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Experten-Interviews
Flexible Arbeitsmodelle: Diversity muss Teil der DNA sein
personalSCHWEIZ: Frau Seitz, was verstehen Sie bei der AXA Winterthur unter Diversity?
Yvonne Seitz: Bei der AXA geht es darum, die Vielfalt der Mitarbeitenden bestmöglich zu nutzen, also unterschiedliche Stärken zusammenzuführen. Dies machen wir aus der Überzeugung heraus, dass das Zusammenführen unterschiedlicher Blickwinkel zu besseren – weil umfassender durchdachten – Lösungen führt. Kommt hinzu, dass unsere Kundschaft ja auch sehr heterogen ist. Umso wichtiger ist es daher, auch intern über diese Vielfalt zu verfügen. Hätten wir beispielsweise nur junge Mitarbeitende, würden aber Produkte für ältere Menschen entwickeln, würden uns wesentliche Sichtweisen besagter Zielgruppe fehlen. Die von uns angestrebte Heterogenität bezieht sich neben der Ge-nerationenvielfalt auch auf Gender-Diver-sity respektive auf generell durchmischte Teams. Gerade mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung braucht es heute an vielen Schnittstellen sowohl «junges Wissen» als auch die Erfahrung unserer langjährigen Mitarbeitenden – und dies aus unterschiedlichsten Abteilungen.
Warum engagiert sich die AXA Winterthur so stark in diesem Bereich? Was ist der konkrete Mehrwert für das Unternehmen?
Der Nutzen zeigt sich in zweierlei Hinsicht, nämlich aus Arbeitgebersicht und aus Kunden- respektive Marktsicht. Als Unternehmen können wir uns dank flexibler Arbeitsmodelle, familienfreundlicher Strukturen und einer diversity-affinen Kultur als attraktive Arbeitgeberin positionieren. Dadurch bewerben sich mittlerweile Personen bei uns, die sich sonst nicht für die AXA Winterthur als Arbeitgeberin interessiert hätten. Eine interne Umfrage ergab, dass flexible Arbeitsmodelle – neben dem Jobinhalt – der zweithäufigste Grund sind, warum Mitarbeitende zu uns kommen. Ein weiterer Nutzen besteht darin, dass wir Mitarbeitende auch dann behalten können, wenn sich private Rahmenbedingungen verändern, wie beispielweise durch Familiengründung, Weiterbildung oder den Wunsch nach schrittweiser Pensionierung. Das spart Rekrutierungskosten und hält das Wissen im Unternehmen. Und aus Marktsicht bedeutet unsere durch Diversität geprägte Unternehmenskultur, dass wir die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden besser verstehen und passendere Angebote machen können.
«Familienfreundlichkeit generiert einen ROI von 8 Prozent. Diversity muss jedoch erfahren werden, eine rein kognitive Betrachtung reicht nicht aus.»
Gibt es für die AXA Winterthur hierdurch messbare ökonomische Vorteile?
Diverse Studien belegen einen messbaren ökonomischen Vorteil. So zum Beispiel die Prognos-Studie, die zeigt, dass Familienfreundlichkeit einen Return on Investment (ROI) von 8 Prozent generiert, oder eine McKinsey-Studie, die darlegt, dass gender-durchmischte Führung eine 58 Prozent bessere Performance mit sich bringt. Ein rein quantitativer Wert ist meines Erachtens aber schwierig zu beziffern, doch machen familienfreundliche Massnahmen, flexible Arbeitsmodelle un d gemischte Teams generell einfach Sinn. Wenn man Diversity nur auf der quantitativen Ebene betrachtet und sie nicht als eine für die Mitarbeitenden erfahrbare, sich kontinuierlich entwickelnde Unternehmenskultur erlebt, würde man nur eine Seite der Medaille betrachten: Diversity muss erfahren werden, eine rein kognitive Betrachtung reicht nicht aus.
Mit dem Programm «Flexwork» setzen Sie verstärkt auf flexible Arbeitsmodelle. Was bieten Sie hier konkret an?
Als beispielsweise eine Senior Managerin nach der Geburt ihrer Tochter ein 60-Prozent-Pensum anstrebte, ihr Vorgesetzter aufgrund der Erreichbarkeit aber ein 80-Prozent-Pensum bevorzugte, einigte man sich, dass besagte Managerin jeden Vormittag ins Büro kam, dafür aber ihrem Wunsch nach 60 Prozent entsprochen wurde, sodass sie jeden Nachmittag Zeit für ihr Kind hatte. Flexibilität kann bei AXA Winterthur also sehr verschiedene Gesichter haben, so wie die Motive, flexibel zu arbeiten, auch sehr unterschiedlich sind. Flexibilität kann auch bedeuten, dass die Stunden eines Vollzeitpensums flexibel verteilt werden, beispielsweise weil jemand über den Mittag länger Sport machen will. Zudem haben wir für unsere älteren Mitarbeitenden unser Senior-Flex-Modell. Ein Modell, das es Mitarbeitenden ab dem 58. Altersjahr erlaubt, das Arbeitspensum um 20 Prozent zu reduzieren, dies aber unter der Beibehaltung des 100 Prozent versicherten Lohns in der Pensionskasse. Seit Kurzem ist auch unser neues Pilotprojekt «Popup-Office» angelaufen. Das sind externe Büros respektive Räumlichkeiten, die Personen nutzen können, wenn sie viel unterwegs sind und für die es keinen Sinn macht, noch für einige wenige Stunden ins Büro zu fahren. In unseren neuen Räumlichkeiten in Winterthur haben wir auch sogenannte Desk-Sharing-Arbeitsplätze, das heisst, zwei Personen teilen sich ein Pult, weil sie beispielsweise beide 50 Prozent arbeiten, sowie sogenannte «Landeplätze» für Personen, die sehr viel unterwegs sind und nur mal schnell einen Zwischenhalt im Büro machen wollen.
Um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, haben Sie ein Gender-Mentoring-Programm initiiert. Wie kam es dazu?
Als wir unser Diversity-Programm 2008 starteten, begannen wir mit einer Analyse. Diese zeigte deutlichen Handlungsbedarf hinsichtlich Gender-Diversity: So setzten sich damals sowohl der Verwaltungsrat als auch die Geschäftsleitung nur aus Männern zusammen, ebenso wie es auch im Senior Management nur wenige Frauen gab. Und dies, obwohl ungefähr die Hälfte unserer Mitarbeitenden Frauen waren. Um zu erkennen, wo die Stolpersteine liegen, die verhindern, dass auch Frauen bei uns Karriere machen, lancierten wir einen Workshop mit 60 internen Teilnehmerinnen. Ziel war es, diese Stolpersteine zu eruieren und zu beseitigen, sodass mehr Frauen in Führungspositionen nicht das eigentliche Ziel, sondern vielmehr die Konsequenz unserer Arbeit sein würde. Relativ rasch wurde deutlich: Unsere Frauen brauchen eine höhere Visibilität im Unternehmen, wünschten sich im Sinne eines ressortübergreifenden Austausches mehr Vernetzung und brauchten das Commitment der Geschäftsleitung, dass Geschlechter-vielfalt auch ehrlich erwünscht ist.
Was für weitere Schritte haben Sie dann unternommen?
Basierend auf diesen Inputs entwickelten wir dann das sogenannte Gender-Mento-ring, ein Programm, das Diversity erfahrbar macht und männliche Topmanager mit Frauen, die sich beruflich weiterentwickeln wollten, im Rahmen von Tandems vernetzt. Beide Seiten sollten von dieser erlebten Diversity profitieren: die männlichen Topmanager inklusive Geschäftsleitung unter anderem von einem neuen Blickwinkel auf das Unternehmen und die Frauen vom Netzwerk und der Erfahrung ihrer Mentoren. Dieses Programm haben wir fünf Jahre erfolgreich durchgeführt, wobei während der gesamten Zeit die ganze Geschäftsleitung aktiv mit von der Partie war, ebenso wie rund ein Drittel der männlichen Topmanager sowie über 250 Frauen. Das Programm hat viel bewirkt und unterschiedlichste Erkenntnisse auf beiden Seiten geliefert. Aus diesem Programm haben wir vor einem Jahr unser sogenanntes 380-Grad-Mentoring weiterentwickelt – ein Mentoring-Pro-gramm, das Diversity in einem breiter abgestützten Rahmen erlebbar macht. Insofern ist 380 Grad kein Rechenfehler, sondern suggeriert vielmehr, dass mehr entsteht, wenn verschiedene Blickwinkel zusammenkommen. Ein Teil unserer Mentoring-Tandems beschäftigt sich heute immer noch mit dem Thema «Gen-der», ein Teil mit dem Thema «Age», also der Kombination von jungen und erfahrenen Mitarbeitenden, und ein Teil mit dem Thema «Flexible Arbeitsmodelle».
«Die Anzahl Männer, die Teilzeit arbeiten, ist bei uns seit 2008 um über 50 Prozent gestiegen.»
Teilzeit für Männer wird in vielen Unternehmen immer noch ziemlich kritisch betrachtet. Was tut die AXA Winterthur für Männer, die ein Teilzeitpensum anstreben?
Teilzeit ist in der AXA nicht nur Frauen vorbehalten, sondern ein Modell, das ebenso Männern offensteht. Gerade weil immer mehr Männer auch Familienpflichten übernehmen wollen, eine Aus- oder Weiterbildung absolvieren, Zeit in ein nebenberufliches Standbein investieren oder sich sukzessive pensionieren lassen möchten, wird Teilzeit immer mehr auch von Männern nachgefragt – übrigens nicht selten auch bereits bei der Anstellung. Aktuell arbeiten 17 Prozent aller Männer Teilzeit – und dies mittlerweile auf allen Stufen, das heisst vom Mitarbeitenden bis hinauf in die Geschäftsleitung. Interessant ist, dass die Anzahl Männer, die Teilzeit arbeiten, seit der Einführung von Diversity im Jahre 2008 um über 50 Prozent gestiegen ist. Damit solche Arbeitsmodelle nicht nur auf dem Papier existieren, sondern als gelebte Wirklichkeit erfahren werden, ist nebst einer internen Sensibilisierung auch das Kommunizieren von Rollenmodellen essenziell.
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Zur Person
Yvonne Seitz ist seit 2006 Head Diversity & Family Care und seit September 2015 Head Diversity & Employer Attractiven-ess bei der AXA Winterthur. Nach ihrem Studium in Germanistik und Medienwissenschaft an der Universität Bern war sie von 1998 bis 2006 Redaktorin, Moderatorin und Produzentin beim Schweizer Fernsehen. Die zweifache Mutter, die selbst Teilzeit arbeitet, schreibt nebenberuflich eine Kolumne, hat diverse Lehrtätigkeiten inne und sitzt seit 2014 im Stiftungsrat der AXA-Stiftung «Generationen-Dialog». Für ihre herausragende Diversity-Arbeit haben Yvonne Seitz und die AXA Winterthur schon mehrere Preise erhalten, so unter anderem 2011 den Prix Balance des Kantons Zürich, 2012 die Zertifizierung Beruf und Familie der Fachstelle UND sowie 2014 den nationalen Gleichstellungspreis Prix Egalité.
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