Praxisfälle

Richtig handeln bei Grenzüberschreitungen: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eines der schwierigsten Themen des HR-Alltags. Die Arbeitgebende muss zunächst den Schutz der belästigten Person sicherstellen, hat dabei aber auch die Interessen der beschuldigten Person zu wahren. Zudem können auch die eigenen Interessen der Arbeitgebenden betroffen sein. Der vorliegende Artikel vermittelt eine Übersicht über die betroffenen Interessen sowie eine grobe Handlungsempfehlung im Falle einer sexuellen Belästigung.

Von: Patrick Näf   Teilen  

lic. iur. Patrick Näf

lic. iur. Patrick Näf, LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner in der auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Gremper & Partner AG. Als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht beschäftigt er sich vorwiegend mit Arbeitsrecht. Er berät seine Klienten bei tagtäglichen Problemstellungen und vertritt sie in streitigen Angelegenheiten vor allen staatlichen Gerichten der Deutschschweiz. Zu seinen Klienten gehören sowohl Arbeitnehmende als auch Arbeitgeber.

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Richtig handeln bei Grenzüberschreitungen

Im Arbeitsalltag gibt es kaum eine vergleichbare Situation, die so herausfordernd ist wie eine behauptete und/oder erfolgte sexuelle Belästigung. Grund dafür ist, dass eine sexuelle Belästigung in jedem Fall eine unerwünschte und in den Intimbereich des Opfers reichende Grenzüberschreitung darstellt. Zu berücksichtigen sind jedoch auch die Rechte der beschuldigten Person. In dieser Situation sind Arbeitgebende gefordert, die Sachlage sorgfältig abzuklären und gestützt auf diese Analyse die angemessenen Massnahmen unter Wahrung der Interessen aller involvierten Personen zu ergreifen.

Was ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Der Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist in diversen Gesetzen verankert: Zunächst sind Arbeitgebende aufgrund der Fürsorgepflicht dafür verantwortlich, die Persönlichkeit der Arbeitnehmenden zu schützen. Das Obligationenrecht sagt ausdrücklich, dass Arbeitgebende dafür sorgen müssen, dass Arbeitnehmende nicht sexuell belästigt werden und dass den Opfern von sexuellen Belästigungen keine weiteren Nachteile entstehen. Ferner haben Arbeitgebende gemäss Arbeitsgesetz die persönliche Integrität der Arbeitnehmenden zu schützen und deren körperliche und geistige Gesundheit zu wahren. Das Gleichstellungsgesetz definiert die sexuelle Belästigung als eine Form der Diskriminierung, welche die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beeinträchtigt. Schliesslich bezweckt auch das Sexualstrafrecht den Schutz vor unerwünschten sexuellen Handlungen. Trotz dieser vermeintlich hohen Regelungsdichte tut sich die Praxis schwer, eine generelle Definition von sexueller Belästigung zu finden. Die Praxis bedient sich daher oft beispielhafter, nichtabschliessender Aufzählungen, das bedeutet, dass diese Aufzählungen nicht alle Fälle erfassen und ähnliche Sachverhalte ebenfalls umfassen.

Die gängigen Definitionen umfassen die folgenden Beispiele:

  • anzügliche und zweideutige Bemerkungen über das Äussere von Arbeitnehmenden
  • sexistische Bemerkungen oder «Witze» über sexuelle Merkmale oder Orientierung
  • Verbreitung von pornografischem Material
  • unerwünschte Kontaktaufnahmen
  • unerwünschter Körperkontakt
  • Annäherungsversuche verbunden mit dem Versprechen von Vorteilen oder Androhen von Nachteilen
  • sexuelle Übergriffe, Nötigung oder Vergewaltigung

Gemeinsames Element ist, dass diese Handlungen von einer Seite unerwünscht sind und die Würde der betroffenen Person verletzen. Einige Fälle wie z.B. sexistische Sprüche, Gesten und Bilder sowie anzügliche Bemerkungen vor anderen Mitarbeitenden sind relativ leicht als sexuelle Belästigung zu identifizieren (und zu beweisen). In diesen Fällen ist die Ergreifung geeigneter Massnahmen einfach. Bedeutend komplexer sind Situationen, die sich nur zwischen zwei Personen (und folglich ohne Zeugen) ereignen. Nicht nur ist in einer solchen Situation die Bedrohungslage für die belästigte Person erhöht. Oft streitet die beschuldigte Person jegliches Fehlverhalten ab, womit letztlich Aussage gegen Aussage steht.

Welche Interessen sind bei einer sexuellen Belästigung tangiert?
Eine zentrale Problematik für Arbeitgebende bei einer Anschuldigung wegen sexueller Belästigung besteht in der Vielzahl der beteiligten Interessen. Primär ist der Schutz der belästigten Person sicherzustellen. Diese gilt es durch Sofortmassnahmen vor einer Fortsetzung der erfahrenen Belästigung zu schützen. Dazu gehört auch, Informationen über den Vorfall zum Schutz der belästigten Person vertraulich zu behandeln. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass auch die beschuldigte Person als Arbeitnehmende*r unter dem Schutz der arbeitgeberischen Fürsorgepflicht steht. Daraus ergibt sich für die beschuldigte Person ein Anspruch auf sorgfältige Sachverhaltsabklärung. Dazu gehört auch deren Befragung. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass jeweils auch die Familien der beteiligten Personen unmittelbar betroffen sein können. Zuletzt sind auch die eigenen Interessen des Arbeitgebers tangiert. Sollte sich herausstellen, dass die Arbeitgebenden keine zumutbaren Präventionsmassnahmen erlassen haben, können sie entschädigungspflichtig werden. Weiter besteht mit Verweis auf die MeToo-Bewegung für Unternehmen die Gefahr, als Arbeitgeber in den (sozialen) Medien genannt zu werden, welcher sich in der öffentlichen Wahrnehmung nur unzureichend mit diesem Thema auseinandersetzt. Diese Interessen gilt es, angemessen zu berücksichtigen.

Wie gehe ich als HR-Person bei einer sexuellen Belästigung vor?
Sobald ein Unternehmen von einer sexuellen Belästigung erfährt, ist das oberste Gebot, eine umfassende Sachverhaltsabklärung vorzunehmen. Dies erfolgt zunächst durch Befragung der belästigten Person. Diese hat einer Vertrauensperson, idealerweise einer HR-Person, zu erläutern, was vorgefallen ist. Wichtig ist auch die Frage nach etwaigen Zeugen der Belästigung. Sofern die betroffene Person dazu imstande ist und soweit angebracht, soll die belästigte Person auch Fragen zum grundsätzlichen Verhältnis und Umgang mit der beschuldigten Person beantworten. Dies hat unter Umständen keinen direkten Zusammenhang mit der Anschuldigung, dient aber der Sachverhaltserfassung. Ebenfalls von Interesse sind Fragen zur empfundenen Atmosphäre und Dynamik im Team, insbesondere das Verhältnis zwischen Frauen und Männern. Es ist empfehlenswert, von der Befragung ein Protokoll zu erstellen und von der betroffenen Person unterzeichnen zu lassen. Es kommt vor, dass die betroffenen Personen um Anonymität bitten. Eine solche kann jedoch für den Fall eines rechtlichen Verfahrens nicht zugesichert werden. Gestützt auf die Aussage der betroffenen Person ist das weitere Vorgehen zu definieren. Sind konkrete Sofortmassnahmen wie z.B. eine räumliche Trennung der beiden Personen zu ergreifen? Sodann ist die beschuldigte Person zu den Vorwürfen zu befragen. Dabei empfiehlt es sich, mit generellen Fragen z.B. zur Atmosphäre im Team und Umgang mit dem anderen Geschlecht zu beginnen und in einem zweiten Schritt auf die konkreten Vorwürfe einzugehen. Für den Autor ist auch die Kooperationsbereitschaft der beschuldigten Person für die Beurteilung der Situation ausschlaggebend. Auch von dieser Befragung ist ein Protokoll zu erstellen. Sofern angemessen, können auch weitere Arbeitnehmende befragt werden.

Letztlich müssen die Arbeitgebenden nach Durchführung der Befragungen – ähnlich wie ein Gericht – entscheiden, wessen Aussagen sie aufgrund der eigenen Wahrnehmung und allenfalls weiterer Umstände als glaubwürdig erachten, um gestützt darauf die gebotenen Massnahmen zu ergreifen. Dabei stehen die arbeitsrechtlichen Disziplinarmassnahmen wie z.B. eine schriftliche Verwarnung bis hin zu einer (fristlosen) Kündigung im Vordergrund. Denkbar sind aber auch strafrechtliche Schritte.

Es ist klar, dass eine erlebte Belästigung nicht rückgängig gemacht werden kann. Eine sorgfältige und professionelle Untersuchung des Vorfalls trägt aber wesentlich dazu bei, die betroffenen Interessen zu wahren und zur Aufarbeitung beizutragen. Jeder Vorfall soll Arbeitgebende dazu veranlassen, die getroffenen Präventionsmassnahmen zu überprüfen und gegebenenfalls zusätzliche Massnahmen zu ergreifen.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Februar 2023 von personalSCHWEIZ erschienen.

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