Praxisfälle

Zulässigkeit und Grenzen der Überwachung am Arbeitsplatz: Big Boss, Big Brother?

Zwar dürfen Arbeitgeber die Einhaltung von Anweisungen an ihre Arbeitnehmenden kontrollieren, jedoch gilt es beim Einsatz jeglicher technischer Mittel zur Überwachung verschiedene Regeln zu beachten. Der Beitrag zeigt, unter welchen Voraussetzungen Überwachungsaktivitäten gerechtfertigt sind.

Von: Astrid Lienhart   Teilen  

Astrid Lienhart

Astrid Lienhart ist Fachanwältin SAV Arbeitsrecht und als Rechtsanwältin in der Kanzlei Rechtskraft sowie als Head Legal eines Deep-Tech-Startups in Zürich tätig.

Zulässigkeit und Grenzen der Überwachung am Arbeitsplatz

Das Arbeitsverhältnis ist (immer noch) ein Subordinationsverhältnis. Arbeitgeber dürfen hinsichtlich der Ausführung der Arbeit Anweisungen erteilen und deren Einhaltung kontrollieren. Doch mit dem rasanten technischen Fortschritt der letzten Jahre und Jahrzehnte hat sich das Gesicht dieser Kontrollen immer mehr verändert, und wenn Überwachung früher vielleicht einmal darin bestand, dass ab und zu mal der Chef oder die Chefin durch die Arbeitsräume zirkulierte, so hat sich Kontrolle in den letzten Jahren immer mehr in Richtung technischer Mittel verschoben, von der Videokamera über Kontrolle der Internetnutzung bis in jüngster Zeit hin zu People Analytics oder gar Spy Ware. An den rechtlichen Voraussetzungen und Grundsätzen hingegen hat sich nicht viel verändert, abgesehen davon, dass demnächst das revidierte Datenschutzgesetz in Kraft treten wird, welches im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen ebenfalls zu beachten ist. Hingegen ist davon auszugehen, dass vielen Arbeitgebern insbesondere die Zusammenhänge der elektronischen Verhaltensüberwachung und der gesetzlichen Rechte der Arbeitnehmenden nicht bewusst ist. Dieses Manko soll mit dem vorliegenden Beitrag ausgebügelt werden.

Den rechtlichen Rahmen zum Thema Überwachung am Arbeitsplatz bilden zunächst einmal Art. 328 und 328b OR, welche die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers umschreiben, aufgrund welcher der Arbeitgeber die persönliche Integrität und die Gesundheit seiner Mitarbeitenden zu achten und durch entsprechende Massnahmen zu schützen hat. Spezifischer sind die Vorschriften des öffentlich-rechtlichen Arbeitsrechts, in ihnen findet sich in Art. 6 ArbG resp. Art. 26 ArGV3 das Verbot der Verhaltensüberwachung: «Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen nicht eingesetzt werden. Sind Überwachungs- oder Kontrollsysteme aus anderen Gründen erforderlich, sind sie insbesondere so zu gestalten und anzuordnen, dass die Gesundheit und die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer dadurch nicht beeinträchtigt werden.»

Schutz der Gesundheit
Der Sinn und Zweck der Einschränkungen ist, neben dem Datenschutz, auf den später eingegangen wird, der Schutz der Gesundheit der Mitarbeitenden. Der Begriff «Gesundheit» meint dabei nicht nur die «Abwesenheit von Krankheit», sondern genereller das psychische, physische und soziale Wohlbefinden des Mitarbeitenden (SECO, Wegleitung zu ArGV 3, 302-1). Da Überwachungen Stress und Unwohlsein auslösen und damit das psychische, physische wie auch das soziale Wohlbefinden der Mitarbeitenden beeinträchtigen können, sind die Regelungen der Mitarbeiterüberwachung dem Gesundheitsschutz zugeordnet.

Das Gesetz unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Konstellationen: Verhaltensüberwachung, welche verboten ist, und Überwachungs- und Kontrollsysteme aus anderen Gründen. Solche «anderen Gründe» können zum Beispiel die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften, die Leistungsüberwachung oder etwa die Eruierung von technischen Problemen bei mechanischen Anlagen sein. Damit sind Schwierigkeiten bereits vorprogrammiert, lässt sich doch die (erlaubte) Leistungsüberwachung oft nur schwer von der (verbotenen) Verhaltensüberwachung abgrenzen (SECO Wegleitung ArGV 3, 326-2; Arioli, Datenschutz und Datensicherheit im Homeoffice, in: Handbuch Homeoffice, Hrsg. Isabelle Wildhaber, Zürich 2021; § 5 N 37).

Unter welchen Umständen sind Überwachungssysteme zugelassen?
Gemäss SECO ist die Beurteilung der Zulässigkeit von Überwachungs- und Kontrollsystemen anhand von drei Kriterien vorzunehmen (SECO Wegleitung ArGV 3, 326-2):

  • Vorliegen eines klar überwiegenden anderen Interesses (z.B. Sicherheit des Personals, des Betriebs oder der Produktionsoptimierung);
  • Verhältnismässigkeit zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an einer Überwachung und demjenigen der Arbeitnehmenden, nicht überwacht zu werden;
  • Mitwirkung der Arbeitnehmenden bezüglich Planung, Einrichtung und Einsatzzeiten der Überwachungs- und Kontrollsysteme sowie bzgl. Speicherungsdauer der mit solchen erfassten Daten.

Zusätzlich muss sichergestellt sein, dass folgende Gesetzgebungen nicht verletzt werden:

  • Datenschutzgesetzgebung (Datenschutzgesetz, DSG, SR 235.1);
  • Strafgesetzbuch (SR 311.0).

Beispiel: Ein Unternehmen, welches vollautonome Robotersysteme entwickelt, richtet in einem Testraum eine Videoüberwachungsanlage ein. Begründet wird dies damit, dass allfällige Funktionsstörungen der Roboter im Testraum mittels Videoaufnahmen besser analysiert werden können. Arbeitsplätze sind nicht im Bild, aber Mitarbeiter, die den Testraum betreten, werden gefilmt. Zulässig, ja oder nein?

All diese Kriterien müssen in jedem Fall erfüllt werden. Das heisst für Arbeitgeber, dass sie vor der Einführung einer neuen Überwachungsanlage eine individuelle Interessenabwägung und Einschätzung der Verhältnismässigkeit vorzunehmen und die Mitarbeitenden vorab einzubeziehen haben (Arioli, § 5 N 33). Aus dem Datenschutzrecht (DSG) leiten sich sodann weitere Pflichten ab. Erheben, Bearbeiten und Speichern von Personendaten muss gemäss der Datenschutzgesetzgebung erfolgen. Den Grundsatz jeder Datenbearbeitung stellen

  • das Rechtmässigkeitsprinzip,
  • die Zweckbindung
  • das Transparenzgebot
  • der Verhältnismässigkeitsgrundsatz/die Bearbeitung nach Treu und Glauben
  • sowie die Datensicherheit dar.

Informationspflicht bei Überwachungsabsicht
Aus dem Transparenzgebot leitet sich ab, dass betroffene Personen vor Einführung einer Überwachungsmassnahme ausführlich über Art, Ziel und Zweck der Bearbeitung informiert werden müssen. Die Verletzung der Informationspflicht ist im revidierten DSG, welches voraussichtlich im September 2023 in Kraft treten wird, strafbar. Arbeitgebern wird daher empfohlen, die Gründe für eine geplante Überwachung, ihre genaue Ausgestaltung, die jeweiligen Interessenlagen sowie die Massnahmen zur Minimierung der Auswirkungen auf die Arbeitnehmenden im Detail darzulegen, bevor solche Einrichtungen eingeführt werden.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie und der flächendeckenden Einführung von Homeoffice hat die Schweizer Arbeitswelt einen Digitalisierungsschub erlebt. Eng damit einhergegangen ist, wie man verschiedenen Medienberichten entnehmen konnte, auch vermehrter Einsatz von Überwachungssoftware (z.B. NZZ vom 5. Mai 2020, «Bis auf die Unterhose überwacht»). Bisweilen ist diese auch in sehr weit verbreitete Programme eingebettet (z.B. Microsoft Office 365). Solche Software wird in der Regel als produktivitätssteigernd angepriesen, oder es wird geltend gemacht, es würden damit Arbeitsprozesse verbessert. Auch die Autorin dieses Beitrags erreichen wöchentliche E-Mails mit einer Analyse, womit in der vergangenen Woche die Zeit verbracht worden ist, und man wird aufgefordert, sich «focus time» zu buchen, um vermehrt in Ruhe arbeiten zu können. Was aber, wenn mein Chef diese Auswertungen auch einsehen kann? Dann ist man mitten im problematischen Bereich einer potenziellen Verhaltensüberwachung mit seiner schwierigen Abgrenzung zur Leistungskontrolle. Es darf wohl davon ausgegangen werden, dass sich eine Mehrzahl von Arbeitgebern nicht bewusst ist, dass der Einsatz von Software, welche individualisierte Daten zu Arbeitnehmenden liefert, den gleichen, oben aufgeführten arbeits- und datenschutzrechtlichen Einschränkungen unterliegt. Es empfiehlt sich daher dringend, zum einen genau abzuklären, ob und, wenn ja, welche Personendaten von welcher Software erfasst werden (egal, ob inhouse oder im Homeoffice), zum anderen, ob es Anonymisierungsmöglichkeiten gibt. Falls die Erfassung von Personendaten unumgänglich ist, wird dringend empfohlen, die oben genannten Interessenabwägungen sowie die Informierung der Arbeitnehmenden genau einzuhalten.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juli-August 2022 von personalSCHWEIZ erschienen.

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