ist somit nur etwas für Firmen mit einem Team von ausgefeilten Datenspezialisten?
Nein, keinesfalls. Ich finde, der Begriff HR Analytics greift meistens zu kurz. Deshalb spreche ich viel lieber von der HR-Datenanalyse. Diese umfasst aus meiner Sicht drei Kernelemente: die Methodik, die Dateninfrastruktur und die Kultur. Die Methodik umfasst drei Abstufungen, von einfachen Dashboards über anspruchsvollere Reportings bis hin zu komplexen Analytics Use Cases. Das zweite Element, die Dateninfrastruktur, umfasst die Daten an sich und die entsprechenden Tools für deren Speicherung, Bearbeitung und Analyse. Und drittens braucht es in Unternehmen eine Datenkultur. Darunter verstehe ich, dass die Personen mit Entscheidungsbefugnis und die HR-Mitarbeitenden im Unternehmen lernen, HR-Datenanalyse in die tägliche Arbeit zu integrieren. Meine Erfahrung zeigt, dass es durchaus möglich ist, klein anzufangen, beispielsweise mit einfachen Dashboards. Es ist jedoch wichtig, alle diese drei Kernelemente gleichzeitig zu fördern. Dafür braucht es nicht nur Datenspezialisten, sondern Brückenbauerinnen und Brückenbauer zwischen den Fachgebieten.

Warum beschäftigen sich immer mehr Unternehmen mit dem Thema? Oder anders gefragt: Geht es bald nicht mehr ohne?
Es ist auf jeden Fall weit mehr als nur ein Trend. Viele Firmen haben erkannt, dass Entscheide in Bezug auf den Personalkörper meist weitreichende Auswirkungen haben. Zudem wird es in vielen Branchen immer anspruchsvoller, gute Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten. Entsprechend will man diese Entscheide nicht dem Zufall überlassen, sondern möglichst grosse Klarheit haben über die Ausgangslage und die allfälligen Auswirkungen. Genau dazu eignet sich die HR-Datenanalyse. Sie hilft, einen Blick zurückzuwerfen, die Ist-Situation auszuleuchten und im besten Fall sogar eine Prognose in die Zukunft zu wagen. Auch helfen solche Analysen oft, blinde Flecken zu vermeiden. Sie fragen, ob es auch ohne HR-Datenanalyse geht? Selbstverständlich. Nur müssen Sie einfach damit rechnen, dass Ihre Konkurrenz mit der Zeit einen Wettbewerbsvorteil hat, weil sie bessere Entscheide für deren Belegschaft trifft.

Inwiefern verändert HR-Analytics die Personalarbeit?
In meinem Umfeld stelle ich fest, dass die Business-Vertretenden und das Management mit zunehmend grösseren Erwartungen an die HR-Teams herantreten. Als HR-Person reicht es nicht mehr aus, nur mit Erfahrung und Bauchgefühl zu argumentieren. Unsere Annahmen und Aussagen müssen mit Daten unterlegt sein. Ich glaube übrigens nicht, dass Erfahrung und Bauchgefühl nicht mehr zählen, ganz im Gegenteil: Die Analyse ergänzt die Intuition. Zeigt beides in die gleiche Richtung, haben Sie doppelt gute Argumente. Widersprechen sie sich, haben Sie eine hervorragende Diskussionsgrundlage. Eine weitere wesentliche Veränderung ist, dass die wichtigsten HR-Kennzahlen für die Führungspersonen jederzeit aktuell verfügbar sein sollen. Das erhöht die Anforderungen an Dashboards mit einem gewissen Grad an Self Service.

Welchen Stellenwert hat HR Analytics bei Ihrem Arbeitgeber?
Mittlerweile hat das Thema eine grosse Bedeutung. Als wir vor etwa vier Jahren damit begonnen haben, mussten wir das Thema HR-Datenanalyse intern bei den Unternehmensbereichen und der HR-Organisation noch bekannt machen. Heute kommen die verschiedenen Anspruchsgruppen aktiv auf uns zu, weil sie ihre Fragestellungen und Hypothesen mit unseren Methoden challengen und mit Daten untermauern wollen. Der Stellenwert von HR Analytics ist hoch und nimmt weiter zu. Die Post setzt sich zudem aktiv mit Datenethik auseinander und hat eine HR-IT-Strategie entwickelt, was unserem Thema ebenfalls dient. All dies hat dazu geführt, dass sich das HR der Post noch besser als Sparringspartner des Business etablieren konnte.

Was sind die drängendsten Fragestellungen, auf die Sie in Ihren Analysen Antworten finden möchten?
Die Themen sind breit gefächert. Wir haben mittlerweile praktisch zu jedem HR-Prozess Use Cases durchgeführt. Die Themen, die uns jedoch am meisten beschäftigen, sind die strategische Personalplanung, diverse Fragestellungen rund um die Gesundheit der Mitarbeitenden, Themen bezüglich Diversität und Inklusion, aber auch New Work oder Arbeitsweganalysen. In all diesen Themen gibt HR Analytics strategische Antworten, die dann oftmals in konkreten Massnahmen operativ umgesetzt werden können.

Können Sie ein konkretes Erfolgsbeispiel aus Ihrem Unternehmen beschreiben?
Die strategische Personalplanung, die wir vor zweieinhalb Jahren entwickelt haben, ist eine Erfolgsstory. Das Management eines Teilbereichs der Post sah in seiner Finanzplanung einen erheblichen Rückgang des Umsatzes für die kommenden ein bis zwei Jahre vor, bevor die eingeleiteten Massnahmen wirken und die Ergebnisse wieder ansteigen würden. Darum wurde im Managementteam bereits von einem Einstellungsstopp und von angekurbelten Frühpensionierungen gesprochen. Darauf hat unser HR-Analytics-Team die Finanzplanung des Bereichs mit der prognostizierten Entwicklung des Personalkörpers abgestimmt. Basierend auf dem aktuellen Bestand haben wir dafür sowohl die ordentlichen Pensionierungen als auch die Wahrscheinlichkeiten für die Fluktuation und die Frühpensionierungen für die folgenden vier Jahre prognostiziert. Wir konnten so aufzeigen, dass das Management trotz rückläufigem Geschäft kein Personal einsparen, sondern in hohem Mass weiter Leute einstellen sollte, um nicht in einen Engpass zu gelangen. Schon ein halbes Jahr nach dieser ersten Analyse zeigte sich, dass unsere Prognose sehr gut zutrifft. Das war ein Highlight. Mittlerweile führen wir diese Form der strategischen Personalplanung für sämtliche Bereiche der Post durch.

«Garbage in – Garbage out» – Wenn die Daten, die für eine Analyse verwendet werden, von minderer Qualität sind, ist auch das Ergebnis wenig brauchbar. Wie sorgen Sie für eine hohe Datenqualität?
Indem wir mit den Daten arbeiten. Meist treten Qualitätsmängel erst in den Analysen zutage. Das Thema der Datenqualität ist sehr wichtig und gleichzeitig sehr anspruchsvoll. Wenn jemand auf die Ergebnisse einer Analyse schaut und sagt: «Das kann nicht stimmen», dann suchen wir mögliche Fehler und gehen konsequent zurück bis zur Datenquelle. Das ist der am häufigsten eingeschlagene Weg, um den «Garbage» zu finden und zu beheben. Ein zunehmendes Gewicht liegt zudem auf dem Data Engineering. Wenn wir neue Datenquellen schaffen, schauen wir heute viel genauer hin und stellen sicher, dass die Daten von Beginn weg konsistent sind und in guter Qualität zur Verfügung stehen.

Künstliche Intelligenz, etwa im Bereich maschinelles Lernen, wird immer leistungsstärker. Setzen Sie KI auch in Ihrem Bereich ein?
Selbstverständlich haben wir schon diverse Tests mit ChatGPT und anderen Anbietern gemacht, aber auf keinen Fall mit Personaldaten oder weiteren firmeninternen Daten. Die Anbieter dieser Technologien können bislang nicht garantieren, dass die eingegebenen Daten nicht für das weitere Training der KI genutzt werden. Aus Sicht Datenschutz und Datensicherheit ist dies deshalb für uns nicht zulässig. Wir verfolgen die Entwicklung dieser Large Language Models jedoch sehr genau. Sobald die beschriebenen Herausforderungen gelöst sind, werden wir bestimmt erste Versuche mit KI-Technologien starten und Erfahrungen sammeln, wie wir diese sinnvoll für die HR-Datenanalyse nutzen können.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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