Experten-Interviews

Juni 2020

Coaching & Mentoring: «Jeder kann coachen lernen»

Zur Selbstoptimierung oder auch als Bestandteil der Personalentwicklung: Coaching in verschiedenen Ausprägungsformen und auch damit verwandte Konzepte wie Mentoring boomen. Wir haben mit Dr. Sonja Radatz, Gründerin und Geschäftsführerin des Instituts für Relationale Beratung und Weiterbildung in Wien, über ihre Relationale Coaching-Philosophie gesprochen. Im Gespräch erklärt sie, wie die «Beratung ohne Ratschlag» funktioniert und warum jede Person ein Coach werden kann.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Coaching & Mentoring

Sie sind Gründerin und Geschäftsführerin des Instituts für Relationale Beratung und Weiterbildung in Wien. Worauf richten Sie momentan den Fokus bei Ihrer Arbeit?
Die zentrale Ausrichtung meines Denkens und Tuns ist der Relationalen Philosophie gewidmet, die ich vor 20 Jahren, damals in Zusammenarbeit mit Paul Watzlawick, Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld und Humberto Maturana, begonnen habe, zu entwickeln. Und im Mittelpunkt dieser Philosophie, dieses Denkens steht die Herstellung der Zukunft. Ich gehe davon aus, dass sich jede gewünschte Zukunft herstellen lässt – für Menschen wie natürlich auch für Organisationen. Ich muss mich dann nur eben anders aufstellen.

Deshalb habe ich vor zwei Jahren, 20 Jahre nach «Beratung ohne Ratschlag», auch endlich mein neues Coaching-Standardwerk «Einfach beraten» geschrieben. Da kommt Relationales Coaching mit der Herstellung der Zukunft auf den Punkt. Und jetzt, wo wir uns seit mehreren Jahren mitten im globalen UND digitalen Zeitalter befinden, geht es darum, eine andere Zukunft herzustellen. Mit dieser Thematik beschäftigen wir uns aktuell bei unserem weltweiten Relationalen Online-Programm «Mind Changer 2020». Über 130 revolutionäre Vordenker kommen dabei, verteilt über die nächsten zehn Monate, in vertiefenden Live-Webinaren zu Wort. Zusätzlich werden Interessierte im «Mind-Changing Forum» in 7 Sprachen in allen Lebensbereichen in ihrer ganz individuellen Neupositionierung begleitet.

COVID-19 verdeutlicht die Notwendigkeit dieses Angebots, zumal die aktuelle Pandemie nur die Spitze des Eisbergs ist. Den Menschen wird nun klar, dass wir tatsächlich global leben. Und die Krise zwingt sie, sich mit dem digitalen Zeitalter in ersten, kleinen Schritten auseinanderzusetzen. Für mich selbst war es eine Herausforderung, weltweit über 130 Koryphäen wie den Nobelpreisträger Robert J. Shiller in Yale oder die Harvard-Professorin Amy Edmondson zu koordinieren. Mit jeder Referentin und jedem Referenten habe ich einen persönlichen Dialog geführt, der ganz nach dem Relationalen Muster der offenen, zukunftsfokussierten Fragen gestrickt ist, sodass jeder Beitrag zu einer echten Inspiration für die Teilnehmer wird.

Es ist mir ein Herzensanliegen, den Menschen zum Bewusstsein zu verhelfen, dass die gewünschte Zukunft herstellbar ist. Und dass jeder von ihnen es schafft, die eigene Zukunft mit einer Leichtigkeit über meine «Beratung ohne Ratschlag» zu gestalten und dann sofort zu leben.

Als Coach betreuen Sie selbst auch verschiedene Kundinnen und Kunden. Aus welchen Branchen kommen Ihre Coachees?
Meine Coachees kommen aus allen Branchen und allen Bereichen. Ich arbeite manchmal auch mit Kindern, oft auch mit Paaren. Es geht bei den Coachees um die Neugestaltung ihres Lebens, ihres Berufs, um das lang herbeigesehnte «Finden ihrer Berufung», um eine richtig gute Partnerschaft und immer mal wieder um die (Wieder-)Herstellung der eigenen Gesundheit.

Da ich ja «ohne Ratschlag» arbeite, würde mir «Branchenkenntnis» ohnehin nicht helfen. Ich glaube sogar, dass sie ein Nachteil ist: Denn wenn wir beginnen, zu glauben, dass wir «wissen», was richtig und gut ist, dann verpassen wir allen «ähnlich wahrgenommenen» Organisationen oder Menschen die gleiche Lösung – und das wird niemandem gerecht. Ich erlebe sogar, dass dies zu einem echten wirtschaftlichen Nachteil bei vielen Unternehmen in der Vergangenheit geführt hat. Und die Zukunft erfordert ohne hin eine einzigartige – und damit meine ich eine wirklich einzigartige – Positionierung von jedem Unternehmen. «Me too» ist meinem Erleben nach vorbei. Übrigens auch für Coaches.

Was sind typische Situationen, bei denen ein Coaching zur Lösung beitragen kann?
In jeder Situation gibt es eine Lösung. Jedes Coaching ist erfolgreich. Und in jedem Coaching geht der Coachee mit der Sicherheit nach Hause, dass er sein neues Leben sofort leben kann. Ich würde aber lieber weniger von «Lösungen» sprechen – die gehören für mich eher zum traditionellen Coaching –, sondern lieber von einem «neuen Leben», das wir in allen Details erarbeiten.

Sie sind die Begründerin des «Relationalen Coachings». Worin unterscheidet sich dieser Ansatz von «0klassischen» Coaching-Methoden wie z.B. systemisches oder analytisches Coaching?
Nun, er ist 180° anders: Wir sprechen nicht über die aktuelle Situation. Wir arbeiten rein mit «Beratung ohne Ratschlag», also mit offenen Fragen. Die Antworten kommen vom Coachee. Wir beschäftigen uns ausschliesslich mit dem gewünschten Zukunftsleben des Coachees. Wir arbeiten nur mit zukunftsgerichteten Fragen. Selbst die «zirkulären Fragen» der «Mailänder-Gruppe» rund um Mara Selvini Palazzoli, Gianfranco Cecchin und Luigi Boscolo, ursprünglich entwickelt für die Ergründung der aktuellen Problemsituation, werden, wenn überhaupt, nur in die Zukunft gestellt. Beispielsweise «Woran wird denn Ihre Arbeitskollegin in Zukunft merken, dass Sie eine richtig gute Arbeitsbeziehung mit Ihrem Chef haben?». Wir arbeiten in einem einzigen Coaching – niemals in mehreren! Das heisst, der Coachee geht mit seinem fertigen neuen Leben und IN seinem Leben nach Hause. Und wir haben eine Erfolgsquote von 100%.

Und – ja, ich weiss, dass das für viele Coaches nicht vorstellbar ist. Daher habe ich einen Relationalen Online-Coaching-Lehrgang gestaltet, gerade auch, um die COVID-19-Zeit sinnvoll zu nutzen, in den ich auch 20 Live-Coachings zu ganz unterschiedlichen Themen integriert habe. Da kann man sich das auch ansehen. Es macht mir eben Spass, zu erleben, wie glücklich die Menschen am Ende eines Coachings sind.

Sie fokussieren beim Relationalen Ansatz auf die Zukunft der Coachees, da das anzustrebende Ziel in der Zukunft liegt. Wie gelingt dies, ohne dass die Coachees sich auch mit ihrer gegenwärtigen Situation oder mit der Vergangenheit auseinandersetzen müssen?
Um ehrlich zu sein, ich halte es sogar für eher verrückt und unverständlich, über die aktuelle Situation zu sprechen, wenn Sie eine andere Situation haben wollen. Das wäre so, wie wenn jemand ein Haus kaufen möchte, und Sie sprechen mit ihm über die alte Wohnung, die er gerade verkauft. Warum sollten Sie das tun? Die unerwünschte oder nicht mehr passende Vergangenheit respektive Gegenwart hat doch mit der gewünschten Zukunft nichts zu tun. Unsere «künstlich erfundene» Verknüpfung zwischen «IST» und «SOLL» ist meines Erachtens der grösste Klotz am Bein, den Sie sich schaffen können – egal in welcher Situation.

Aber es geht doch auch darum, dass Personen ihre nicht mehr gewünschten Verhaltensweisen aus der Gegenwart oder Vergangenheit ablegen sollen. Insofern muss dies doch für die gewünschte Zukunft berücksichtigt werden?
Ja, im klassischen Coaching vielleicht. Und dementsprechend, weil dort am Verhalten gearbeitet wird, entstehen immer wieder die Probleme, die ich «Neujahrs-Vorsatz-Probleme» nenne: Man nimmt sich etwas vor, aber es passt leider praktisch NIE zum eigenen präferierten oder zumindest angenehm-gelebten Ich-Bild. Relationales Coaching arbeitet NIE am Verhalten. Und das ist ein fundamentaler Unterschied zum traditionellen Coaching. Ein weiterer fundamentaler Unterschied ist, dass wir nicht mit dem «Loswerden» arbeiten, sondern immer die Frage stellen: «Wer wollen Sie denn sein?» Denn es geht um die Gestaltung der Zukunft – nicht um das Loswerden der Vergangenheit. Dieser scheinbar kleine Unterschied erhöht den Coaching-Erfolg massiv.

Sie propagieren beim Coaching die «Beratung ohne Ratschlag». Was bedeutet das?
Es heisst nichts anderes, als dass der Coachee selbst die Lösung gestaltet – entlang der zukunftsfokussierten, offenen Fragen, die ich stelle. Wenn ich eine Idee habe, kann ich diese natürlich einbringen – aber sie wird nur dann weiterverfolgt, wenn der Coachee sofort darauf anspringt. Und ich brauche eigentlich nicht viele Ideen zu haben.

Was sind die Vorteile des Relationalen Coachings gegenüber anderen Coachingansätzen?
Wenn Sie meine Kunden fragen, werden Sie die Antwort bekommen: «Ich glaube, ich hatte bisher gar kein Coaching.» Wenn Sie mich fragen, was die Vorteile sind, nenne ich Ihnen die «Big 5»: Es dauert maximal 2–3 Stunden. Jedes Coaching ist mit Sicherheit erfolgreich. Die Coachees leben danach ihr neues Leben; sie identifizieren sich zu 100% damit, weil es «ihre» Lösung ist. Und Sie als Coach gehen tiefenentspannt aus dem Coaching – Sie brauchen sich gar nicht anzustrengen.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

Seminar-Empfehlung

Praxis-Seminar, 1 Tag, ZWB, Zürich

Der Personaler als Coach

Coaching-Basiswissen und Umsetzung in der HR-Praxis

Nächster Termin: 20. November 2024

mehr Infos

Fachmagazin jetzt abonnieren
personalSCHWEIZ
  • Kompetent
  • Fokussiert
  • Praxisorientiert
  • Swissmade
Seminar-Empfehlungen
  • Praxis-Seminar, 1 Tag, ZWB, Zürich

    Personalressourcen gezielt entwickeln und sichern

    Talente und Schlüsselkompetenzen nachhaltig managen

    Nächster Termin: 02. Juli 2024

    mehr Infos

  • Praxis-Seminar, 1 Tag, ZWB, Zürich

    Der Personaler als Coach

    Coaching-Basiswissen und Umsetzung in der HR-Praxis

    Nächster Termin: 20. November 2024

    mehr Infos

Um unsere Website laufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch die Nutzung dieser Website stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Mehr Infos