Experten-Interviews

Ausgabe Februar 2017

HR-Barometer: Ausgesprochene Kontinuität und Stabilität

Seit 2006 geben die Universität Zürich und die ETH Zürich den HR-Barometer heraus. Dieser erfasst, wie Beschäftigte in der Schweiz ihre Arbeitssituation erleben. Mitherausgeber Bruno Staffelbach verrät im Interview, wie es um die Zufriedenheit steht.

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Kevin Hofer

 

Kevin Hofer war Chefredaktor des HR-Magazins personalSCHWEIZ.

HR-Barometer

personalSCHWEIZ: In den letzten zehn Jahren haben Sie neun HR-Barometer herausgegeben. Was lässt sich allgemein zur Zufriedenheit der Beschäftigten in der Schweiz sagen?

Bruno Staffelbach: Im Grossen und Ganzen lässt sich sagen, dass die Zufriedenheit der Beschäftigten in der Schweiz erstaunlich hoch ist. Das Commitment der Beschäftigten gegenüber den Arbeitgebern ist hoch und befindet sich gar in einem leichten Aufwärtstrend. Die Frage ist, warum jemand zufrieden ist. Ist jemand zufrieden, weil sie oder er genau die Arbeitsbedingungen vorfindet, die er oder sie sucht? Oder ist jemand zufrieden, weil sie oder er zurzeit keine Alternative hat und sich mit dem Aktuellen zufriedengibt? Diese Personen sind dann eher resignativ zufrieden. Auch bei den Unzufriedenen gibt es unterschiedliche Typen. Beispielsweise solche, die sich sagen, dass es so nicht mehr weitergehen kann, und dies auch den Vorgesetzten kommunizieren, um Veränderungen in Gang zusetzen. Die braucht es auch, denn sie sind hoch innovativ. Wenn wir beim Barometer also feststellen, dass 79 Prozent zufrieden sind und 19 Prozent unzufrieden, müssen wir auch wissen, wieso sie zufrieden oder unzufrieden sind. So sind beispielsweise von den 79 Prozent der Zufriedenen 30 Prozent resigniert zufrieden.

Was erstaunt Sie an den Resultaten der letzten zehn Jahre am meisten?

Die ausgesprochene Kontinuität und Stabilität. In den letzten zehn Jahren hatten wir die Finanzkrise. In unseren Daten haben wir die fast gar nicht gefunden. Wir haben uns lange überlegt, wieso. Als die Finanzkrise ausbrach, haben wir gedacht, dass wir in unseren Erhebungen nun eine Fieberkurve sehen werden. Diese hat es aber nicht gegeben. Lediglich die Arbeitsplatzunsicherheit hat etwas zugenommen. Wir haben aber auch immer nur die Beschäftigten befragt. Zudem fanden die Befragungen immer betriebsintern statt. Bis sich eine Krise vom Finanzmarkt, über den Absatzmarkt, bis in die Organisationsstrukturen niederschlägt, geht es eine Weile. Das schlägt nicht ein wie der Blitz. Wir versuchten es uns so zu erklären. Aber die Fieberkurve blieb bis jetzt aus. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich in den letzten zehn Jahren so viel getan hat. Wenn sich in allgemeinhin volatilen Bereichen – wie den Arbeitsbeziehungen und den zwischenmenschlichen Beziehungen im Betrieb – im statistischen Mittel eine hohe Stabilität und Berechenbarkeiter gibt, ist das äusserst positiv.

«Die Arbeitsbeziehungen in der Schweiz haben eine Stabilität und eine ruhestiftende Berechenbarkeit, die den Kopf für Innovationund Kreativität frei macht.»

Kommt die Fieberkurve überhaupt noch?

Gemessen an den Beobachtungen und Interpretationen der letzten zehn Jahre, nein. Die Arbeitsbeziehungen in der Schweiz haben eine Stabilität und eine ruhestiftende Berechenbarkeit, die den Kopf für Innovation und Kreativität freimacht.

Der Barometer 2016 steht unter dem Schwerpunktthema «Loyalitätund Zynismus». Wieso Loyalität und Zynismus?

Alle Themen des Barometers betreffen die Arbeitsbeziehungen. Es handelt sich immer um zwischenmenschliche Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden,Tausch- und Vertragsbeziehungen. Loyalität und Zynismuspassen genau hier rein.

Was bedeutet Loyalität für Sie genau?

Wir fassen Loyalität relativ weit auf. Loyalität ist einerseits eine Beziehungsqualität vertikaler Art zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden. Dazu gehören Bindung, Commitment und Engagement. Wir fassen Loyalität aber auch auf einer horizontalen Ebene auf. Dort geht es um Loyalität zwischen Kolleginnen und Kollegen. Dort stellen wir uns zum Beispiel die Frage, wie Mitarbeitende miteinander umgehen.

Was hat es mit Zynismus auf sich?

Wir unterscheiden drei Arten von Zynismus. Denkt jemand zynisch über die Firma? Also glauben Angestellte beispielsweise tatsächlich an Aussagen des Unternehmens. Das nennen wir kognitiven Zynismus. Hat jemand zynische Gefühle gegenüber der Firma? Sind Mitarbeitendebeispielsweise beim Gedankenan das Unternehmen gereizt oderangespannt? Dann sprechen wir vonaffektivem Zynismus. Oder verhält sichjemand zynisch? Sprich, die Firma wirdbeim Gespräch mit Arbeitskollegen kritisiert.Zynismus ist eigentlich ein bewusstesDistanznehmen zu dem, was manwahrnimmt. Loyalität und Zynismus sindfolglich zwei Extreme eines Spektrums.Alle Themen des Barometers beruhen auf dieser Dualität. Es ist wie ein Pendel zwischen Punkten auf dem sich die Mitarbeitenden je nachdem befinden.

Bei Begriffen wie Dualität denkt man schnell an das Schema «Gut oder Schlecht». Inwiefern ist Loyalität gut?

Wie fast bei jeder Qualität ist zu viel davonwieder schlecht. Eine zu hohe Loyalitätgegenüber dem Unternehmen wäre Kadavergehorsam.Also eine unrefl ektierteÜbernahme von Aussagen der Vorgesetztenoder Kollegen. Damit ist keine Innovation,keine Kreativität mehr vorhanden.

Loyalität ist nicht per se gut, sondern zuviel davon ist wieder schlecht. Zynismus auf der anderen Seite kann auch positive Seiten beinhalten. Über zynisches Denken und Verhalten können gewisse Dinge adressiert werden, die es sonst nicht würden. Gibt es im Unternehmen beispielsweise einen Unterschied zwischen dem, was gesagt, und dem, was getan wird? Zynisches Verhalten kann dies ansprechen. Zynismus kann aber auch eine psychische Reaktion sein. Eine innere Distanznahme, damit man durch Geschehnisse in der Organisation oder einem Team nicht vereinnahmt wird. Zynismus kann also auch ein gewisser Rettungsanker sein. Loyalität ist demzufolge nicht nur positiv, sondern auch negativ, und das Gleiche gilt für Zynismus. Zynismus kann durchaus auch produktive Aspekte haben.

Jüngere Arbeitnehmende sind laut den Untersuchungen häufiger zynisch als ältere. Wie erklären Sie sich das?

Auf Basis der Barometerdaten kann man dies nicht sagen. Es lassen sich jedoch zwei Hypothesen formulieren. Erstens haben ältere Mitarbeitende mehr Erfahrung als jüngere und sind deshalb mehr über der Sache. Sie verfallen vielleicht weniger schnell in Hektik, weil sie in ihrem Lebengelernt haben, wann es wichtig ist, etwas zu unternehmen oder nicht. Sie verfüge nalso über eine etwas erhöhte innere und äussere Ruhe aufgrund ihrer Erfahrung. Zweitens sagen Jüngere aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur vielleicht rascher etwas. Die heutigen Jungen sind auch mit den neuen Medien aufgewachsen. Diese ermöglichen es auch, schneller und kürzer etwas abzusetzen. Alter und Erfahrung sowie psychologische Verfassung spielen sicherlich eine Rolle.

«Loyalität ist nicht per se gut, sondern zu viel davon ist wieder schlecht. Zynismus auf der anderen Seite kann auch positive Seiten beinhalten.»

Inwiefern können denn Personalverantwortliche Einfluss auf Loyalitätund Zynismus nehmen?

Loyalität sowie Zynismus sind nicht Produkte einer Betriebsmechanik. Sie lassen sich nicht erzeugen wie in einem Labor. Ausgewogene Loyalität und Zynismus ergeben sich. Sie ergeben sich aus dem Wechselspiel zwischen organisatorischen Bedingungen und psychologischen Voraussetzungen der Beschäftigten. Personalverantwortliche können günstige organisatorische Bedingungen schaffen und durch Personalausbildung und Rekrutierung auch günstige psychische Voraussetzungen in die Firma holen. Bei den organisatorischen Bedingungen sind das Bewusstsein, was für Versprechen direkt und indirekt gemacht werden, und das Einhalten dieser Versprechen von zentraler Bedeutung. Denn, wann ist jemand zynisch? Zum Beispiel, wenn er oder sie enttäuscht ist. Wann ist jemand enttäuscht? Wenn Versprechen beispielsweise nicht eingehalten werden. Personalverantwortliche sollten sich darüber Gedanken machen, was für Versprechen gemacht werden.

Lesen Sie das komplette Interview in der Februar-Ausgabe von personalSCHWEIZ. personalSCHWEIZ jetzt abonnieren

Zur Person

Prof. Dr. Bruno Staffelbach ist ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre und Rektor der Universität Luzern. Von 1992 bis 2016 war er Inhaber des Lehrstuhlsfür Human Resource Management der Universität Zürich. Seine akademischen Interessengebiete sind Human Resource Management und Management-Ethik. Seit 2006 ist er Mitherausgeber des Schweizer Human-Relations-Barometer, welcher mithilfe einer repräsentativen, regelmässig durchgeführten und differenzierten Befragung von Beschäftigten in der Schweiz sowohl die Beziehung zwischen Arbeitnehmenden und ihrem Arbeitgeber als auch das aktuelle Arbeitsklima in Unternehmen der Schweiz detailliert untersucht. Zudem war Bruno Staffelbach Kommandant einer Infanteriebrigade der Schweizer Armee, Gutachter und Mitglied verschiedener Beiräte und wissenschaftlicher Vereinigungen u.a. des European Institute for Advanced Studies in Management (EIASM).

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