Experten-Interviews

Juni 2024

Flexibles Arbeiten, Jobsharing & Arbeitszeit: «Offen sein und es einfach ausprobieren»

Immer mehr Arbeitnehmende wünschen sich flexible Arbeitsformen, um ihr Privatleben besser mit dem Beruf vereinbaren zu können. Aber was macht eigentlich einen flexiblen Arbeitgeber aus? Für Hamiyet Dogan, Leiterin HR Schweiz bei Helvetia Versicherungen, bedeutet «flexibles Arbeiten», an jenem Ort tätig zu sein, wo man die beste Leistung erbringen kann. Wir haben mit ihr über Teilzeitarbeit und die Herausforderungen beim hybriden Arbeiten gesprochen. Wie Jobsharing auf Führungsebene gelingt, und welche Chancen und Hürden damit verbunden sind, verrät die zweifache Mutter im Interview.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Flexibles Arbeiten, Jobsharing & Arbeitszeit

Frau Dogan, flexible Arbeitsformen sind ein Teil der «Helvetia-Kultur». Inwiefern nutzen Sie diese selbst in Ihrem Arbeitsalltag? 
Ich nutze die Möglichkeiten der flexiblen Arbeitsformen täglich. In meiner Rolle schätze ich es sehr, dass ich in all unseren Büros arbeiten und so den persönlichen Austausch fördern kann. Genauso kann ich auch mal in Ruhe ein paar Stunden konzentrierte Arbeit zu Hause verrichten. So bin ich insgesamt leistungsfähiger.

Gefühlt jedes Unternehmen präsentiert sich als «flexibler Arbeitgeber». In der Realität zeigt sich «Flexibilität » ganz unterschiedlich. Wie verstehen Sie in Ihrem Unternehmen den Begriff? 
Flexibles Arbeiten bedeutet bei uns, dass wir da arbeiten, wo wir die beste Leistung für unsere Kundinnen und Kunden erbringen können. Dies kann im Büro sein, aber genauso zu Hause. Einzuschätzen, wo Mitarbeitende am besten arbeiten, überlassen wir den Teams selbst.

Sind bei Ihrer Initiative «FlexOffice» wirklich keine Grenzen gesetzt, wo Mitarbeitende arbeiten möchten? 
Nein – sofern sich die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden gleichermassen bedienen lassen. Wie so oft gibt es natürlich auch hier Ausnahmen. So gibt es auch bei uns Berufsbilder, wo es notwendig ist, dass die Person vor Ort ist. Ein Beispiel ist das Team des Facility-Managements, bei dem Anwesenheit notwendig ist, damit diese ihrer Arbeit nachgehen können, welche meist nur vor Ort erledigt werden kann. Oder Teams mit einem Service Level Agreement arbeiten weiterhin gemäss dieser Vereinbarung. Sofern die Arbeit jedoch wie bei vielen klassischen Büroarbeiten genauso gut von einem anderen Ort aus machbar ist, sind dem FlexOffice eigentlich keine Grenzen gesetzt. Wer wann wo arbeitet, wird im Team entschieden. Die meisten Teams haben pro Woche einen fixen Bürotag, an dem alle zusammen im Büro arbeiten.

Wie viele Ihrer Mitarbeitenden arbeiten vollständig remote resp. von zu Hause aus? 
Da wir neue und sehr coole Büroräume bekommen haben, kommen viele Mitarbeitende an unseren Standorten gerne und freiwillig ins Büro. Wir haben sog. Activity-Based-Zonen eingerichtet, Begegnungszonen für unterschiedliche Arbeiten. Von der Projektarbeit über Teamanlässe bis hin zu ruhigem Arbeiten inkl. Rückzugsmöglichkeiten bieten unsere Büros für alle Bedürfnisse etwas. In Basel haben wir ausserdem eine neue Dachterrasse, wo wir bei einem Kaffee oder am Abend als Team den Ausblick über die Dächer von Basel gemeinsam geniessen können. 100% von zu Hause aus arbeitet bei uns daher niemand. Man ist remote, unterwegs oder eben vor Ort. Bei Helvetia setzen wir viel auf Teamarbeit, und die Begegnung mit Menschen ist zentral.

Wie stehen Sie dem Thema «Workation » gegenüber? 
Grundsätzlich gilt auch hier, dass man da arbeiten soll, wo man die beste Leistung für sich und sein Team erbringt. Hier sind wir aber an zusätzliche gesetzliche Vorgaben gebunden, die wir natürlich einhalten.

Bei allen Vorteilen bringt flexibles Arbeiten auch einige Herausforderungen mit sich. Wie gehen Sie mit diesen um? 
Bei der Einführung von FlexOffice standen wir sicher vor grösseren Herausforderungen, da diese Art zu arbeiten neu für Helvetia war. Das ist aber Vergangenheit. Wir leben FlexOffice im Alltag. Die Teams haben gelernt, damit umzugehen, und die Führungskräfte haben verstanden, dass kein Weg mehr zurückführt. FlexOffice hin oder her, Menschen mögen Menschen. Wir sind alle gerne unter Menschen, tauschen uns gerne aus, arbeiten gerne in Teams und haben Spass zusammen. Aktuell steht daher bei der Helvetia die Zugehörigkeit im Vordergrund. Wir werden alles daransetzen, dass wir uns weiterhin als TeamHelvetia zusammengehörig fühlen, weil uns das weiterbringen wird.

Welche Tipps haben Sie für erfolgreiches Hybrid-Arbeiten? 
Als Erstes muss eine einwandfreie technologische Basis für Kollaboration im Remote- Modus sichergestellt werden. Auch verbindliche Regeln für Erreichbarkeit, Kommunikationskanäle und Meetings sind zentral. Und wie immer ist eine klare Kommunikation das A und O, sei dies in der direkten Zusammenarbeit oder aber auch betreffend Erwartungen und Feedback. Und mein persönlicher Tipp: Für mich ist es wichtig, dass mein Arbeitsplatz zu Hause ein Wohlfühlplatz ist, an dem ich gerne bin und nicht abgelenkt werde.

Welche Auswirkungen hat flexibles Arbeiten auf die Arbeitsproduktivität? 
Wir messen das natürlich, und es gab bis dato keine negativen Auswirkungen bei Helvetia.

Bei flexiblem Arbeiten sind die Grenzen von Arbeit und Freizeit fliessend. Wie kann verhindert werden, dass eine «Always-on»-Kultur entsteht, bei der Mitarbeitende nicht mehr richtig abschalten können? 
Feierabend ist Feierabend, Ferien sind Ferien. Da erwarten wir von jedem und jeder Mitarbeitenden auch Selbstverantwortung. In einigen Teams oder Berufen ist dies natürlich einfacher einzuhalten als in anderen. Wir haben bei der Helvetia keine Verpflichtung, die geschäftlichen Mails und Benachrichtigungskanäle auf dem privaten Mobiltelefon zu installieren. Und in den verschiedenen Bereichen sind auch teilweise Regelwerke erlassen worden, zu welchen Zeiten Meetings stattfinden und bis wann Kolleginnen und Kollegen auf den Mobiltelefon angerufen werden dürfen. Zudem gibt es in Microsoft Teams, welches wir verwenden, einige Tricks und Tipps, wie man zwischen Terminen zehnminütige Verschnaufpausen einbuchen kann. So geht es nicht Schlag auf Schlag ins nächste virtuelle Meeting.

Arbeitsrechtliche Bestimmungen setzen der Flexibilität beim Arbeiten Grenzen. Sollten diese der modernen Arbeitswelt angepasst werden? 
Eine schwierige Frage. Die Gesetze sind ja dazu da, die Mitarbeitenden zu schützen. Dass wir solche Gesetze haben, ist sehr wertvoll. Aber natürlich ändern sich auf der anderen Seite die Arbeitswelt und die Gesellschaft stetig, was bedeutet, dass irgendwann auch die Gesetzeslage angepasst werden muss.

Was halten Sie von der einsetzenden Gegenbewegung «Alle wieder zurück ins Büro»? 
Wir haben gemerkt, dass das FlexOffice sehr gut funktioniert. Der Umsatz und die Zufriedenheit stimmen. Laut Umfrage sind über 90% der Mitarbeitenden stolz, für die Helvetia zu arbeiten. Deshalb sehen wir keinen Grund, unseren Mitarbeitenden das ihnen entgegengebrachte Vertrauen wieder zu entziehen. Sie sollen weiterhin da arbeiten, wo sie für sich die beste Leistung erbringen können.

Neben der freien Wahl des Arbeitsorts gehört auch die Wahl des Arbeitspensums zur Flexibilität. Wie viele Stellen bieten Sie auch in Teilzeit an? 
Bei uns sind alle Stellen mit 50–100% ausgeschrieben – und das schon seit einigen Jahren. Wir haben Jobsharingund auch Topsharing-Möglichkeiten und leben diese auch vor. Bei einer Anstellung kann man von Anfang an besprechen, wie viel Pensum verlangt wird. Wir leben hier eine offene Kultur und haben sehr viele Teilzeitstellen.

Frauen arbeiten häufiger Teilzeit als Männer. Wie hoch ist der Anteil an männlichen Teilzeitmitarbeitenden bei Helvetia? 
Von insgesamt 25% Teilzeitstellen besetzen Männer ca. 8% dieser Teilzeitstellen.

Teilzeitstellen sind oft mit einem weniger interessanten resp. verantwortungsvollen Aufgabengebiet verbunden. Kann Jobsharing – das Aufteilen einer Vollzeitstelle auf mehrere Mitarbeitende – dem entgegenwirken? 
Jobsharing ist sicher ein Weg, um qualifizierten Talenten die Möglichkeit zu bieten, in einer Teilzeitstelle ihre Ambitionen auszuleben. Aber bei uns findet man genauso inhaltlich interessante Stellen in Teilzeit, ohne gleich ein Jobsharing daraus machen zu müssen.

Sie bieten in Ihrem Unternehmen jede Stelle im Jobsharing an. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? 
Durchaus positive. Wir haben einige gute Beispiele, wo dies funktioniert und auch Bewerbungen im Tandem für so eine Stelle eingingen. Für meinen Geschmack wird dieses Angebot aber noch zu wenig genutzt. Da haben wir sicherlich Aufholbedarf.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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