Experten-Interviews

April 2023

Entsendung, Expats und Internationales HRM: «In manchen Fällen wird am falschen Ende gespart»

International ausgerichtete Unternehmen sind oft auf Talente aus dem Ausland angewiesen. Und auch Schweizer Arbeitnehmende werden nicht selten in ausländische Niederlassungen entsandt. Die Global-Mobility-Expertin Friederike Ruch beschäftigt sich seit 27 Jahren mit den vielfältigen Fragen und Herausforderungen im Zusammenhang mit Entsendungen. Wir haben mit der Geschäftsführerin von CONVINUS über rechtliche Hürden, gerechte Löhne im internationalen Kontext und kulturelle Barrieren gesprochen. Warum sie manchmal auch von einer Entsendung abrät, verrät sie im Interview.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Entsendung, Expats und Internationales HRM

Frau Ruch, Sie arbeiten seit über 25 Jahren im Bereich Global Mobility und internationale Mitarbeiterentsendung. Was fasziniert Sie an diesem Themengebiet?
Mich fasziniert die Vielschichtigkeit und Komplexität, gepaart mit der ausgeprägten Internationalität dieses breiten und herausfordernden Themengebiets, was einen selbst gerade als Berater täglich fordert und eine ständige intensive und vielschichtige Weiterbildung erfordert.

Eine stets interessante Herausforderung ist es insbesondere auch, die bestmögliche Lösung zu finden, damit die internationalen Mitarbeitereinsätze sowohl für das entsendende Unternehmen als Kunde wie auch für den entsandten Mitarbeitenden zu einem Erfolg werden. Bei der Suche nach teils ganz individuellen Lösungen wird man immer wieder mit den verschiedensten ausländischen Gesetzgebungen weltweit konfrontiert. Diese gilt es dann mit den Schweizer Gesetzesregelungen «unter einen Hut zu bringen».

Welche sind die grössten Veränderungen in diesem Feld, seit Sie sich damit beschäftigen?
Mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die internationale Arbeitswelt wurden die Unternehmen und Mitarbeitenden vor ganz neue Herausforderungen gestellt. «Remote Working» beziehungsweise «Workation» waren zwar schon früher präsent, gewannen aber mit Corona «schlagartig» nochmals stark an Bedeutung in den Unternehmen. Dies gilt wohl auch für die nächsten Jahre.

Seit vielen Jahren ist ausserdem der recht starke Trend weg von langfristigen Entsendungen mit guten und insbesondere früher sehr guten «Entsendungspaketen» hin zu eher mittel- und kurzfristigen Entsendungen bzw. zu kurzfristigen internationalen Projekteinsätzen festzustellen. Ausserdem wird dem Thema «Compliance» in Schweizer Unternehmen heute eine viel höhere Wichtigkeit zugebilligt als früher.

Sie bieten mit CONVINUS eine breite Palette an Dienstleistungen im Bereich Entsendung und Global Mobility an. In welchen Bereichen suchen Unternehmen am häufigsten Ihre Unterstützung?
Zu den Schwerpunkten unserer täglichen Beratungstätigkeit gehört zum Beispiel die Unterstützung von Unternehmen bei der Planung, Strukturierung und Durchführung von internationalen Mitarbeitereinsätzen. Dies beginnt bei der Erstellung oder Überarbeitung von Entsendungspolicies als Grundlage und geht weiter zu Payrollfragen, Versicherungs- und Vorsorgethemen sowie Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen. Zentral sind ausserdem Entsendungsverträge, die ganz individuell auf Basis der vereinbarten Entsendungskonditionen und unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzgebungen im ausländischen Land, in das entsendet werden soll, erstellt werden.

Worin unterscheiden sich die Fragestellungen von KMU und multinationalen Unternehmen?
Die eigentlichen Fragestellungen unterscheiden sich grundsätzlich nicht stark. Der Unterschied liegt insbesondere bei den zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen und Strukturen, welche bei multinationalen Unternehmen viel ausgeprägter sind. Aufgrund der höheren Anzahl an Entsendungen haben deren Mitarbeitenden eine grössere Erfahrung beziehungsweise einen höheren Spezialisierungsgrad.

Sind internationale Mobilitätsprogramme resp. internationales Recruiting die Antwort auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel?
Internationale Mobilitätsprogramme sind sicherlich hilfreich, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und um Fachkräften eine interessante Karriereperspektive zu bieten. Um Fachkräfte am Ende für das eigene Unternehmen gewinnen zu können, braucht es heutzutage allerdings noch mehr. Hierzu zählen zum Beispiel eine generell im Unternehmen vorhandene Flexibilität sowie die Möglichkeit von «Remote Working» oder auch eine 4-Tage-Woche.

Entsendungen sind oft eine kostspielige Angelegenheit. Raten Sie Ihren Kunden in gewissen Fällen auch davon ab?
Ja, das ist in den letzten 25 Jahren selbstverständlich schon einige Male vorgekommen. Wir verstehen uns als «Sparringspartner» für unsere Kunden, der seine langjährige Erfahrung in die Beratung aktiv miteinbringt und offen kommuniziert.

Ich erinnere mich an einen Kunden, ein international tätiges Schweizer Unternehmen, das vor einigen Jahren eine Führungskraft für den Aufbau eines Produktionsstandorts für drei Jahre nach China entsenden wollte. Die Frau des Mitarbeiters und seine beiden zwölf- und 17-jährigen Kinder sollten ihn für den Entsendungszeitraum nach China begleiten, wobei eines der Kinder gesundheitlich angeschlagen war und das ältere Kind kurz vor der Matura stand. Aufgrund der familiären Situation und der Abgelegenheit des Entsendeorts hatten wir damals empfohlen, nur den Mitarbeiter nach China zu entsenden, dafür der Familie die Reisekosten für die Besuche in China resp. die Heimflüge des Mitarbeiters zu bezahlen. Dies war am Ende für das Unternehmen wesentlich günstiger und hat sich auch für die Familie als die bessere Lösung herausgestellt. Das mögliche Risiko eines vorzeitigen Abbruchs der Entsendung konnte damit stark reduziert und am Ende verhindert werden.

Was sind häufige Risiken bei einer Entsendung?
Da gibt es einige: zum Beispiel eine fehlende gültige Arbeitsbewilligung, eine nicht genügende oder falsche Versicherungsdeckung oder auch eine fehlerhafte Besteuerung sowie das Nichteinhalten von arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Nicht zu unterschätzen ist auch das Betriebsstättenrisiko. Abhängig von der Art der Entsendung und dem Zielland treten die Risiken unterschiedlich häufig auf. Zusätzlich können im Laufe einer Entsendung auftretende familiäre Probleme zu einem Risiko für eine Entsendung werden. Bei einem vorzeitigen Abbruch der Entsendung entstehen dem Unternehmen hohe zusätzliche Kosten.

Kulturelle Unterschiede sind ein grosses Thema im internationalen Kontext. Wie können Unternehmen zum Beispiel ihre von der Muttergesellschaft definierten Werte umsetzen, ohne dabei in Konflikt mit den Vorstellungen von Mitarbeitenden von Tochtergesellschaften zu geraten?
Das ist richtig. Sehr häufig wird das Thema interkulturelle Kompetenz gerade im Zusammenhang mit den Ländern unterschätzt, welche man vermeintlich gut zu kennen meint. Hier entstehen dann meistens aus Unkenntnis viele Fehler und Missverständnisse, die vermeidbar wären und welche insbesondere bei entsendeten Führungskräften in der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden zu schwerwiegenden Differenzen führen können. Je mehr Führungsverantwortung eine entsandte Person hat, beziehungsweise je höher diese in der Unternehmenshierarchie am Einsatzort steht, desto wichtiger ist dies. Wir empfehlen den Entsandten und meist auch deren begleitenden Familien in den meisten Fällen, vor der Entsendung eine interkulturelle Schulung
als Vorbereitung zu besuchen.

Was sind häufige Probleme bei der interkulturellen Kommunikation?
Hier geht es vor allem um die Wahrnehmung und die Sensibilisierung für die kulturellen Unterschiede, um mögliche entstehende Missverständnisse aufgrund von mangelhafter verbaler, aber auch nonverbaler interkultureller Kommunikation zu vermeiden.

Wie kann Konflikten vorgebeugt werden?
Durch eine offene und transparente Kommunikationskultur sowie die Schulung von interkulturellen Unterschieden. Dies ist besonders wichtig in multikulturellen Teams, welche möglicherweise auch nicht am gleichen Ort arbeiten.

Wie lange dauert es durchschnittlich, bis sich entsendete Mitarbeiter, sogenannte Expats, im Job und am neuen Wohnort eingelebt haben?
Das ist individuelle sehr unterschiedlich und hängt stark vom Entsendeten selbst sowie den Mitarbeitenden am Einsatzort resp. dem Einsatzort selbst ab. In der Regel geht man davon aus, dass nach etwa drei bis sechs Monaten Eingewöhnungszeit sich die Entsendeten am neuen Einsatz- und Wohnort eingelebt haben sollten.

Wie können Firmen ihre Expats bei der Eingewöhnung unterstützen?
Als ich vor 27 Jahren im Bereich Internationale Mitarbeiterentsendung begonnen habe, waren sehr grosszügige Entsendungspakete allgemein über alle Branchen hinweg üblich. Dies hat sich sehr stark geändert, und wir sind im Moment eher im Bereich, dass tendenziell nur das Minimum gezahlt wird. Allerdings bin ich der Meinung, dass in manchen Fällen auch am falschen Ende gespart wird. Die Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung sowie bei den Formalitäten zu Beginn empfinde ich zum Beispiel als sehr sinnvoll.

Aufgrund der zurückhaltenden Art ihrer Bewohner*innen gilt die Schweiz als schwieriges Land für Expats. Wie nehmen Sie die Situation wahr?
Von Expats wird im Allgemeinen an der Schweiz sehr geschätzt, dass eigentlich überall auch Englisch gesprochen wird und «die Schweizer» meistens von sich aus versuchen, die Sprache des Gegenübers zu sprechen. Generell empfehlen wir auch hier ein möglichst vorgängiges interkulturelles Training, um bestimmte Verhaltensweisen und Eigenheiten besser zu verstehen.

Welche Regionen auf der Welt gelten als besonders «einfach»?
Das ist nicht pauschal zu beantworten, denn es kommt auf die anzuwendenden Kriterien und die Betrachtungsweise an. Wenn es bei «einfach» um den Grad an Formalität und Kosten geht, gehört sicherlich unter anderem Dubai dazu. Wenn unter «einfach» beispielsweise das Kriterium «schnelle Eingewöhnung am neuen Ort für den Mitarbeitenden» gemeint ist, gehören sicherlich die USA dazu.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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