Experten-Interviews

Mai 2024

Künstliche Intelligenz, ChatGPT & HR-Digitalisierung: «KI ist gekommen, um zu bleiben»

Obwohl es künstliche Intelligenz (KI) schon lange gibt, war die Lancierung von ChatGPT im November 2022 ein Wendepunkt. KI ist seitdem gefühlt überall und beeinflusst die Arbeitswelt nachhaltig. Im Titelinterview sprechen wir mit Corina Zingg, Geschäftsführerin und Kursleiterin bei CreaLengo, darüber, wie ChatGPT und andere KI-Tools im Personalwesen sinnvoll genutzt werden können. Welche Fähigkeiten es im Umgang mit KI braucht, und ob wir wegen ChatGPT das Denken verlernen, lesen Sie im Interview.

Von: Dave Husi   Teilen  

Dave Husi

Dave Husi ist Chefredaktor von personalSCHWEIZ.
Zuvor hat er bei einem Medien-Startup Gründerluft geschnuppert und war bei einem Fachverlag im Medizinbereich journalistisch tätig.

Künstliche Intelligenz, ChatGPT & HR-Digitalisierung

Frau Zingg, Sie unterstützen mit Ihrem Unternehmen Jobcoaches und Karriereberatende. Wie kam es dazu, dass Sie sich heute intensiv mit künstlicher Intelligenz beschäftigen? 
Als ich im Januar 2023 das erste Mal hörte, dass jetzt eine KI Bewerbungsschreiben verfassen kann, wollte ich das genauer wissen. Also fuchste ich mich in das Thema ein. Ich war überrascht, was alles möglich war. Also starteten wir bei CreaLengo im Februar 2022 mit den ersten ChatGPT-Kursen für Jobcoaches. Das Interesse stieg, und nun kamen auch Unternehmen aus anderen Branchen auf uns zu. Wir haben uns also im letzten Jahr zu einem Spezialisten für KI im Arbeitsalltag entwickelt.

Wie nutzen Sie künstliche Intelligenz (KI) selbst im (Arbeits-)Alltag? 
Für Kurse teste ich viele neue Tools auf ihre Tauglichkeit. Beim Spielen mit KI überlege ich mir, wer welchen Nutzen darin sehen könnte und wo die Gefahren und Hürden liegen. Dazu bin ich eine bekennende AGB-Leserin. Mir ist es wichtig, dass meine Daten geschützt sind, aber auch die unserer Kunden. Selbst verwende ich zum Beispiel ChatGPT oder Poe. com als Sparringspartner für neue Ideen für Texte und Lernmethoden. Wenn ich eine Schreibblockade habe, lasse ich mir etwas vorschlagen. Ich experimentiere dabei mit Schreibstilen und Klangfarben. Meist schreibe ich den Text anschliessend selbst und nicht mit KI. Auch kreiere ich ab und zu Lernaufgaben, indem ich mit Beispielen arbeite und diese weiterentwickle. Ich erstelle liebend gerne Bilder, mit welchen ich Präsentationen aufpeppe. Hier achte ich darauf, dass diese aber auch für kommerzielle Nutzung verwendet werden dürfen. Bei vielen Bildern ist das nicht erlaubt.

Welches ist Ihr Lieblingstool und warum? 
Ich führe eine Liste mit KI-Tools, sonst verliere ich die Übersicht. Im Moment sind es etwa 40 bis 50 verschiedene. Jedes hat seine Stärken. Es sind nicht nur Chat-Tools, sondern auch Tools für Bilder, Videos, Musik und Stimmen. Auch für Studenten gibt es tolle KI-Hilfen. Ich denke dabei nicht an Ghostwriting-Tools, sondern an Literaturfinder, KI-Tools für Darstellungen und Aufbereitung von Ergebnissen oder zum Quervergleichen von Artikeln und vielem mehr.

Mein momentaner Favorit ist ChatGPTpro von OpenAI. Viele andere KI-Tools werden immer besser und kommen sehr nahe an ChatGPT heran. Sobald ich denke, dass andere nun besser sind, bringt OpenAI wieder ein neues Update heraus, und ich bin aufs Neue überrascht.

Für die Erstellung von Bildern verwende ich Playground.com oder Leonardo.ai. Ich habe selbst schon ein paar Apps (GPTs) entwickelt – ganz ohne Programmierkenntnisse. Das macht unheimlich Spass, daher haben wir dies in einen der Kurse einfliessen lassen.

Wie verändert KI die Arbeitswelt? 
Ich denke, wir erleben hier eine noch schnellere Entwicklung als zur Zeit der Einführung des PCs. Es wird die meisten von uns betreffen, und wir werden in Zukunft anders arbeiten. Für die unter uns, die gerne Neues erleben, wird es eine spannende Zeit werden. Menschen, die sich nicht verändern wollen oder können, werden Mühe damit haben, und viele wird es überfordern. Wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen, ist noch nicht klar. Verhindern werden wir es nicht mehr können. KI ist da, um zu bleiben.

Welche Aufgaben und Prozesse werden weiterhin von Menschen ausgeführt? Wo übernimmt die KI? 
Interessanterweise werden nicht nur repetitive Arbeiten ersetzt, sondern auch qualifizierte Tätigkeiten. In der Logistik und in der Baubranche übernehmen in Zukunft Roboter vermehrt die schwere körperliche Arbeit von Menschen. Aber auch Anwälte finden Präzedenzfälle mit KI viel schneller, Ärzte können mithilfe von KI bessere Diagnosen stellen, und im Büro kann effizienter gearbeitet werden. Viele Programmierende arbeiten heute bereits mit KI, um so schneller Codes zu produzieren und Fehler zu finden. Jedoch lassen sich die Arbeiten nicht komplett delegieren, es braucht immer jemanden, der wirklichen Ahnung hat, um die KI auf Fehler zu überprüfen.

Der Mensch mit seiner Menschlichkeit kann jedoch nicht ersetzt werden. Patienten wollen eine fürsorgliche Pflege an ihrem Krankenbett. Studenten wollen einem Menschen ihre Fragen stellen, und Mitarbeitende brauchen eine Ansprechperson im HR. Der persönliche Kontakt ist uns sehr wichtig und wird bestimmt in Zukunft noch wichtiger. Den Kundendienst mit KI zu ersetzen, kann ein grosser Fehler sein, wie man heute schon bei einigen Unternehmen sehen kann. Menschen werden den Unterschied machen.

Was bedeutet dies für die Personalarbeit? 
Einige Unternehmen suchten schon lange nach Tools, welche die Arbeit eines HRMitarbeitenden übernehmen könnten. Die perfekten Mitarbeitenden sollten mit null Aufwand gefunden werden. Früher benutzte man dazu grafologische Gutachten. Aufgrund der fehlenden Validität ist man davon wieder abgekommen. Heute versuchen Hersteller, teure KI-Tools zu verkaufen, die Charakterzüge aus Stimmen, Texten oder Videos auslesen. Dies funktioniert genauso wenig und wurde mehrfach durch Studien belegt. 

KI kann eine gute HR-Fachkraft nicht ersetzten. Das beginnt bereits bei der Suche nach Mitarbeitenden. Ich kenne bereits einige Firmen, die Stelleninserate von KI erstellen lassen, ohne die Teamführung, das Team und das Umfeld zu fragen, was der neue Mitarbeitende wirklich mitbringen soll. Danach wundern sie sich, dass die Bewerbenden nicht passen.

Aber KI könnte mir bei den Interviewfragen helfen, oder? 
Ein gut strukturiertes Interview mit konkreten Fragen aus dem Daily Business ist wichtig. Diese Fragen müssen in Zusammenarbeit mit HR und der Abteilung erstellt werden. KI würde hier zwar Fragen liefern, aber diese wären nicht zielführend. Wenn man bedenkt, was eine Fehleinstellung kostet, sind gut geschulte Fachkräfte im HR kostengünstiger. Ebenfalls sollte darauf verzichtet werden, Arbeitszeugnisse oder andere Unterlagen zu erstellen, die der Schweizer Rechtsprechung entsprechen müssen. Die Datensätze, mit denen die KI trainiert wurde, stammen nämlich aus unterschiedlichen Ländern. Für die Kommunikation kann die KI hingegen gute Texte kreieren. Oder sie kann, wenn sie gut aufs Unternehmen abgestimmt worden ist, den Mitarbeitenden gute Weiterbildungen vorschlagen, die sowohl die Stärken des Einzelnen sowie den Need des Unternehmens berücksichtigen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe die Arbeit mit KI. Vielleicht gerade deshalb ist mir die menschliche Interaktion immer wichtiger geworden. Mir gefällt der Begriff Human Relationship auch besser als Human Resources.

Welche Fähigkeiten brauchen HR-Fachkräfte, um die Integration von KI-basierten Lösungen erfolgreich voranzutreiben? 
Neugier, Lebenserfahrung, Berufserfahrung – auch aus anderen Berufen –, eine qualifizierte Weiterbildung für HR, Lust auf KI und viel Empathie, auch für Mitarbeitende, die nicht immer so einfach zu betreuen sind. 

Macht KI uns faul, selbst zu denken oder kreativ zu sein? 
Nein! Bei der Einführung von PC und Internet wurde das gleich behauptet. Die Kreativität hat sich aber ganz im Gegenteil sogar gesteigert, und wir wurden effizienter in dem, was wir taten. Das wird bestimmt wieder passieren.

Sie vermitteln in Weiterbildungen den Umgang mit KI im Unternehmen. Welche Frage wird Ihnen von Kursteilnehmenden am häufigsten gestellt? 
Einige Beispiele: Kann man mit KI Sitzungsprotokolle erstellen? Wie sehe ich, dass der Bewerber KI verwendet hat? Wie kann man das Wissen einer einzelnen Person dem ganzen Team zugänglich machen? Wie kann ich meine Arbeit effizienter gestalten oder sogar an die KI delegieren? Jede Berufsgruppe hat eigene Wünsche. In den firmeninternen Weiterbildungen gehen wir auf die internen Bedürfnisse, Arbeitsabläufe und Datenschutz ein und versuchen, das Beste für das Unternehmen herauszuholen.

Was empfehlen Sie KI-Skeptikern oder Personen, die sich bisher vor der Auseinandersetzung damit gedrückt haben, als Einstieg? 
Ich mag Skeptiker. Wer kritische Fragen stellt, wird KI auch sicherer nutzen. Wir haben den Einsteigerkurs «Von null Ahnung zum KI-Helden» für genau diese Personen erstellt. Hier gehen wir Schritt für Schritt vor und erklären alles ganz genau. Wir informieren darüber, was KI kann und wo die Grenzen sind. Skeptiker fordern uns heraus und bringen uns weiter. Sie können, wenn sie sich das Wissen über KI angeeignet haben, eine wichtige Stütze für jedes Unternehmen sind. Sie analysieren besser und sind generell vorsichtiger. Verhinderer allerdings werden es in der nächsten Zeit sehr schwer haben.

Viele nutzen die Gratisversion von ChatGPT. Für wen lohnt sich ein Upgrade auf die kostenpflichtige Version ChatGPT pro? 
Wer einfach ein wenig mit KI spielen und Texte schreiben will, für den reicht die Gratisversion. Mit guten Prompts, d.h. Fragen an die KI, oder sogar Superprompts – detaillierten Fragen – lassen sich sehr gute Ergebnisse erzielen. Eine kostenpflichtige Version ist dann interessant, wenn man mehr möchte.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Lesen Sie das ganze Gespräch in der aktuellen Printausgabe.

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