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Global Human Capital Trends: Warum Erfahrung nicht mehr das oberste Kriterium sein darf

Hochschulabschluss oder Berufserfahrung? Am liebsten natürlich beides. Neben der fachlichen Qualifikation ist langjährige Erfahrung in den meisten Jobs ein Muss. Gesucht sind möglichst junge Profile mit einem Leistungsausweis in einer gleichwertigen Position, idealerweise in der gleichen Branche.
Diese Anforderungen werden jedoch immer seltener erfüllt. Wie die aktuelle Ausgabe der Studie Global Human Capital Trends von Deloitte zeigt, beklagen zwei Drittel der Führungskräfte, dass die meisten neuen Mitarbeitenden ungenügend auf ihren Job vorbereitet sind. Das häufigste Manko ist die langjährige Berufserfahrung.
Einstiegspositionen verschwinden
Das Problem ist ein Stück weit hausgemacht. Unternehmen verlangen Erfahrung, geben jungen Talenten aber immer seltener die Möglichkeit, diese zu sammeln. Um agiler zu werden, setzen Organisationen auf schlanke Strukturen und flache Hierarchien. Dadurch fallen vermehrt Rollen weg, die bisher als Karrieresprungbrett dienten.
Gleichzeitig nimmt der Bedarf an Arbeitskräften auf Einstiegsebene laufend ab. Outsourcing und Automatisierung lassen niederschwellige Positionen verschwinden. Künstliche Intelligenz (KI) verstärkt diese Entwicklung noch, da in vielen Unternehmensbereichen einfachere Aufgaben wegfallen. KI-Automatisierung wird in den nächsten Jahren zahlreiche Routinearbeiten überflüssig machen.
Hohe Hürden für junge Talente
Durch diese Entwicklungen wird es für junge Talente immer schwieriger, die ersten Schritte auf der Karriereleiter zu machen. Dennoch verschärfen die Unternehmen ihre Kriterien bei der Rekrutierung weiter: 66% der von Deloitte befragten Firmen haben die Anforderungen an die Berufserfahrung kürzlich erhöht. Bei der Mehrheit der Eintrittsstellen sind zwei bis fünf Jahre Erfahrung mittlerweile die Voraussetzung.
Wie lange solche hohen Anforderungen noch realistisch sind, ist fraglich. Fast die Hälfte der Unternehmen nimmt bereits eine Kluft zwischen verlangter und vorhandener Erfahrung wahr: 48% der Firmen haben Mühe, diese Lücke zu schliessen. Künftig dürften Wunsch und Wirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen. Schon heute wird deutlich, dass der Fachkräftemangel nicht nur eine Knappheit an Qualifikationen bedeutet, sondern vor allem auch eine grosse Erfahrungslücke verursacht.
Ein Perspektivenwechsel ist nötig
Wie lässt sich diese Lücke schliessen? Unternehmen kommen nicht darum herum, ihre starren Auswahlkriterien aufzuweichen. Die Jahre, die jemand in einer bestimmten Funktion verbracht hat, dürfen bei der Rekrutierung nicht länger das ausschlaggebende Kriterium sein. Das erfordert einen Perspektivenwechsel: Der Blick richtet sich nicht länger auf die Vergangenheit der Kandidatinnen und Kandidaten, die sie in anderen Unternehmen verbracht haben, sondern auf ihr Potenzial in der Zukunft im eigenen Betrieb.
Es ist daher an der Zeit, Erfahrung neu zu definieren. Was morgen zählt, ist nicht die jahrelange Routine, sondern die Kompetenz, das eigene Wissen im jeweiligen Kontext gezielt anzuwenden. Dies ist umso wichtiger, da KI-Tools vermehrt Routinearbeiten übernehmen. Erfahrung aus dem Effeff zählt immer weniger. Vielmehr geht es darum, dass Mitarbeitende ihre Fähigkeiten in immer neuen Zusammenhängen flexibel einsetzen können.
Filter in der Rekrutierung hinterfragen
Der Trend in den Human Resources weist schon länger in Richtung Kompetenzorientierung. Statt auf eine starre Jobprofil- Betrachtung setzen immer mehr Unternehmen auf Skills Mapping. Die Orientierung an einer Kompetenzmatrix ermöglicht es, die gesuchten Fähigkeiten auf die Unternehmensziele abzustimmen. Dies erlaubt in der Folge auch ein gezieltes Talentmanagement, um die Kompetenzen durch Upskilling weiterzuentwickeln.
Dabei gilt es, vor allem auch die technologischen Filter zu hinterfragen. Die Personalsuche wird zunehmend von Algorithmen bestimmt – das vereinfacht vieles, doch die Rekrutierungstools können das Blickfeld auch so einengen, dass Bewerbende mit Erfahrungen in übertragbaren Bereichen übersehen werden. Gerade Quereinsteiger haben so wenig Chancen.
Talentförderung kommt zu kurz
Mit der Rekrutierung allein lässt sich die Erfahrungslücke jedoch nicht schliessen. Wenn der Arbeitsmarkt immer weniger erfahrene Talente bietet, muss Erfahrung vermehrt intern aufgebaut werden. Fast drei Viertel der von Deloitte befragten Mitarbeitenden und Führungskräfte sind sich denn auch einig, dass ihr Unternehmen mehr Möglichkeiten schaffen sollte, um Erfahrung zu sammeln. Allerdings bleibt kaum Zeit für die Förderung neuer Teammitglieder. Führungskräfte investieren im Schnitt nur 13% ihrer Zeit in Aufgaben wie Einstellung und Einarbeitung.
Neben der Zeit mangelt es auch an Kompetenzen. Mehr als ein Drittel der Führungskräfte fühlt sich nicht ausreichend für die Führung qualifiziert. Und diese Aufgabe wird immer anspruchsvoller, da durch die jüngsten Veränderungen in der Arbeitswelt gegensätzliche Erwartungshaltungen entstehen. So erwarten 75% der Mitarbeitenden von ihrem Arbeitgeber Stabilität. Umgekehrt fordern jedoch 85% der Manager von ihren Mitarbeitenden Agilität. Führungskräfte müssen einen Mittelweg finden, der beiden Seiten gerecht wird.
VUCA-Welt sorgt für Spannungen
Das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Kontinuität ist momentan offensichtlich gross. Remote-Work, agile Arbeitsmethoden und neue Technologien haben die festen Strukturen der Arbeitswelt aufgebrochen. Die VUCA-Welt ist vielerorts spürbar: Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit beschäftigen die meisten Branchen. Die Unternehmensführung muss hier Halt bieten und Kompetenzen entwickeln, um mit der wachsenden Unsicherheit umzugehen.
Eine zentrale Rolle spielt dabei der Umgang mit KI. Auch hier tun sich Spannungen auf: Während die Unternehmen sich Effizienzsteigerungen erhoffen, bangen Mitarbeitende um ihre Jobs. Gleichzeitig geraten aber auch die Arbeitgeber unter Druck, weil sie sich mit der Integration der Technologie schwertun. Mitarbeitende verwenden Tools wie ChatGPT deshalb einfach auf eigene Faust, was nicht in allen Unternehmen gern gesehen wird.
Die Managerrolle neu definieren
Diese Spannungsfelder machen es deutlich – Personalentwicklung passiert heute unter neuen Voraussetzungen. Damit verändern sich auch die Anforderungen an die Führungskräfte. Fast drei Viertel der befragten Führungskräfte sind sich einig, dass die Rolle des Managers neu definiert werden muss, zumal die althergebrachten Anreizsysteme nicht mehr funktionieren: Mehr als die Hälfte der Manager hat kein Vertrauen in das Leistungsmanagement des Unternehmens.
Die meisten Unternehmen tun sich mit der Neudefinition der Managerrolle jedoch schwer. Nur eine kleine Minderheit von 7% verzeichnet bereits Fortschritte. Drei Aufgaben sind dabei von zentraler Bedeutung: Erstens, die Optimierung des Zusammenspiels von Mensch und Maschine – auch aus HR-Sicht ein wichtiger Punkt, da der Umgang mit KI die Arbeitgeberattraktivität beeinflusst und damit Auswirkungen auf den Employer Brand und die Mitarbeiterbindung hat. Zweitens, ein gezieltes Talentmanagement, um die Erfahrungslücke zu schliessen. Und drittens, das Schaffen von Freiräumen, damit Mitarbeitende neue Dinge ausprobieren können. Auch dies stärkt letztlich den Erfahrungsschatz des Unternehmens.
3 TIPPS, UM DIE ERFAHRUNGSLÜCKE ZU SCHLIESSEN
- Stellen Sie Fähigkeiten über Erfahrung.
- Prüfen Sie die Filter Ihrer Rekrutierungstools.
- Investieren Sie mehr ins Talentmanagement.
ÜBER DIE STUDIE
Für die Studie «2025 Global Human Capital Trends» befragte Deloitte rund 10 000 Führungskräfte und HR-Verantwortliche in 93 Ländern. In diesem Jahr wurden zusätzliche Interviews mit Managern und Mitarbeitenden ohne Führungsfunktion geführt, um die beiden Sichtweisen zu vergleichen.
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