Experten-Interviews

Konfliktmanagement: «Es gibt nicht den Konflikt»

Konflikte gibt es immer und überall. Im Berufsalltag muss aber professionell mit ihnen um­ge­gangen werden. Mit Remo Wehrli, Direktor People and Culture bei ISS, sprechen wir über die ­Herausforderungen im Konfliktmanagement und den Einfluss einer positiven Feedbackkultur.

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Kevin Hofer

 

Kevin Hofer war Chefredaktor des HR-Magazins personalSCHWEIZ.

Konfliktmanagement

personalSCHWEIZ: Bei ISS heisst die Personalabteilung People and Culture, wieso?

Remo Wehrli: Bei ISS nennen wir die Abteilung auf der ganzen Welt so. Die Erklärung hierfür ist einfach: Wir haben kein Produkt, sondern bieten Services an, die von Menschen ausgeführt werden. Mit anderen Worten sind es bei uns die Mitarbeitenden, die den sogenannten Unterschied ausmachen. Das wollen wir schon im Titel der HR-Abteilung zeigen. Facility Services ist ein People Business, also ein Business mit Menschen, das steht und fällt mit den Mitarbeitenden vor Ort, wie sie arbeiten, wie sie auftreten. Sind das gewinnende Personen mit guten Fachkompetenzen, sind wir erfolgreich. Wenn nicht, sind wir es nicht – natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt.

Und Culture?

Culture bezieht sich auf die Schaffung einer positiven Unternehmenskultur. Sie können sich vorstellen, dass die Mitarbeitenden auch bei unseren Mitbewerbern die zentrale Komponente bilden. Damit wir uns gegenüber diesen profilieren können, braucht es eine Kultur, wo man noch lieber arbeitet. Wo man sich wohlfühlt. Wo man Ideen einbringen darf. Wo man auch einmal einen Fehler machen darf und wo es auch einmal einen Konflikt geben darf. Und das wollen wir schon mit dem Namen manifestieren. Von daher kommt People & Culture.

Womit wir beim Thema sind: ­Konflikte. Welchen Stellenwert hat denn das Thema Konfliktmanagement in Ihrem beruflichen Alltag?

Vorwegnehmend habe ich eigentlich nicht so oft mit Konflikten zu tun, dass sie meinen beruflichen Alltag bestimmten. Dies hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass wir hier eine Kultur leben, die für mich einzigartig ist. In meinem Berufsleben habe ich so etwas bisher nicht erlebt; Missgunst und «Ellbögeln» gibt es hier so gut wie nicht. Es wird zusammen gefeiert und es wird zusammen gelitten. Es wird zusammengestanden. Zudem existiert ein hoher Grad an Wertschätzung. Aber klar, auch hier kommt es selbstverständlich zu Konflikten. Wir sind 12 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wir stammen aus insgesamt 125 Nationen, wir haben eine diverse Belegschaft, und selbstverständlich birgt das auch Potenzial für Konflikte. Ich glaube aber, in einem völlig normalen Rahmen, wie es sie überall gibt. Als People & Culture werden wir bei Konfliktsituationen fallweise involviert, das ist Teil unserer Arbeit und gehört dazu.

Sie sagen, dass die Kultur bei ISS einzigartig ist und es Missgunst beinahe nicht gibt. Ist es ein Teil Ihrer Strategie im Konfliktmanagement, Konflikte bereits präventiv anzugehen respektive gar nicht erst entstehen zu lassen?

Ich glaube, es geht hier viel mehr um die Kultur als um das Konfliktmanagement. Wir müssen die richtigen Menschen für uns gewinnen, vor allem deren Einstellung ist wichtig. Darüber hinaus brauchen unsere Mitarbeitenden selbstverständlich auch die nötigen Fähigkeiten. Aber in allererster Linie müssen unsere Kolleginnen und Kollegen die richtige Haltung mitbringen. Wir nennen das «Hiring the Human Touch». So arbeiten wir bspw. bei der Rekrutierung mit Bildern von verschiedenen Situationen und fragen die Bewerbenden, wie sie in einer gewissen Situation reagieren würden. Wir glauben, dass wir so Mitarbeitende mit der richtigen Einstellung ansprechen und bereits bei der Rekrutierung sagen können, ob Personen passen oder nicht. Wir gehen soweit, dass wir sagen: Lieber einer Top-Fachkraft, die menschlich nicht zu uns passt, absagen und jemanden anstellen, den wir fachlich vielleicht noch bei der Entwicklung unterstützen müssen. Das ist es eigentlich bereits: Wir haben die gleichen Werte und Führungsgrundsätze in der ganzen Unternehmung, und an diese halten wir uns. Kommen wir wieder zu den Konflikten.

Was erachten Sie denn genau als Konflikt?

Wenn zwei oder mehrere Menschen unterschiedliche Vorstellungen vom weiteren Vorgehen haben, von einem Ziel, von einer Wertvorstellung. Wenn ihre Ansichten so unterschiedlich sind, dass man sie nicht vereinbaren kann. Vielleicht muss eine Drittperson vermitteln oder es muss irgendetwas verändert werden, damit es weitergeht. Das ist für mich ein Konflikt. Das muss aber nicht in jedem Fall schwerwiegend sein, denn Konflikte können sich auch ganz einfach lösen lassen.

Was wäre denn ein einfacherer ­Konflikt?

Zum Beispiel: Zwei Personen wollen zur gleichen Zeit in die Ferien. Man spricht miteinander und stellt fest, gleichzeitig geht nicht, jemand muss zurückstecken. Vielleicht macht daraufhin der Vorgesetzte den Vorschlag, dass im ersten Jahr Mitarbeiter X den Vorzug hat und im nächsten Jahr Mitarbeiter Y. Und bereits ist der Konflikt aus der Welt.

Wird People und Culture in solchen Fällen überhaupt aktiv?

Nicht zwangsläufig, vielfach kann der Vorgesetzte den Konflikt selber lösen. Wenn nicht, wendet er sich an uns und wir beraten ihn. Das kommt bei neuen oder jungen Führungskräften öfters vor. People & Culture unterstützt in diesem Moment bei der Lösungsfindung.

Welches sind in Ihrem Unternehmen die Herausforderungen in Sachen Konflikte?

Da wir sehr dezentral organisiert sind, wissen wir nicht immer, wo ein Konflikt besteht. Teilweise wissen nicht einmal die direkten Vorgesetzten davon. Deshalb haben wir in jeder Region unterstützend eine Vertreterin oder einen Vertreter der Personalkommission. Das sind 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verteilt in der ganzen Schweiz, die anonym kontaktiert werden können. Ein verlängerter Arm von People & Culture sozusagen, der als Bindeglied zwischen den Mitarbeitenden und dem Unternehmen fungiert. Im Weiteren geben wir der Linie sehr viel Freiheit und Entscheidungskompetenz, um nahe beim Kunden zu sein. Das ist ein grosser Vorteil, führt natürlich aber auch immer wieder zu Situationen, in denen Entscheidungen gefällt werden, die zu Konflikten führen. Dann muss People & Culture schon auch mal eingreifen. Und nicht zuletzt bringt auch die Diversität, also Mitarbeitende aus 125 Ländern und Kulturen, ein gewisses Konfliktpotenzial mit sich.

Haben Sie hier ein Beispiel?

Ein Bewerber für eine Lehrstelle hat bei der Vertragsunterzeichnung festgestellt, dass der Vertrag von unserer Seite von unserer Lehrlingsverantwortlichen unterschrieben wurde und er den Vertrag nicht unterscheiben könne, da er eine Frau als Vorgesetzte nicht akzeptiere. Wir haben dann nochmals ein Gespräch organisiert und aufgezeigt, dass eine solche Haltung bei uns nicht akzeptiert wird, ihm aber gleichzeitig die Wahl gelassen, entweder seine Einstellung zu ändern oder auf die Anstellung zu verzichten. Da er dazu nicht bereit war, sind wir konsequenterweise das Arbeitsverhältnis nicht eingegangen, denn dies entspricht nicht unserer Kultur.

Wie würden Sie den Konflikt lösen, wenn das bei einem bestehenden Arbeitsverhältnis passieren würde, wenn beispielsweise die vorgesetzte Person wechselt?

Wir würden sicher zuerst das Gespräch suchen, um mehr über die Beweggründe des Gegenübers zu erfahren. Vielleicht haben wir etwas nicht registriert und können leicht etwas anpassen. Wenn es jetzt tatsächlich so wäre, dass die Vorgesetzte aufgrund ihres Geschlechts nicht akzeptiert wird, müssten wir dem Mitarbeitenden aufzeigen, dass eine solche Haltung bei ISS nicht toleriert wird, und halten dies schriftlich fest. Falls das nicht funktioniert, müssten wir darüber nachdenken, ob und wie wir das Arbeitsverhältnis fortführen wollen. Wir pflegen durchaus Meinungs- und Religionsfreiheit. Aber es gibt Grundsätze in unserer Gesellschaft, an die sich alle Mitarbeitenden zu halten haben. Sie haben Massnahmen angesprochen.

Was umfasst denn das Konfliktmanagement bei Ihnen genau?

In diesem Kontext ist sicher wieder die Rekrutierung mit «Human Touch» zu nennen. Es beginnt also bereits damit, dass wir versuchen, Kolleginnen und Kollegen mit Überzeugungen für unser Unternehmen gewinnen zu können, die zu uns passen, die unsere vier Werte Unternehmertum, Qualität, Ehrlichkeit und Verantwortung achten. Insbesondere Ehrlichkeit, und dazu gehört auch Respekt, ist zentral für uns: Wir gehen respektvoll miteinander um und wirken, wo nötig, im Rahmen des Konfliktmanagements korrigierend ein. Hinzu kommt, dass die betroffene Person bei einem Konflikt unterschiedliche Anlaufstellen zur Verfügung hat. Das fängt beim direkten Vorgesetzten an, geht über die Abteilung People & Culture bis zu den Mitgliedern der Personalkommission. Zudem verfügen wir über eine Speak-up-Hotline für Fälle, in denen keine der genannten Anlaufstellen die richtige ist, weil es spezifisch jemanden betrifft oder ein grösserer Missstand aufgezeigt werden soll. Beispielsweise in Fällen von Bestechung oder Veruntreuung. Grundsätzlich versuchen wir allerdings, Konflikte bilateral zu lösen, und sind von unserer Abteilung her auch dafür ausgebildet. Wir nehmen die Konflikte ernst und suchen gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungen, indem wir die nötige Distanz, Professionalität und Gesamtsicht gewährleisten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Konflikte häufig bereits durch Zuhören lösen lassen. Wichtig ist darüber hinaus, eine klare Linie zu verfolgen. Wir haben klare Prozesse, die unsere Handlungen nachvollziehbar und auch vorhersehbar machen.

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