Experten-Interviews

Februar 2023

Diversity Management & Corporate Health: «Es gibt keine Toleranz für Intoleranz»

Die Bereiche Diversity, Equity & Inclusion (DEI) sowie Corporate Health haben ein gemeinsames Ziel vor Augen: einen «gesunden» Arbeitsplatz, an dem sich Mitarbeitende wohlfühlen und dadurch ihr volles Potenzial entfalten können. Dr. Isabelle Chiu vereint in ihrer Rolle als Country Wellbeing, Diversity & Inclusion Lead bei Novartis beide Themen. Wir haben mit der Expertin über mentale Gesundheit, Unterstützungsangebote und die DEI-Strategie ihres Arbeitgebers gesprochen. Wie das bekannte Pharmaunternehmen ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Topmanagement erreichen will und warum Diversität ein Wettbewerbsvorteil ist, lesen Sie im Titelinterview.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Diversity Management & Corporate Health

Frau Chiu, welche Themen treiben Sie aktuell bei Ihrer Arbeit um?
Um unsere lokale Strategie zu Diversity, Equity & Inclusion (DEI), welche auch das Thema «Wellbeing» beinhaltet, umsetzen zu können, haben wir neben globalen Aktivitäten verschiedene lokale Initiativen ins Leben gerufen. Ziel ist es, DEI und Wellbeing in den gesamten Employee Lifecycle zu integrieren und ein integratives Arbeitsumfeld zu schaffen, in welchem sich all unsere Mitarbeitenden voll einbezogen, unterstützt, geschätzt, respektiert und gehört fühlen und somit ihr Potenzial voll ausschöpfen können. Dies erreichen wir beispielsweise in funktionsübergreifender Zusammenarbeit durch unsere verschiedenen Gleichstellungsinitiativen, Förderung von unterrepräsentierten Gemeinschaften sowie ein ganzheitliches Gesundheitsprogramm, welches physische, psychische und soziale Aspekte berücksichtigt.

Seit Corona hat das Thema Gesundheit im allgemeinen Bewusstsein wieder an Bedeutung gewonnen. Wie hat sich dies auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Die Pandemie hat bekanntlich besonders im Bereich psychische und soziale Gesundheit viele Herausforderungen und gleichzeitig auch Chancen mit sich gebracht. Der Bedarf und Mut, sich bei psychischen Belastungen Unterstützung zu holen, ist erheblich gestiegen. Entsprechend haben wir unsere Programme zur mentalen Gesundheit an den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden ausgerichtet und noch stärker ausgebaut.

Novartis ist als Pharmaunternehmen im Gesundheitsbereich tätig. Wie engagiert sich das Unternehmen für die Gesundheit der eigenen Mitarbeitenden?
Wir alle wissen: Prävention ist besser als Intervention. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und bieten unseren Mitarbeitenden Ressourcen zur Förderung ihres mentalen, physischen und sozialen Wohlbefindens an. Hierfür haben wir im Rahmen unseres ganzheitlichen Gesundheitsprogramms ein breites Angebot an Thementagen, Expertentalks, Workshops, Webinaren, Tools und Apps entwickelt. Mitarbeitende können sich ihren Bedürfnissen entsprechend mit vielfältigen Themen wie z.B. Ernährung,Bewegung, Erholung, Energiemanagement, mentale Agilität oder Selbstwahrnehmung auseinandersetzen, sich in verschiedenen Gemeinschaften austauschen und so umfassend in ihr persönliches Wohlbefinden investieren. Zur persönlichen Beratung stehen auch interne und externe Spezialisten zur Verfügung.

Können Sie ein Fallbeispiel aus der Gesundheitsprävention beschreiben?
Die mentale Gesundheit ist ein wichtiger Bestandteil unserer globalen und lokalen Wellbeing-Strategie. So bieten wir beispielsweise in Zusammenarbeit mit Pro Mente Sana Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit an, in denen Teilnehmende lernen und üben, psychische Belastungen frühzeitig zu erkennen, Betroffene in akuten psychischen Krisen angemessen zu unterstützen sowie professionelle Hilfe zu vermitteln. In den vergangenen drei Jahren konnten wir rund 400 Ersthelfende ausbilden. Durch die Entstigmatisierung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, können wir auch einen offeneren Umgang mit entsprechenden Herausforderungen feststellen. Zudem zeigen immer mehr Mitarbeitende und Führungskräfte Mut zur Vulnerabilität und teilen ihre persönlichen Erfahrungen.

Welche Rolle spielen dabei HR und Führungskräfte?
Sowohl HR als auch Führungskräfte sind wichtige Botschafter für mentale Gesundheit am Arbeitsplatz und tragen so zu einem integrativen Arbeitsumfeld bei, in dem sich Mitarbeitende sicher fühlen und bei psychischen Belastungen öffnen können. Seit gut einem Jahr bieten wir auch Sensibilisierungskurse zum Thema mentale Gesundheit speziell für unsere Führungskräfte an. Dabei lernen sie, wie sie als Vorgesetzte auf das Wohlbefinden ihrer Teammitglieder achten und Veränderungen frühzeitig ansprechen können. Letztlich ist es jedoch wichtig, ein kollektives Bewusstsein zu schaffen, unabhängig von Funktion und Position.

In der modernen Leistungsgesellschaft gibt es vermehrt arbeitsbedingte Gesundheitsstörungen, angefangen bei Schlaflosigkeit bis hin zu Burn-outs. Wie adressieren Sie diese Problematik?
Neben den oben erwähnten Präventions- und Hilfsangeboten steht all unseren Mitarbeitenden eine vertrauliche, kostenlose, Novartis-interne Beratungsstelle zur Verfügung. Diese unterstützt individuelle Mitarbeitende bei persönlichen und beruflichen Herausforderungen sowie in einem Gruppen-Setting z.B. auch zum Thema Stress-Resilienz.

Diversity & Inclusion tragen ebenfalls zu einem gesunden Arbeitsplatz bei. Welchen Stellenwert haben diese in der Arbeitskultur von Novartis?
D&I, respektive DEI, ist ein Kernelement unserer Unternehmens-DNA und fest in unserem Ethikkodex verankert. Unsere globale DEI-Strategie gründet auf drei Säulen, welche uns helfen, weiterhin einen Wert für unser Unternehmen, Patienten sowie die Gesellschaft zu schaffen: Gleichstellung, Inklusion und soziale Verantwortung. Es ist zentral, eine diverse Belegschaft zu bilden, welche unsere globalen Patientenpopulationen reflektiert und sich mit Empathie, Respekt und einem Learning Mindset begegnet. Ausserdem ist die Schaffung eines sicheren und unterstützenden Arbeitsumfelds entscheidend, in welchem unsere Mitarbeitenden mit unterschiedlichem Hintergrund Ideen integriert diskutieren, experimentieren, Risiken eingehen, einander Feedback geben und aus Fehlern lernen können. Um Innovation zu fördern und den Herausforderungen der Medizin gerecht zu werden, muss DEI zudem in der gesamten Wertschöpfungskette integriert sein.

«Wir alle wissen: Prävention ist besser als Intervention.»

Oft werden die beiden Begriffe synonym verwendet – worin liegt der Unterschied?
Der Unterschied wird durch das folgende Zitat von Vernā Myers schön veranschaulicht: «Diversity is being invited to the party. Inclusion is being asked to dance.» Bei Diversity stehen die Repräsentation und das Vorliegen von Unterschieden im Vordergrund, wobei manche Unterschiede sichtbarer sind als andere. Inclusion erfordert ein Handeln und die Involvierung von Mitarbeitenden, sodass sich alle gesehen, gehört, respektiert und verstanden fühlen. Für einen gesunden Arbeitsplatz ist aber auch Equity entscheidend, d.h. Ungleichheiten anzuerkennen, Barrieren zu beseitigen und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen. An das obige Zitat angeknüpft, würde dies beispielsweise bedeuten, eine zugängliche Rampe zur Tanzfläche zu haben. All diese Faktoren müssen Hand in Hand gehen, damit sich Mitarbeitende zugehörig fühlen und ihr authentisches Selbst zur Arbeit bringen können.

Wie wird Diversity Management in Ihrem Unternehmen gelebt?
Talentierte, neugierige und engagierte Mitarbeitende mit unterschiedlichsten Erfahrungen, Fähigkeiten, Perspektiven und Persönlichkeiten sind unverzichtbar auf unserem Weg, Medizin neu zu denken. Unser Unternehmen lebt von Innovation, Kreativität und der Zusammenarbeit bereichs- und länderübergreifender Teams. Eine diverse und integrierte Belegschaft hilft uns auch, unsere Anspruchsgruppen und verschiedenen Märkte besser zu verstehen.

Können Sie uns dazu eine Erfolgsstory  oder ein Beispiel einer Initiative von Novartis beschreiben?
Unsere internen Interessengemeinschaften – Employee Resource Groups, kurz ERGs – sind freiwillig von und für Mitarbeitende organisierte Netzwerke, welche aktiv zu einem diversen und inklusiven Arbeitsumfeld beitragen. Inzwischen haben wir global über 80 ERGs, welche kontinuierlich wachsen und unterrepräsentierten Gemeinschaften und Themen eine Stimme geben. In enger Zusammenarbeit mit unseren ERGs implementieren wir unsere globale und lokale DEI-Strategie und verpflichten uns gemeinsam, unsere globalen Commitments zu erreichen. Wir setzen damit ein klares Zeichen für mehr Inklusion und wollen über die Unternehmensgrenze hinaus eine Wirkung erzielen. Besonders aktiv sind z.B. die LGBTIQA+- sowie die «working parents»-ERGs.

Orientieren Sie sich bei der Rekrutierung von neuen Talenten an bestimmten Quoten, z.B. hinsichtlich Geschlecht, Alter oder kultureller Zugehörigkeit?
Wir geben bei der Rekrutierung, basierend auf unseren globalen Verpflichtungen, allen Bewerbenden die gleichen Chancen. Oberstes Ziel ist es immer, die Person zu finden, die am besten zur Rolle und ins jeweilige Team passt, unabhängig von gängigen DEI-Kennzahlen. Nichtsdestotrotz verfolgen wir als Unternehmen natürlich auch Ziele, die klar mit Kennzahlen verbunden sind. So beispielsweise im Rahmen der Verpflichtung Equal Pay International Coalition (EPIC), welcher wir 2018 beigetreten sind. Ein Ziel dabei ist, bis Ende 2023 ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Management zu erreichen. Dabei sind wir auf gutem Weg: Der Frauenanteil in unserer Belegschaft beträgt zurzeit weltweit 51 Prozent, 46 Prozent im Management und 31 Prozent in unserem Verwaltungsrat.

Wie erreichen Sie ein möglichst diverses Top Level Management?
Wir haben eine globale und lokale Gleichstellungsstrategie mit Zielen und Instrumenten entwickelt, die unseren Führungsteams helfen, die Vertretung der Geschlechter sowohl bei externen Bewerbenden  als auch bei unseren derzeitigen Führungskräften zu verfolgen. Hier kommen verschiedene unterstützende Massnahmen zum Einsatz: Verwendung von ausgewogenen Kandidatenlisten, Gesprächsrunden bei Einstellungsverfahren sowie verschiedene Förderangebote wie geschlechtsneutraler Elternurlaub. Ergänzend haben wir Entwicklungsprogramme für Führungskräfte, Förderprogramme für Frauen, Work-&-Care-Programme sowie flexible Arbeitsmodelle aufgebaut. Zudem haben wir intern und extern Lohntransparenz geschaffen, damit alle Mitarbeitenden sehen können, wo sie im Vergleich zum externen Benchmark sowie zur internen Peergruppe stehen.

Eine diverse Belegschaft anzustreben, ist der Anfang. In einem zweiten Schritt braucht es ein Bewusstsein, Diskriminierung – egal ob bei der Arbeit oder im Privatleben – entschieden entgegenzutreten. Mit welchen Massnahmen gelingt Ihnen dies?
Es gibt keine Toleranz für Intoleranz. Weder bezüglich Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Behinderungen noch sonstiger Aspekte. Dies ist auch in unserem Ethikkodex, in den obligatorischen DEI-Trainings sowie in den umfassenden Antidiskriminierungsrichtlinien reflektiert. Zudem haben wir ein gut funktionierendes Speak-up-Office, bei dem Fehlverhalten gemeldet werden kann, das dann entsprechend untersucht und gegebenenfalls sanktioniert wird.

Mit unserer DEI-Aufklärungsarbeit wollen wir ein stärkeres Bewusstsein für unbewusste Vorurteile schaffen und Mitarbeitende auf allen Ebenen dazu ermutigen, in ihrem Einflussbereich zu handeln. Unser lokaler DEI & Wellbeing Council mit Vertreterinnen und Vertretern aus verschiedenen Divisionen sowie unser kontinuierlich wachsendes Netzwerk von Interessengemeinschaften und Kulturbotschaftern dienen dabei als wichtiger Beschleuniger. Zudem arbeiten wir eng mit betroffenen Gemeinschaften zusammen, um Herausforderungen zu identifizieren und wirksame Handlungsschritte auszuarbeiten.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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