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Als Persönlichkeitseigenschaft auch vorteilhaft: Der gesunde Narziss

Was geht Ihnen beim Begriff Narzissmus durch den Kopf? In der griechischen Mythologie gab es den Jüngling Narziss, den alle begehrten. Nur sein Spiegelbild im See, in das er verliebt war, blieb stumm. Dies kränkte ihn so stark, dass er an gebrochenen Herzen starb.10 Auch heutzutage scheint der Begriff Narzissmus eher negativ behaftet zu sein. Aber alles hat Vor- und Nachteile!

Von: Tatjana Stähli, Jennifer Widmer, Corina Zaugg   Teilen  

Tatjana Stähli

Tatjana Stähli ist Kauffrau EFZ und hat den BSc in Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz abgeschlossen. Sie ist in der Arbeitsintegration für Fach- und Führungskräfte tätig.

Jennifer Widmer

Jennifer Widmer arbeitet als Personal- und Organisationsentwicklerin bei der Organisation und Informatik der Stadt Zürich. Sie absolviert im Masterstudiengang in Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Corina Zaugg

Corina Zaugg hat kürzlich den BSc in Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz abgeschlossen. Sie arbeitet als Produktmanagerin in der Personal-, Organisations- und Kulturentwicklung bei der SBB.

Als Persönlichkeitseigenschaft auch vorteilhaft

© Unsplash/ali morshedlou

Narzissmus und Gesundheit
Der Begriff «Narzissmus» fällt meistens in einem negativen Kontext. Wir werfen an dieser Stelle auch einen Blick auf die Vorteile dieser Eigenschaft in Bezug auf die Gesundheit und stellen uns die Frage: «Kann ein Hauch von Narzissmus für unsere Gesundheit tatsächlich förderlich sein?»

Narzissmus hat Auswirkungen auf die Gesundheit, sei es auf Aussenstehende oder für die betroffene Person selbst. Eine positive Auswirkung auf die Gesundheit, die oft verborgen bleibt, ist die psychische Widerstandsfähigkeit und die geringere Anfälligkeit auf Depressionen von Menschen, die zu narzisstischen Zügen neigen.4, 11

Persönlichkeitsdimension versus Persönlichkeitsstörung
Narzissmus kann in zwei Bereiche differenziert werden. Einerseits ist Narzissmus eine Persönlichkeitsstörung und andererseits eine Persönlichkeitseigenschaft. Der Übergang von der Persönlichkeitseigenschaft zur Persönlichkeitsstörung ist fliessend, indem die narzisstische Ausprägung zunimmt. 16 Die Persönlichkeitseigenschaft des Narzissmus zeigt sich in hoher Selbstwertschätzung, geringer Empathie, dem Wunsch nach Bewunderung, dem Gefühl der Überlegenheit, einer Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und ansatzweise sozial unverträglichen Verhaltensweisen.16

Hochaktuell
Die meisten Menschen tragen ein gewisses Mass an Narzissmus in sich. Zudem ist es ein hochaktuelles Thema, da die Narzissmuswerte in der westlichen Gesellschaft stark ansteigen.15 Gründe dafür sind Leistung und Wettbewerb, was in der westlichen, individualistischen Kultur im Vergleich zur kollektivistischen Kultur als positiv angesehen wird.6

Die Sache mit der Empathie
Empathie wird immer wieder mit Narzissmus in Verbindung gebracht. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsausprägung sind in der Tat mit der Fähigkeit zur Empathie ausgestattet.8 Doch ist das Entfalten dieser Empathie stark abhängig von ihrem Willen, sie zu zeigen – eine Bereitschaft, die solche Menschen nur allzu oft zurückhalten. Folglich verspüren Narzisst*innen auf ihr Handeln kaum bis kein Schuld- und Schamgefühl.Daraus lässt sich ableiten, dass sich dies wiederum positiv auf ihre Life-Domain-Balance auswirkt. Denn Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeit haben beispielsweise kein schlechtes Gewissen, wenn sie nach ihren achteinhalb Stunden aus dem Büro spazieren und die Teamkolleg*innen in Arbeit versinken. Sie empfinden ebenfalls kein Schamgefühl, wenn sie die eigenen nicht erledigten Aufgaben den Kolleg*innen abgeben, um den Nachmittag für private Freizeitaktivitäten freizunehmen. Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsausprägung zeigen sogar eine erhöhte Fähigkeit zur Empathie auf. Das heisst, Narzisst*innen sind überdurchschnittlich gut darin, die Gefühle von Mitmenschen zu erkennen, was sie wiederum zu ihrem Vorteil nutzen können.14 So können sie die Unsicherheit einer unerfahrenen Führungsperson spüren und ausnutzen. Narzisst*innen können die Führungsperson so manipulieren, dass sie beispielsweise die Nachtschicht umgehen können. Nachtschichten führen zu Schlafstörungen und zur Entstehung von weiteren Erkrankungen.2, 14 Es zeichnet sich wiederholt ab, dass Narzisst*innen auf diese Weise ihre eigene Gesundheit behüten und bewahren können.

Das selbstbezogene Hochgefühl
Gesunder Narzissmus ist mit Selbstachtung und Selbstwert verwandt, doch er äussert sich stärker. Es geht um die ekstatische Freude an sich selbst, an der eigenen Schönheit, dem eigenen Verstand oder bei der erfolgreichen Bewältigung einer schwierigen Aufgabe.6 Diesen selbstbezogenen Hochgenuss regelmässig zu erleben, dürfte eine stark positive Auswirkung auf das eigene Wohlbefinden haben. Wir gehen davon aus, dass diese Ekstase als Ersatz für die fehlende, externe Wertschätzung dient, sei es im Berufs- oder Privatleben. Somit lässt das ausgebliebene Lob der kritischen Führungsperson mit einer angemessenen Menge Narzissmus einen allmählich unberührt. Gefühle des Versagens und der Frustration und sogar Burnouts könnten durch diese wiederkehrende, selbstbezogene Ekstase gedämpft, wenn nicht sogar vermieden werden. Demzufolge sollen Menschen mit gesundem Narzissmus einen nachhaltigen Sinn in der eigenen Leistung empfinden und widerstandsfähiger durchs Leben gehen.6

(Dies ist eine gekürzte Version. In voller Länge lesen Sie den Artikel in der aktuellen Ausgabe September 2023 von personalSCHWEIZ)

Quellen

  1. André, C., Lelord, F. & Pannowitsch, R. (1998). Der ganz normale Wahnsinn: vom Umgang mit schwierigen Menschen (2. Aufl.). Leipzig: Kiepenheuer.
  2. Angerer, P. & Petru, R. (2010). Schichtarbeit in der modernen Industriegesellschaft und gesundheitliche Folgen. Somnologie – Schlafforschung und Schlafmedizin, 14, 88–97. doi.org/10.1007/s11818-010-0462-0
  3. Back, M. D., Schmukle, S. C. & Egloff, B. (2010). Why are narcissists so charming at first sight? Decoding the narcissism–popularity link at zero acquaintance. Journal of Personality and Social Psychology, 98(1), 132–145. https://doi.org/10.1037/a0016338
  4. Bonanno, G. A., Rennicke, C. & Dekel, S. (2005). Self-enhancement among high-exposure survivors of the September 11th terrorist attack: resilience or social maladjustment? Journal of Personality and Social Psychology, 6, 984–998. doi.apa.org/doiLanding
  5. Cheng, J. T., Tracy, J. L. & Miller, G. E. (2013). Are narcissists hardy or vulnerable? The role of narcissism in the production of stress-related biomarkers in response to emotional distress. Emotion, 13(6), 1004–1011. doi.apa.org/doiLanding

  6. Foster, J. D., Campbell, W. K. & Twenge, J. M. (2003). Individual differences in narcissism: Inflated self-views across the lifespan and around the world. Journal of Research in Personality, 37(6), 469–486. doi.org/10.1016/S0092-6566(03)00026-6

  7. Gelitz, C. (2018). Auf die Art der Empathie kommt es an. Verfügbar unter: https://www.spektrum.de/news/auf-die-art-der-empathie-kommt-es-an/1609524

  8. Kajonius, P. J. & Björkman, T. (2020). Individuals with dark traits have the ability but not the disposition to empathize. Personality and Individual Differences, 155, 1–5. https://doi.org/10.1016/j.paid.2019.109716

  9. Kolod, S. (2016). What is healthy narcissism? The ability to experience joy in yourself can get you through difficult times. Verfügbar unter: https://www.psychologytoday.com/us/blog/contemporary-psychoanalysis-in-action/201609/what-is-healthy-narcissism

  10. Marneros, A. (2018). Mein Bruder Sisyphos, mein Freund der Minotaurus. Archetypen der griechischen Mythologie psychologisch erzählt. Berlin, Heidelberg: Springer. doi.org/10.1007/978-3-662-55808-9

  11. Papageorgiou, K. A., Gianniou, F. M., Wilson, P., Moneta, G. B., Bilello, D. & Clough, P. J. (2019). The bright side of dark: Exploring the positive effect of narcissism on perceived stress through mental toughness. Personality and Individual Differences, 139, 116–124. doi.org/10.1016/j.paid.2018.11.004.

  12. Reinhard, D. A., Konrath, S. H., Lopez, W. D., & Cameron, H. G. (2012). Expensive egos: narcissistic males have higher cortisol. PLOS ONE, 7(1), e30858. doi.org/10.1371/
    journal.pone.0030858

  13. Rose, P. (2002). The happy and unhappy faces of narcissism. Personality and Individual Differences, 33(3), 379–391.

  14. Turner, I. N., Foster, J. D. & Webster, G. D. (2019). The Dark Triad's inverse relations with cognitive and emotional empathy: High-powered tests with multiple measures. Personality and Individual Differences, 139, 1–6. doi.org/10.1016/j.paid.2018.10.030

  15. Twenge, J. M., & Foster, J. D. (2010). Birth cohort increases in narcissistic personality traits among American college students, 1982–2009. Social Psychological and Personality Science, 1(1), 99–106. https://doi.org/10.1177/1948550609355719

  16. Vater, A., Roepke, S., Ritter, K. & Lammers, C. H. (2013). Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Forschung, Diagnose und Psychotherapie. Heidelberg: Springer. doi.org/10.1007/s00278-013-1021-5

 

 

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