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Klug entscheiden: Was Organisationen zukunftsfähig macht
Die Kunst des Entscheidens
Entscheidungen gehören zu den zentralsten Aufgaben in Organisationen, und mit jeder Entscheidung gestalten sie ihre Überlebensfähigkeit in der Zukunft. Ob Personalfragen, Strategien, Strukturen oder Technologieeinsatz – jede Entscheidung ist ein Schlüsselmoment der Steuerung. Auch das Nichtentscheiden ist im Grunde genommen eine Entscheidung, die oft zu hohen indirekten Kosten und unvorhersehbaren Folgen führt.
Die Konzepte VUCA und BANI bringen die besonderen Rahmenbedingungen für Entscheidungsprozesse in Organisationen auf den Punkt. VUCA beschreibt mit volatility, uncertainty, complexity und ambiguity eine Umwelt, die schwankend, unsicher, komplex und mehrdeutig ist. BANI steht für brittle, anxious, nonlinear und incomprehensible und betont die Brüchigkeit von Systemen, wachsende Ängste, nichtlineare Entwicklungen und schwer verständliche Dynamiken – zentrale Herausforderungen für Organisationen.
In dieser Kombination aus Unsicherheit und Brüchigkeit machen gute Entscheidungen den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern aus. Für Organisationen bedeutet das: Entscheidungen müssen unter Zeitdruck und höchster Unsicherheit getroffen, reflektiert und unter Einbezug verschiedener Perspektiven anschlussfähig gestaltet werden. Sie können durch Gruppenintelligenz zum erwünschten Ziel führen oder ebenso durch Schwarmdummheit fehlgeleitet werden.
Umgang mit Komplexität und Unsicherheit
Menschen haben ein Grundbedürfnis nach Kontrolle, Eindeutigkeit, Vorhersagbarkeit und Stabilität. Der Alltag in Organisationen ist jedoch selten eindeutig. Beispielsweise führt der Versuch, durch starre Regeln die Mehrdeutigkeit des Alltags zu beseitigen, häufig zu einer Kultur, in der Abweichungen informell toleriert werden. Wenn eine Organisation beispielsweise das Thema Homeoffice formal als starre Regel definiert, die keinen Spielraum lässt, entstehen trotzdem mit hoher Wahrscheinlichkeit informelle oder teamspezifische Abweichungen, die toleriert werden, um handlungsfähig zu bleiben. Solche Abweichungen sind dann durchaus funktional und Ausdruck organisationaler Intelligenz im Umgang mit Ambiguität. Organisationen, die erfolgreich mit Ambiguität umgehen, gestalten Entscheidungen so, dass sie realer Vieldeutigkeit Rechnung tragen, statt Schein- Eindeutigkeit zu kommunizieren.
Heuristiken: Nützliche mentale Abkürzungen mit vorhersehbaren Risiken
Bias und Heuristiken sind tief in unserer Denkweise verankert und wirken sowohl im Alltag als auch in Organisationen.
Heuristiken entstehen im intuitiven System 1, das schnell, intuitiv und automatisch arbeitet. Dieses Vorgehen ist effizient, verarbeitet aber nur einen Teil der Information und führt bis zu einem gewissen Grad bei allen Menschen zu ähnlichen, systematischen Verzerrungen.
Demgegenüber arbeitet System 2 langsamer, analytisch und faktenbasiert und kann die Fehleranfälligkeit von System 1 teilweise ausgleichen. Da diese Korrektur jedoch nicht immer ausreichend stattfindet, entstehen typische Denkfehler beziehungsweise kognitive Verzerrungen.
Einige Bias sind evolutionär nützlich, können jedoch gravierende Folgen haben. Typische Beispiele sind:
- Bestätigungsfehler (Confirmation Bias): Suche nach bestätigenden Informationen. Beispiel: Eine Führungskraft hält einen Mitarbeitenden für besonders talentiert und beachtet vor allem Hinweise, die diese Einschätzung bestätigen.
- Verfügbarkeits-Heuristik: Überbewertung leicht abrufbarer Ereignisse. Beispiel: Nach einem gross in den Medien berichteten Cyberangriff auf ein bekanntes Unternehmen (z.B. einen Ransomware-Angriff auf eine Spitalkette) beschliesst das Management spontan, das eigene IT-Sicherheitsbudget deutlich zu erhöhen und kurzfristig neue Schutzmassnahmen einzuführen.
- Affekt-Heuristik: Entscheidungen nach Gefühlen. Beispiel: Die Geschäftsleitung führt eine KI-basierte Software zur Entscheidungsunterstützung im Recruiting ein, weil künstliche Intelligenz im Geschäftsleitungsteam positive Assoziationen mit Effizienz und Fortschritt auslöst.
Heuristiken sind mentale Abkürzungen oder Faustregeln, die uns ermöglichen, in komplexen Situationen mit begrenztem Informationsgehalt und Ressourcen schnell zu urteilen. Sie sparen kognitive Energie, bergen jedoch das Risiko systematischer Fehlurteile – Bias –, wenn sie unreflektiert bleiben. Unter dem englischen Begriff Bias wird in der Fachwelt eine Vielzahl an Verzerrungen verstanden, die unsere Wahrnehmung, unser Erinnern, Denken und unsere Entscheidungsprozesse systematisch beeinflussen. Solche Verzerrungen bleiben meist unbewusst und basieren auf mentalen Strategien, sogenannten Heuristiken, die uns helfen, eine Vielzahl von komplexen Reizen zu verarbeiten.
Was ist eine kluge Entscheidung?
Kluge Entscheidungen sind nicht am Ergebnis selbst zu erkennen, sondern daran, Unsicherheit zumindest temporär zu reduzieren und gleichzeitig Mehrdeutigkeit intelligent zu berücksichtigen. Naturgemäss bringt jede Entscheidung eine erneute Entscheidungsnotwendigkeit mit sich. Daher sind gute Entscheidungen anschlussfähig, das heisst, sie berücksichtigen den mehrdeutigen Kontext und erweitern den Handlungsspielraum. Oder wie es Heinz von Foerster ausdrücken würde: «Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten grösser wird.»
Grundsätzlich setzt Entscheidung Wahlmöglichkeiten zwischen zwei oder mehreren Alternativen voraus. Laut Foerster sind nur die «prinzipiell unentscheidbaren Fragen » wirklich zu entscheiden – also dort, wo keine objektiven Regeln eine Lösung vorgeben. Der Grossteil der Entscheidungen, die in Organisationen gefällt werden, fällt in diese Kategorie. Fragen wie: Soll ich in diesem Mitarbeitendengespräch ehrlich sein, auch wenn es wehtut? Welche Werte sind mir wichtiger in meiner Führungsrolle – Transparenz oder Vertrauen? In welche Projekte investieren wir, und welche beenden wir? Wie lassen sich Prozesse gestalten, damit Selbstorganisation funktioniert, ohne Planbarkeit zu verlieren? Wenn Organisationen aufhören, über diese Fragen zu entscheiden, verlieren sie Schritt für Schritt ihre Zukunftsfähigkeit.
Systemisches Denken
Organisationen sind komplex und dynamisch, und das Verhalten von Menschen und Systemen lässt sich nie vollständig vorhersagen. Entscheidungen reduzieren Unsicherheit daher nur vorübergehend und erzeugen zugleich neue – weil soziale Systeme ihr Eigenleben führen. Trotz Planung entstehen unerwartete Nebenwirkungen: Prozesse verzögern sich, Mitarbeitende entwickeln Umgehungslösungen für mit Sorgfalt bedachte Regeln. Diese Abweichungen als Fehlverhalten zu werten, greift zu kurz – soziale Systeme reagieren oft auf unerwartete Weise und folgen keiner linearen Logik.
Um klug zu entscheiden, hilft ein grundlegendes Verständnis über systemisches Denken. Dies bedeutet, anstatt in linearen Ursache-Wirkungs-Ketten zu denken, den wechselseitigen Beeinflussungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Verlagert sich die Betrachtung auf die Wechselwirkungen zwischen den Elementen, werden neue Erkenntnisse möglich. Eine scheinbar gut gemeinte «lokale» Entscheidung, etwa eine neue Richtlinie zur Leistungsbewertung, kann sich weit ins System hinein auswirken und die Teamdynamik oder Arbeitsmotivation in negative Richtung verändern. Oder ein vermeintliches «einseitiges» Kommunikationsproblem der Führungskraft gegenüber dem Mitarbeitenden kann sich plötzlich als sich selbst verstärkender Rückzug auf beiden Seiten erklären lassen.
Auch unausgesprochene Annahmen kontinuierlich zu hinterfragen und anzuerkennen, dass mehrere Wirklichkeiten nebeneinander existieren, ermöglicht neue Sichtweisen und Erkenntnisse.
Wie wir kluge Entscheidungen treffen können
Kluge Entscheidungen entstehen nicht automatisch – vielmehr müssen Organisationen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass schlechte Entscheidungen unwahrscheinlicher werden. Dazu gehört beispielsweise, Entscheidungsteams divers zu besetzen, um Groupthink entgegenzuwirken und psychologische Sicherheit zu fördern, damit kritische Stimmen gehört werden. Ebenso hilfreich ist die institutionalisierte Schaffung gezielter Reflexionsschleifen, um zu entschleunigen und mögliche Alternativen zu entdecken. Zu hinterfragen, auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen werden, kann zudem davor bewahren, wichtige Informationen, die nicht gerade im Fokus der Aufmerksamkeit sind, zu übersehen.
Doch genauso lehrreich ist die Frage: Was sollte man besser nicht tun? Hier eine augenzwinkernde «Anleitung zum schlechten Entscheiden»:
- Ignoriere Informationen – je weniger Fakten, desto besser.
- Vertraue nur deinem Bauch – Reflexion ist reine Zeitverschwendung.
- Suche nur nach Bestätigung – widersprüchliche Stimmen einfach überhören.
- Überstürze alles – wenn du 5 Minuten hast, entscheide in 30 Sekunden.
- Folge dem Gruppenzwang – was die Mehrheit macht, ist automatisch richtig.
- Denke nur kurzfristig – Hauptsache, jetzt fühlt es sich gut an.$
- Verwechsle Selbstvertrauen mit Wissen – je überzeugter du klingst, desto richtiger bist du.
- Lerne nie aus Fehlern – schieb die Schuld auf andere und mach weiter wie bisher.
Wer diese «Tipps» befolgt, maximiert die Chance auf schlechte Entscheidungen.
Fazit
Entscheidungen beeinflussen die Zukunftsfähigkeit von Organisationen und sind für Organisationen überlebenswichtig. Sie reduzieren – zumindest temporär – Komplexität und Unsicherheit, indem sie Orientierung bieten. Gruppendynamiken, Heuristiken und das Denken in einfachen Ursache-Wirkungs-Ketten können jedoch zu Verzerrungen oder unerwünschten Nebeneffekten führen. Diversität, Raum für Reflexion, ein kritischer Umgang mit Informationen sowie ein systemischer Blick auf die Organisation sind hilfreiche Werkzeuge, um dennoch gute Entscheidungen zu treffen.
Quellen
- Kahneman, D. (2012). Schnelles denken, langsames Denken. Siedler Verlag.
- Von Foerster, H., & Pörksen, B. (1998). Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Heidelberg, 2. Aufl.
