Experten-Interviews

Ausgabe Dezember/Januar 08/2015

Arbeitswelt der Zukunft: Wir müssen lernfähig bleiben

Intelligente Software und smarte Roboter werden in den nächsten Jahren viele Jobs überflüssig machen. David Bosshart, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI), über die Partnerschaft von Mensch und Maschine in der Arbeitswelt der Zukunft.

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Ralph Hofbauer

Ralph Hofbauer war Chefredaktor des HR-Magazins personalSCHWEIZ.

 

Arbeitswelt der Zukunft

personalSCHWEIZ: Software und Roboter machen den Menschen Arbeitsplätze streitig. Darüber hinaus werden die Endverbraucher vermehrt für Arbeitsprozesse einge­spannt, wie etwa beim Self-Scanning im Supermarkt. Sind wir drauf und dran, die Arbeit abzuschaffen?

David Bosshart: Nein. Berufe kommen und gehen wie eh und je. Mit neuen Technologien entstehen auch neue Be­dürfnisse und so wiederum neue Berufe. Die Geschichte der Technologie ist eine Geschichte der Automatisierung. Men­schen sind bequem: Was man outsourcen kann, was man nicht mehr selbst machen kann oder will, wird einfach weggegeben an jemanden, der es schneller, billiger und häufig auch besser machen kann. Wer Self-Scanning zu nützen begonnen hat, zieht es häufig dem Kassengang vor, etwa weil es mehr Selbstkontrolle bringt. Solche Entwicklungen sind aber natürlich immer auch ambivalent – entscheidend ist, dass wir lernfähig bleiben.

Gibt es Prognosen, wie viele Arbeits­plätze der Digitalisierung – oder letztlich eben der «Robotisierung» – zum Opfer fallen werden?

Wir befinden uns erst am Anfang der digi­talen Revolution, deshalb ist es schwierig und wenig vielversprechend, Prognosen zu machen. Vor drei Jahren hat niemand die immense Bedeutung von Cloud Com-puting erkannt und niemand hat über die Einführung von Self-Driving gesprochen. Statt illusorische Prognosen zu machen, müssen wir das digitale Ökosystem – al­so das Zusammenspiel der verschiedenen Entwicklungen und seine gegenseitigen Abhängigkeiten – verstehen lernen. Wir können nur sagen: Der Wandel kommt, aber wir wissen nicht genau, wo und wie schnell. Fest steht: Wir bewegen uns weg von der linearen, hardwareorientierten industriellen Welt hin zu einer exponen­tiellen, softwareorientierten Welt.

Welche Veränderungen kommen durch diesen Wandel auf uns zu?

Es verändert sich vor allem die Art, wie wir kommunizieren. Eingeleitet wurde dieser Paradigmenwechsel durch die Lancierung des iPhones im Jahr 2007. Apple hat da­mit das Kundenerlebnis und die Kunden­erwartung auf eine neue Ebene gehoben. Das iPhone ist heute der globale Bench-mark für alle Kommunikation – egal ob Business-to-Business, Business-to-Customer oder Business-to-Administration.

«Theoretisch sind heute schon vollautomatisierte Firmen möglich, die von Robotern gemanagt werden.»

Die meisten Unternehmen bezeich­nen heute die Mitarbeitenden als ihre wichtigste Ressource. Sind in Zukunft Unternehmen denkbar, die gänzlich ohne menschliche Mitarbei­tende – oder gar ohne menschliches Management – auskommen?

Theoretisch sind heute schon vollautoma­tisierte Firmen möglich, die von Robotern gemanagt werden und keinerlei Men­schen mehr benötigen, um am Markt funktionstüchtig zu sein. Die Technolo­gie ist uns Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen. Im Vergleich zu Algorithmen können wir viel weniger Komplexität ver­arbeiten und weniger Daten analysieren.

Gibt es denn überhaupt noch Berei­che, in denen der Mensch der Ma­schine überlegen ist?

Wenn es um Vorstellungskraft, Kreati­vität, Improvisation, vernetztes Denken, langfristige Strategien, Bauchgefühl, komplexe Emotionen, Gestik, Werte-orientierung, sprachliche Nuancen oder Humor geht, sind Menschen den Maschi­nen überlegen – zumindest heute noch.

Wie müssen wir uns die künftige Partnerschaft von Mensch und Maschine vorstellen?

Ich denke, dass sich Mensch und Maschi­ne gut ergänzen werden. Wie gesagt, kann die Maschine, auch die intelligen­teste, immer noch viele Dinge nicht, die Menschen gut können. Wir haben – vor­sichtig formuliert – zumindest für die kommenden Jahre einen Vorsprung. Menschen sind dann am besten, wenn sie gut mit anderen Menschen und gut mit intelligenten Maschinen zusammen­arbeiten können. Die Teams der Zukunft bestehen aus Menschen und smarten Maschinen. Bei den Games wie etwa beim Schach, wo die Zusammenarbeit mit intelligenter Software Tradition hat, lernen wir sehr schön, wie die Maschine tickt, und wir können Schritt für Schritt lernen, wie wir uns verbessern können. Lernen wird ein kontinuierlicher Prozess, bei dem es darauf ankommt, besser zu werden beim Besserwerden.

Wie meinen Sie das konkret?

Bei Sportarten wie Fussball oder Basket­ball haben die besten Clubs früh damit begonnen, Trainingsdaten zu erheben, damit die Leistung individuell und im Team verbessert werden kann. Mit der Zeit haben Trainer und Spieler immer besser verstanden, was es heisst, Mü­digkeit, Glukoselevel, Bewegungslevel, Puls, Schlaf etc. zu korrelieren und ver­tieft zu analysieren. So lernt man, wann man produktiv ist und wie viel Pause man braucht für die Regeneration. Man sieht dann sehr schön, dass es etwa sinnlos ist, immer weiter und immer mehr zu rennen, wir müssen vielmehr anhand der Daten unser Verhalten schrittweise optimieren. Das ist ein kontinuierlicher Lernprozess. Der Weg, sich zu verbessern, ist die Art, wie man trainiert. Und das hat immer mehr mit kluger Datenanalyse zu tun.

«Die Teams der Zukunft bestehen aus Menschen und smarten Maschinen.»

Sind auch die Human Resources lang­fristig durch Technologie ersetzbar? Werden Algorithmen bald schon Mitarbeitende rekrutieren?

Theoretisch sind alle Funktionen genau so, wie sie outsource-bar sind, auch er­setzbar. De facto setzen wir längst Algo­rithmen ein im HR-Bereich – wir sammeln etwa Daten über Kandidaten, um das zu erfahren, was im CV und im Gespräch nicht erscheint. Je komplexer die Firma, desto wichtiger ist die Werthaltung im Unternehmen – wie man etwas macht, um sich zu unterscheiden. Daher wird der Rekrutierungsprozess viel anspruchsvol­ler. Der amerikanische Spruch «hire slow, fire fast» stimmt in Zukunft wohl mehr denn je. Viel sorgfältiger zu rekrutieren und zuzuwarten, bis wir die richtige Per­son finden, ist billiger, als sofort eine Stelle zu besetzen, einfach damit man sie be­setzt hat. Richtig ist sicher: Viele typische Backend-Funktionen wie die administra­tive Arbeit im HR können automatisiert werden. Wichtige Meetings aber können Sie weiterhin nicht automatisieren, da ist Face-to-Face-Kommunikation nachweis­lich überlegen.

Wird sich der War for Talents in den nächsten Jahren weiter zuspitzen?

Schon heute gilt: Je anspruchsvoller der Job, desto globaler das Profil. Der Wett­bewerb bei ambitionierten Menschen ist global, nicht mehr regional oder lokal – und damit auch vergleichbar mit den besten Fussballteams, welche die besten Spieler rekrutieren, egal woher sie kom­men. In den besten Ligen wie etwa in England sind zwei Drittel der Spieler glo­bal rekrutiert. Der Kampf um die wirklich Guten wird in den nächsten Jahren zu­nehmen – und die Besten werden wiede­rum die Besten anziehen. Hinzu kommt, dass der Job eines CEO heute komplett anders als vor 20 Jahren ist.    

Inwiefern?

Der Job des CEO ist in Zukunft mehr ein Chief Engagement Officer Job – es geht darum, Menschen für kontinuier­lichen Wandel zu überzeugen, weil das Befehlen nicht mehr funktioniert. Hier­archie bestimmte die industrielle Welt, Netzwerke bestimmen die digitale Welt. Je mehr Technik, desto wichtiger ist die Sensibilität, die richtigen Mitarbeitenden am richtigen Ort einzusetzen. Und mit im­mer mehr Compliance, Regulierung und dergleichen wird die Kommunikation mit unterschiedlichsten Stakeholdern immer wichtiger. Nur an die Shareholder zu den­ken, genügt nicht mehr.

Wie wird sich die Arbeitswelt verändern?

In der Stossrichtung kann man das gut beantworten: Flexibilität, Agilität und das Lernen zu lernen werden immer wichti­ger. Es braucht nur noch ein Kernteam und verschiedene Kategorien von Zulie­ferern. Wir können die industriellen Bü­rokratien der Vergangenheit nicht mehr mitfinanzieren im globalen Wettbewerb. Das betrifft auch den Sozialstaat. Die Welt wird urbaner, globaler, konsumorientier­ter und leistungsorientierter. Wir werden fast alle industriellen Errungenschaften – insbesondere den Sozialstaat – neu erfin­den müssen.

«Wer nicht mutig Neues ausprobiert, lernt auch nichts, son­dern verschwindet einfach schneller vom Markt.»

Welche Herausforderungen kom­men aufgrund dieser Entwicklungen auf die Unternehmen zu? Wie kön­nen sich Organisationen fit für die Zukunft machen?

Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Unternehmen im Schnitt noch 90 Jahre alt, heute sind es noch 18 Jahre. Die Evo­lution beschleunigt sich – wer Erfolg ha­ben will, muss experimentieren und Lust haben, die Welt zu verändern. Das bedeu­tet unweigerlich: mehr Versuche, aber auch mehr Misserfolge. Wer nicht mu­tig Neues ausprobiert, lernt auch nichts, sondern verschwindet einfach schneller vom Markt. Wir leben nicht mehr in der industriellen Welt der Befehlshierarchien des 20. Jahrhunderts. Die immer vernetztere Echtzeitwelt schafft die Regeln, nach denen sie funktioniert, erst im Spiel selbst. Daher gibt es auch keine normativen Vorgaben mehr oder die Möglichkeit, standardisierte Muster anzuwenden, son­dern nur noch die Bereitschaft, lernfähig zu bleiben.

Die App der US-Firma Uber, die durch die automatische Abwicklung von Fahrten mit privaten Taxifahrern herkömmlichen Taxidiensten Kon­kurrenz macht, ist zurzeit in aller Munde. Wird dieses Geschäftsmodell Ihrer Meinung nach Schule machen?

Man kann darüber streiten, ob Uber ein gutes oder ein schlechtes Geschäftsmo­dell ist. Unbestreitbar scheint mir, dass wir aus dieser Fallstudie lernen können, was in der digitalen Welt auf uns zukommt. Wenn wir die Möglichkeiten von intelli­genter Software beobachten, entdecken wir Schritt für Schritt, was effizient und was ineffizient heisst – und das ist ent­scheidend. Forscher des GDI haben im Rahmen einer Studie vier Zukunftsszenarien der vernetzen Gesellschaft für das Jahr 2030 entworfen. Drei davon sind relativ düster, vor allem das Szenario der «Digital 99 Percent»: Die Gesell­schaft spaltet sich in eine technokrati­sche Elite und eine grosse Masse, die sich mit unqualifizierten Jobs über Wasser hält und mit billiger Unterhal­tung ruhiggestellt wird.

Wie können wir verhindern, dass diese gespaltene Gesellschaft Realität wird?

Für die Schweiz ist die Kernfrage über­haupt, ob wir eine Mittelschichtgesellschaft bleiben werden und wie wir das realisieren. Die Voraussetzungen sind mit dem dualen Bildungssystem, der grossen Leistungsbereitschaft, den institutionel­len Traditionen, dem schon hohen Grad an Globalisierung, der gemischten Wirt­schaft und der direkten Demokratie gut. Aber wenn die internationalen politischen Entwicklungen wie aktuell weitergehen, kann mittelfristig wohl alles passieren.

Ihre aktuelle Studie «Digital Ageing» beschäftigt sich mit dem Altern in Zeiten der Digitalisierung. Welches sind die zentralen Erkenntnisse die­ser Studie?

Erstens, dass sich leider nicht nur die jungen Menschen, sondern auch die älteren kaum Gedanken zu ihrer Zu­kunft machen. Die Lebensplanung wird aber – so paradox das klingen mag – in einer komplexen Welt immer wichtiger, weil es immer mehr Brüche geben kann. Nur Umwege führen zum Ziel. Ich muss mich besser selbst verstehen lernen, was ich will und vor allem was ich nicht will. Zweitens zeigt die Studie, dass die Tech­nologie, richtig eingesetzt, mit geringen Kosten helfen kann, unser Leben besser, effizienter und effektiver zu gestalten.

Zur Person

Dr. David Bosshart ist seit 1999 CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft (GDI). Das 1962 gegrün­dete Institut ist ein unabhängiger europä­ischer Think Tank für Handel, Wirtschaft und Gesellschaft. Bossharts Arbeits­schwerpunkte sind Megatrends und Ge­gentrends in Wirtschaft und Gesellschaft, Zukunft des Konsums und Konsumverhal­tens, Globalisierung und politische Philo­sophie, Management und Wandel.

www.gdi.ch

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