Experten-Interviews

Juli/August 2019

Blockchain im HR: «Rekrutierung durch verifizierte Kandidatenprofile beschleunigen»

Mit ihrem Start-up Workonomix bringen Dorothea Wegener und Vivek Anand Blockchain in die Schweizer HR-Welt. Wir haben mit den beiden über die Funktion und die Anwendungsmöglich­keiten der Technologie gesprochen.

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Blockchain im HR

Kurz erklärt: Was ist Blockchain?
Dorothea Wegener: Blockchain ist eine sichere, dezentralisierte und unveränderliche Datenbank, die es ermöglicht, dass eine Information von mehreren Parteien auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft und verwendet werden kann.

Blockchain kommt bis jetzt vor allem im Finanzwesen als technische Basis für Kryptowährungen und im Energiehandel zum Einsatz. Wo sind die Handlungsfelder von Blockchain in der Personalarbeit?
Dorothea Wegener: Es ist üblich, dass sich Bewerber bei mehreren Arbeitgebern bewerben und gleichzeitig noch Personalvermittler in Anspruch nehmen. Das heisst, dass jede HR-Abteilung und jeder Stellenvermittler die Bewerberinformationen hält und prüft – entweder selber oder über externe Agenturen. Das ist zeit- und kostenintensiv und teilweise sehr mühsam, vor allem, wenn es sich um Diplome oder Arbeitszeugnisse aus dem Ausland handelt. Dies führt zu mehreren Profilversionen eines Bewerbers, weil jede Firma und jeder Stellenvermittler ihr Profil des Bewerbers anders bearbeitet. Bei einer Absage müssen die Firmen aus Datenschutzgründen die Profile wieder löschen, und falls sich der Kandidat später wieder bewerben sollte, geht das Ganze von vorne los. Blockchain bietet die Möglichkeit, ein einzelnes, verifiziertes und sicheres Profil eines Kandidaten inklusive manipulationssicherer Referenzen auszustellen.

Vor etwa einem Jahr haben Sie das Start-up Workonomix gegründet, eine auf der Blockchain-Technologie basierende Plattform. Was ist die Idee dahinter?
Vivek Anand: Wir erstellen einen Talent-Pass für Bewerber – eine einzige vertrauenswürdige berufliche Identität, die im Besitz des Bewerbers ist. Er bündelt alle Arten von Bewerbungsunterlagen, verifiziert sie über ein vertrauenswürdiges Ökosystem und sichert ihre Überprüfung via Blockchain. Über die Workonomix-Plattform kann ein Bewerber mit einem Klick sein vollständiges Profil präsentieren, einzelne Unterlagen digital verifizieren und mit Unternehmen seiner Wahl teilen. Unternehmen erhalten somit Zugriff auf die (verifizierten) Profile der Talente und können auch bei Bedarf digital die Inhalte validieren. Die Vorteile sind Zeit- und Kostenersparnis während des Rekrutierungsprozesses, ein vertrauenswürdigeres Profil des Talents sowie eine höhere Datenqualität. Als Schweizer Produkt bietet Workonomix zudem Lösungen an, die spezifisch auf Schweizer Bedürfnisse zugeschnitten sind, wie beispielsweise die Möglichkeit, digitale Betreibungsregisterauszüge oder Strafregisterauszüge zu bestellen.

Sie machen die abstrakte Blockchain-Technologie also nutzerfreundlich?
Dorothea Wegener: Das kann man so sagen. Die Blockchain wird eingesetzt, um das Vertrauen in die verifizierten Profile zu steigern und sich gegenüber Profilen in Xing oder LinkedIn zu differenzieren. Auch kann im Unterschied zu ATS-Systemen der Firmen, welche die jeweilige Organisationssicht einnehmen, dank Workonomix ein Bewerber sein Profil inklusive Zeugnissen und weiterer Anhänge einmal pflegen. Seine Angaben kann er einmal verifizieren lassen und mit möglichen Arbeitgebern mit einem Klick teilen. Bei uns steht nicht die Technologie, sondern der Benutzer, sprich der Bewerber, im Zentrum.

Wie läuft die Verifizierung konkret ab?
Dorothea Wegener: Die Person erstellt ein Konto auf der Plattform und lädt Bewerbungsunterlagen wie Diplome und Arbeitszeugnisse hoch. Auf seine Anforderung hin koordiniert die Plattform Überprüfungen und sichert die überprüften Dokumente mit Blockchain. Der Bewerber teilt das Profil mit den Arbeitgebern seiner Wahl und behält jederzeit die Kontrolle über seine Daten. Ein Hauptanliegen unserer Plattform ist es, eine Verifizierungshistorie zu führen und die Identität der Verifizierer festzustellen. Dazu müssen die Überprüfungen über die Plattform durchgeführt und die Verifizierer auf der Plattform registriert sein.

Die Verifizierung geschieht über ein offenes Ökosystem. Was ist das?
Dorothea Wegener: Das Ökosystem ist die Umwelt, die die Daten verifiziert. Wir unterscheiden drei Ebenen des Ökosystems: Die erste Ebene ist, wenn Institutionen, welche die Zeugnisse ausgestellt haben, diese selber digital verifizieren oder direkt digital im Workonomix-Talent-Pass ausstellen. Auf der zweiten Ebene finden sich professionelle Firmen, die die hochgeladenen Dokumente auf den Profilen der Bewerber prüfen. Diese Firmen – oder Agenturen – sind darauf spezialisiert, Unregelmässigkeiten in Dokumenten zu finden. Auf der dritten Ebene geht es darum, dass Drittpersonen Daten einer anderen Person verifizieren können. Ein Beispiel könnte ein Teammitglied sein, das nach Abschluss eines Projekts einen Projektmanager um eine Kurzreferenz bittet. Im Moment ist es so, dass unsere Kunden ihre Papierdokumente einscannen und wir diese mithilfe des Ausstellers oder von Agenturen verifizieren. Dies wird vermutlich noch eine Weile so bleiben. Irgendwann wird es aber so sein, dass Firmen und Universitäten Arbeitszeugnisse und Diplome direkt digital ausstellen und in der Blockchain verankern. Dann können die Daten automatisch verifiziert werden, und zwar auf einer Plattform, die alle unterschiedlichen Quellen aggregiert.

«Blockchain bietet die Möglichkeit, ein einzelnes, verifiziertes und sicheres Profil eines Kandidaten inklusive manipulationssicherer Referenzen auszustellen.»

US-amerikanische Hochschulen haben begonnen, ihre Abschlüsse und Zeugnisse in der Blockchain abzulegen. In Deutschland machte die Frankfurt School of Finance & Management im Herbst 2018 den Anfang. Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?
Vivek Anand: Universitäten müssen für Arbeitgeber und Stellenvermittler Daten von ihren Studenten überprüfen und auf Anfrage ein Doppel der Zertifikate ausstellen, was ein administrativer Mehraufwand darstellt. Mithilfe von Blockchain können sie jetzt manipulationssichere digitale Zertifikate ausstellen, die überprüft werden können, ohne zur Universität zurückkehren zu müssen. In der Schweiz hat die Uni Basel begonnen, Blockchain-verankerte Zertifikate auszustellen.

Dorothea Wegener: Wenn Firmen Arbeitszeugnisse direkt mittels Blockchain verifizieren, profitieren sowohl der neue als auch der alte Arbeitgeber. Die neue Firma muss nicht mehr mühsam telefonieren und die Arbeitszeugnisse überprüfen, und für die alte Firma entfällt das Verifizieren der ausgestellten Arbeitszeugnisse. Personalverantwortliche werden entlastet und haben mehr Zeit für andere Aufgaben.

Macht Blockchain Lebensläufe ­irgendwann obsolet?
Vivek Anand: Das ist gut möglich. Häufig macht man in einer Firma ja nicht nur etwas, sondern ist in verschiedenen Projekten engagiert. Diese Projektarbeiten können via Blockchain von den Projektleitern verifiziert werden – sogenannte Micro-Credentials. So kann jeder Arbeitgeber auf einen Blick sehen, wann jemand welche Tätigkeit in welchem Projekt ausgeführt hat. Und dies alles verifiziert. Dieser digitale Lebenslauf bildet eine Karriere besser und vollständiger ab, als es ein herkömmlicher Lebenslauf tut. Wenn sich ein Kandidat entschliesst, seine Daten mit einem potenziellen Arbeitgeber zu teilen, hat dies noch einen weiteren gros­sen Vorteil: Der Arbeitgeber kann diese Daten verwenden, um beispielsweise mittels Predictive Analytics zu testen, ob der Bewerber in den Job und ins Team passt. Dieser Vorteil entfaltet seine Wirkung aber erst, wenn möglichst viele Daten digital hinterlegt sind. Denn je mehr Daten digitalisiert hinterlegt sind, desto mehr können diese mit künstlicher Intelligenz verknüpft werden – Algorithmen wollen gefüttert werden – und desto mehr Verwendungsmöglichkeiten gibt es.

Als Verwendungsmöglichkeit im HR ist Blockchain darauf angewiesen, dass möglichst viele mitmachen?
Dorothea Wegener: Das System entfaltet erst seine ganzen Möglichkeiten, wenn die Nutzerzahl hoch ist – wie bei Social Media. Hier spreche ich nicht nur von Kandidaten und Arbeitgebern, sondern auch von Bildungsinstitutionen und staatlichen Stellen.

Wie sieht es eigentlich mit dem ­Thema Datenschutz aus?
Vivek Anand: Die neuen, schärferen Datenschutzgesetze sind für uns ein Vorteil. Bei Workonomix hat der Betroffene jederzeit Zugriff auf seine eigenen Daten. Die Daten sind immer in Besitz des Bewerbers und können nur dann von Dritten eingesehen werden, wenn der Betroffene dies autorisiert. Ich sehe Blockchain aber nicht nur als Lösung für gewisse Handlungsfelder. Blockchain könnte auch die Antwort auf Datenschutzfragen in Zusammenhang mit der Privatsphäre sein, eine der dringendsten Fragen unserer Zeit. Ich folge hier Gedanken der sogenannten Self-Sovereign Identity: Jeder Mensch hat Kontrolle über seine persönlichen Daten und bestimmt, wer auf seine Bewerberprofile zugreifen und diese verwenden kann.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie im vollständigen Interview in der aktuellen Printausgabe.

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