Experten-Interviews

November 2022

Active Sourcing & Personalauswahl: «Die Vorbereitung ist das A und O»

Die richtige Person für eine vakante Position ausfindig zu machen, ist oft eine Herkulesaufgabe. Topqualifizierte Talente können sich ihren Arbeitgeber aussuchen. Wie man die begehrten Kandidat*innen aufspürt und für das eigene Unternehmen gewinnt, weiss Natalie Gyöngyösi. Wir sprechen mit ihr über Active-Sourcing-Strategien, ihr Spezial-Tool und über die Besonderheiten der Baubranche — ihr «Jagdrevier».

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Active Sourcing & Personalauswahl

Der Fachkräftemangel ist überall spürbar. Die benötigten Spezialist*innen zu finden, wird immer schwieriger. Wie fühlt man sich in dieser Situation als Recruiterin?
Ich fühle mich gefordert, aber auch höher wertgeschätzt – die Relevanz der Rolle ist in den letzten Jahren gestiegen. Als Recruiter ist man heute mehr als administrativer Support oder Stellenverwalter*in. Wir übernehmen eine strategische Rolle und suchen aktiv nach Mitarbeitenden. Wir beraten die Linie, definieren die zu identifizierenden Profile mit und kümmern uns um die Akquise. Indem wir also am Personalauswahlprozess von A bis Z beteiligt sind, generieren wir für das Unternehmen Wertschöpfung.

Sie rekrutieren vor allem in der Baubranche. Welche Besonderheiten oder ungeschriebenen Regeln gelten in diesem Feld?
In meiner Branche erwartet ein Bauingenieur nicht, dass ich als Recruiterin eine Expertin in Statik bin. Er schätzt es jedoch, wenn ich ein solides Grundwissen mitbringe, dass ich etwa den Unterschied zwischen Hoch- und Tiefbau kenne. Oder dass ich weiss, welche Unternehmen sich als Zielfirmen eignen, weil sie in der Planung oder in der Ausführung tätig sind – das sind entscheidende Unterschiede. Wenn der Hiring Manager merkt, dass man diese Faktoren in seine Suche involviert, vertraut er darauf, dass wir in den richtigen Firmen «fischen» gehen (lacht).

Der Umgangston in der Baubranche ist speziell: rau, ehrlich, direkt – «In-yourface-Kommunikation». Wenn man mit dieser unzimperlichen Art gut umgehen kann, ist es richtig cool, mit den Leuten aus dem Bauwesen zusammenzuarbeiten. Man weiss, woran man ist. Und wenn du es als Recruiterin schaffst, durch genaues Zuhören herauszufinden, was für eine Person gesucht wird, und es dir durch sorgfältige Recherche gelingt, diese aufzuspüren und ins Boot zu holen, bringt man dir grossen Respekt entgegen. Du wirst Teil der «Gang», und die Loyalität ist hoch.

Ausserdem ist der Netzwerkgedanke wichtig, man kennt sich, es herrschen gewisse Codizes, wie man miteinander umgeht. Man läuft sich – besonders in der Schweizer Szene – früher oder später wieder über den Weg.

Als Active-Sourcing-Spezialistin warten Sie nicht ab, bis sich jemand auf ein Inserat meldet, sondern nehmen Kontakt mit potenziellen Kandidat*innen auf. Wie gehen Sie dabei vor?
Die Vorbereitung ist das A und O – und nimmt auch die meiste Zeit in Anspruch. Als Recruiterin muss ich genau wissen, welche Person mit welchen Fähigkeiten ich suche. Sonst tappe ich im Dunkeln. Bei seltenen und komplexen Profilen reicht es nicht, wenn die Linie einen Projektleiter X bei mir «bestellt». Ich benötige Einzelheiten zur Stelle, Referenzprojekte, Eckdaten zu für ihn angedachten Projekten, Chancen und Risiken, Entwicklungsperspektiven. Ausserdem muss ich die Rahmenbedingungen kennen, um auf Augenhöhe mit dem Kandidaten zu sprechen. Wenn ich dann auch noch etwas über die Teamstruktur und Informationen über den Vorgesetzten und die Zusammenarbeitskultur sagen kann, habe ich den Stoff zusammen, um eine authentische Story zu erzählen, mit der ich den Kandidaten überzeugen und im Idealfall gewinnen kann.

«Das Candidate Briefing ist mein Spezial-Tool.»

Um an die Informationen zu kommen, setze ich ein Kickoff Meeting an, an dem ich meine Fragen stellen kann. Dadurch sind auch die Vorgesetzten gefordert, sich Gedanken darüber zu machen, wen sie wirklich wollen. Softfaktoren spielen hier eine grosse Rolle – sie werden nicht offen im Inserat kommuniziert, aber ich muss trotzdem Bescheid wissen, wenn ich potenzielle Kandidat*innen angehe. Z.B. musste ich einmal jemanden für ein bis dahin reines Männerteam suchen – um die Geschlechterdiversität zu fördern, vereinbarten wir, dass wir bei gleichwertig ausgebildeten oder erfahrenen Kandidaten eine Frau bevorzugen würden. Das sollten wir so nicht nach aussen tragen. Aber intern war diese Präferenz wichtig.

Wie geht’s dann weiter?
Basierend auf dem Jobprofil und dem Briefing bereite ich aufgrund meiner Recherche eine Selektion an denkbaren Kandidaten auf LinkedIn und XING vor. Bevor ich die Personen auf der Liste kontaktiere, halte ich Rücksprache mit dem Hiring Manager und dem Team, um die Qualität der Profile zu verifizieren. Oft sind einige Kandidat*innen dem Team bekannt – in positiver oder negativer Hinsicht. Im ersten Fall erhalte ich z.B. eine Telefonnummer, oder die Teammitglieder nehmen Kontakt mit der Zielperson auf. Im zweiten Fall sehen wir von einer Kontaktaufnahme ab. Mein Spezial-Tool ist das Candidate Briefing, eine Art Jobbroschüre, welche die wichtigen Informationen zum Job umfasst: Einblick ins Aufgabengebiet, Bilder des zu betreuenden Projekts, Firmenporträt, Kurzbiografie der/des Vorgesetzten oder Teamfotos – in einer normalen Stellenanzeige ist dafür kein Platz. Die Firma wird in diesem Dokument greifbarer und erhält über die vorgestellten Mitarbeitenden ein Gesicht.

Und verschafft die Broschüre Ihnen den entscheidenden Vorsprung?
Die Kandidaten, die ich anspreche, haben bereits grossartige Jobs und sind nicht oder höchstens latent auf der Suche. Dann kommt mein Candidate Briefing ins Spiel, das ich mitschicke. Es fungiert als «Köder» – schliesslich sind die meisten von uns «Gwunderfitze». Die Projektbilder erzeugen Neugier, und die Kandidaten möchten dann doch mehr über das Angebot erfahren. Im Gespräch habe ich die Chance, sie zu überzeugen. Wenn’s passt, kommen sie danach in den Interviewprozess.

Gelangen Sie an die gesuchten Profile durch klassische Recherche oder v.a. durch Empfehlungen von Dritten?
Beides. Das Verhältnis ist in der Regel ein Drittel Empfehlung und zwei Drittel eigene Recherche. Das Team als Quelle anzuzapfen, ist deshalb wertvoll, weil die Leute wissen, wo die Talente sich aufhalten. Sie geben auch Hinweise, welche Aus- und Weiterbildungen die richtigen Leute absolvieren oder in welchen Verbänden sie aktiv sind. Empfehlungen haben den Vorteil, dass Mitarbeitende mir nur Personen vorschlagen, für die sie die Hand ins Feuer legen würden und bei denen sie davon ausgehen, dass sie zur Unternehmenskultur passen.

Beim Active Sourcing muss man mit potenziellen Kandidat*innen in Kontakt bleiben, z.B. mit solchen, bei denen eine Vermittlung noch nicht geklappt hat. Wie vielen schreiben Sie regelmässig?
Mit 70 Personen ist es realistisch, den Kontakt zu pflegen. Im Idealfall hat man ein System, sonst wird es schnell unübersichtlich. Eine Nachricht zum Geburtstag inkl. Einladung zum Kaffee oder Lunch lohnt sich mehr als eine generische Grusskarte zu Weihnachten, wo sowieso alle mit Standard-Meldungen überhäuft werden.

Wie häufig kontaktieren Sie diese 70 Personen?
Je nach Relevanz unterschiedlich oft. Geburtstage sind «Low Hanging Fruits» – da empfehle ich immer zu schreiben … Im Talentpool ist erfasst, dass Kandidat*Innen Newsletter erhalten oder an für sie interessante Events eingeladen werden sollen. Wenn eine Baustellenführung bei einem Projekt ansteht, weiss ich so, wen ich aufgrund seiner Ausrichtung einlade und den Kontakt zu Mitarbeitenden herstellen kann – das bringt es total! Und mit «Einhörnern», besonders herausstechenden Leuten, die innert nützlicher Frist für ein bestimmtes Projekt angeworben werden sollen, geht man auch mal zum Business Lunch oder Abendessen. Oder man organisiert eine Privatführung auf dem Projekt zusammen mit dem Projektleiter, um das Interesse zu unterstreichen und den Weg vorzuebnen.

«Geburtstage sind ‹Low Hanging Fruits› — da empfehle ich immer zu schreiben.»

Die geniessen das auch, dass sie umworben werden …
Ja, sicher. Oft funktioniert eine Vermittlung erst nach mehreren Jahren. Aber man hat es langsam, aber kontinuierlich angesteuert, das Pflegen des Kontakts hat zum Erfolg geführt. Und das Schönste ist, wenn ein Kandidat mir als Recruiterin vertraut, dass er weiss, dass ich bezüglich seiner Interessen, Entwicklungswünsche, Lohnvorstellungen oder Wunscharbeitsregionen Bescheid über ihn weiss. Dann sieht er mich als seinen persönlichen Advisor oder Headhunter – eine Win-win-Situation.

Neben LinkedIn wird auch via TikTok und Instagram rekrutiert. Ist das in Ihrer Branche auch ein Thema?
Ich bin der Meinung, dass Business auf Business-Plattformen gehört. Ich würde daher fürs Recruiting auf LinkedIn und XING bleiben. Es hängt von der Zielgruppe ab, aber die von mir gesuchten Ingenieure bewegen sich eher selten auf TikTok und Co. Ich finde es problematisch, wenn Recruiter*innen Kandidaten z.B. auf privaten Social-Media-Plattformen ansprechen – das wird tendenziell als Belästigung und Eingriff in die Privatsphäre empfunden.

Firmen wollen überall präsent sein …
Teils beobachte ich, dass sich Arbeitgeber mit etwas holprigen Auftritten auf Social Media mehr schlecht als recht verkaufen und von den Kandidaten eher als anbiedernd denn attraktiv empfunden werden. Als TikTok aufkam, dachten einige Bauunternehmen, sie müssten jetzt versuchen, cool und jugendlich rüberzukommen. Plötzlich haben alle auf der Baustelle getanzt – das war am Anfang noch ganz lustig. Aber bald machten das alle möglichen Institutionen, auch die Polizei, und das Tanzen hat sich im Nu abgenutzt. So kann man sich nicht wirklich positiv von der Masse abheben.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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