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Bewertung der Arbeitsleistung: Streitobjekt Arbeitszeugnis — prozessuale Fragen und Stolpersteine

Ein Arbeitszeugnis kann das berufliche Fortkommen fördern, aber auch behindern. Dass es daher häufig zum Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten wird, erstaunt nicht. Der vorliegende Beitrag fasst prozessuale Fragen und Stolpersteine rund um das Streitobjekt Arbeitszeugnis zusammen.

Von: Isabelle Oehri   Teilen  

Isabelle Oehri, Rechtsanwältin, M.A. HSG in Law & Economics

Isabelle Oehri, Rechtsanwältin, M.A. HSG in Law & Economics, Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Bewertung der Arbeitsleistung

Das schweizerische Obligationenrecht (OR) sieht vor, dass man als Arbeitnehmer jederzeit von seiner Arbeitgeberin ein Arbeitszeugnis verlangen kann, das über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über Leistungen und Verhalten Auskunft gibt (Art. 330a Abs. 1 OR). Auf Wunsch des Arbeitnehmers ist statt eines solchen Vollzeugnisses lediglich eine Arbeitsbestätigung auszustellen (Art.330a Abs. 2 OR).

Obwohl ihm das OR mit Art. 330a nur einen einzigen Artikel widmet, gibt das Arbeitszeugnis in der Praxis häufig Anlass zu juristischen Auseinandersetzungen. In Ausgabe 10/2021 von personalSCHWEIZ haben Nicole Vögeli Galli und Fabia Struss einige zentrale Aspekte und wesentliche Grundsätze bei der Zeugniserstellung erläutert. Was aber passiert, wenn diese Grundsätze nicht eingehalten werden? Was kann etwa ein Arbeitnehmer tun, wenn die Arbeitgeberin sich weigert, ihm ein Zeugnis auszustellen, oder wenn er mit dem Inhalt eines erhaltenen Zeugnisses nicht zufrieden ist? Und was gilt, wenn – im Gegenteil – ein zu positives Zeugnis ausgestellt wird, das dem Arbeitnehmer zu einem neuen Job verhilft; haftet die ehemalige gegenüber der neuen Arbeitgeberin für das ungerechtfertigt gute Zeugnis?

Zeugnisausstellung und -berichtigung – die Ansprüche des Arbeitnehmers
Verlangt der Arbeitnehmer ein Arbeitszeugnis und kommt die Arbeitgeberin diesem Begehren nicht innert angemessener Frist nach, kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf ein Arbeitszeugnis mittels Leistungsklage gerichtlich durchsetzen. Hat die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer zwar ein Zeugnis ausgestellt, ist dieses aber unvollständig oder unrichtig, kann der Arbeitnehmer auf Abänderung bzw. Berichtigung klagen.

In seiner Berichtigungsklage muss der Arbeitnehmer den gewünschten Zeugnistext im Rechtsbegehren aufführen. Dies empfiehlt sich aus Effizienzgründen auch, wo der Arbeitnehmer auf Zeugnisausstellung klagt; ansonsten muss der Arbeitnehmer, wenn er mit dem Zeugnis nicht zufrieden ist, das ihm die Arbeitgeberin nach dem ersten Verfahren ausstellt, einen Folgeprozess zu dessen Berichtigung führen.1

Beweislast – wer muss was belegen?
Bei der Klage auf Zeugnisausstellung muss die Arbeitgeberin beweisen, dass sie bereits ein Zeugnis aus- und dem Arbeitnehmer zugestellt hat.2 Wenn es vor Gericht um den Inhalt des Arbeitszeugnisses geht, haben sich in der Praxis differenzierte Beweis regeln entwickelt:3 Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer, der ein besseres Zeugnis als das erhaltene verlangt, Tatsachen vorzubringen, die seine gewünschten Anpassungen stützen. Insbesondere muss er, wenn er eine Bewertung «zur vollsten Zufriedenheit» wünscht, seine überdurchschnittlichen Leistungen nachweisen. Gleichzeitig muss aber auch die Arbeitgeberin die Grundlagen der ausgestellten Zeugnisversion belegen. Namentlich bei einer wenn der Arbeitnehmer nach einem erst kürzlich erstellten Zwischenzeugnis ein wesentlich schlechteres Schlusszeugnis erhält, hat sie im Einzelnen darzulegen, woraus sich ihre negative Einschätzung ergibt.

Schadenersatz – wofür haftet die Arbeit geberin dem Arbeitnehmer?
Neben dem Anspruch auf Zeugnisausstellung bzw. -berichtigung kann der Arbeitnehmer je nach Konstellation auch Schadenersatz geltend machen.4

Sowohl bei verweigerter oder verspäteter als auch bei falscher oder unvollständiger Zeugnisausstellung muss der Arbeitnehmer belegen, welchen Schaden er konkret erlitten hat, sprich, er muss beweisen, dass er einen neuen Arbeitsvertrag nicht oder zu ungünstigen Konditionen abschliessen konnte und dieser Umstand kausal auf das fehlende oder unvorteilhafte Arbeitszeugnis zurückzuführen ist. Dieser Nachweis und dessen Bezifferung erweisen sich in der Praxis häufig als prozessualer Stolperstein.5

Streitwertberechnung – wie viel ist ein Arbeitszeugnis wert?
Dass Prozesse um Arbeitszeugnisse zu den vermögensrechtlichen Angelegenheiten zählen und damit einen Streitwert aufweisen, nach dem sich beispielsweise die Prozesskosten bestimmen, ist unbestritten. In der Berechnung des Streitwerts divergiert die Gerichtspraxis indessen. Einige Kantone wenden Faustregeln an: So setzen beispielsweise die Zürcher Gerichte den Streitwert für die Ausstellung eines Vollzeugnisses bei einem ganzen und jenen für dessen Berichtigung bei einem halben Monatslohn an.6 Demgegenüber betont etwa das Bundesgericht,7 dass der Streitwert nicht schematisch lohnbasiert bemessen werden könne, sondern sich vielmehr nach der Bedeutung des Zeugnisses im konkreten Einzelfall bestimme. Dabei sei relevant, ob es beim Streit um wesentliche Punkte des Zeugnisses gehe und wie stark das berufliche Fortkommen des klagenden Arbeitnehmers erschwert werde. In letzterem Kontext seien insbesondere Beruf, Funktion, Qualifikation, Lohnniveau, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Gerade in Fällen, in denen neben dem Zeugnis noch andere Ansprüche (z.B. ausstehende Lohnforderungen) geltend gemacht werden, gilt es mit Blick auf die Streitwertgrenze von CHF 30 000.– für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens, die jeweilige kantonale Praxis bei der Streitwertberechnung genau zu prüfen.8

Verjährung – wie lange kann man ein Zeugnis verlangen?
Der Anspruch auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses verjährt zehn Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 127 OR). Dies hat unter anderem zur Folge, dass die Arbeitgeberin die erforderlichen Daten für die Zeugniserstellung während dieses Zeitraums aufbewahren muss.9

Haftung der Arbeitgeberin gegenüber Dritten
Während ein (zu) schlechtes Zeugnis bisweilen Anlass zu Streit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeberin gibt, kann ein zu gutes Arbeitszeugnis die Arbeitgeberin Haftungsrisiken gegenüber Dritten aussetzen. Verschweigt sie beispielsweise wesentliche Vorkommnisse, und stellt eine neue Arbeitgeberin den Arbeitnehmer im Vertrauen auf das mithin zu günstige Arbeitszeugnis an, haftet die ehemalige Arbeitgeberin gegenüber der neuen für den daraus entstehenden Schaden.10

Mangels direkter Vertragsbeziehung zwischen den beiden Arbeitgeberinnen handelt es sich bei dieser Haftung nicht um eine vertragliche. Mit einem älteren Bundesgerichtsentscheid qualifiziert ein Teil der juristischen Lehre sie als Deliktshaftung nach Art. 41 OR. Weil dafür praktisch eine mindestens eventualvorsätzlich begangene Ausweis- oder Urkundenfälschung11 seitens der ehemaligen Arbeitgeberin erforderlich ist, dürfte die Durchsetzung solcher Haftungsansprüche häufig scheitern. Daher subsumiert eine neuere Lehrmeinung diese Verantwortlichkeit unter die Rechtsfigur der Vertrauenshaftung, welche auch fahrlässiges Verhalten erfassen kann.12

Unabhängig von der Rechtsgrundlage sind solche Haftungsfälle praktisch selten, was – wie bei Ansprüchen des Arbeitnehmers – vor allem auf die faktischen Schwierigkeiten des Kausalitätsnachweises zurückzuführen ist. Gleichwohl sollten Arbeitgeberinnen die Grundsätze der Zeugniserstellung im Interesse des Rechtsverkehrs nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Praxis bejaht denn auch, dass eine ehemalige Arbeitgeberin ein grob fehlerhaftes Arbeitszeugnis zurückverlangen kann und Dritte nach Möglichkeit entsprechend zu warnen hat.13

Fussnoten
Vgl. OGer ZH LA180028 vom 3.12.2018, E. 4.5.
Vgl. BGer 4C.129/2003 vom 5.9.2003, E. 6.1.
3 Vgl. zum Ganzen etwa BGer 4A_270/2014 vom 18.9.2014, E. 3.2.1; BGer 4A_117/2007 vom 13.9.2007, E. 7.1; BVGer A-7165/2016 vom 5.12.2017, E. 4.4 und 4.5; OGer ZH LA180028 vom 3.12.2018, E. 4.5.
4 Bei verweigerter, falscher oder unvollständiger Zeugnisausstellung bildet Art. 97 OR die Haftungsgrundlage; bei verspätetem Zeugnis stützt sich der Anspruch auf Art. 103 OR.
5 Vgl. zum Ganzen ausführlich und m.w.H. Etter, B. (2021). Kommentar zu Art. 330a OR, N 53. SHK – Stämpflis Handkommentar. Bern: Stämpfli.
6 Vgl. www.gerichte-zh.ch/themen/arbeit/hilfen/prozesskosten.html. Der Streitwert bei einer Klage auf Ausstellung einer Arbeitsbestätigung beträgt gemäss Zürcher Praxis CHF 500.–.
7 Vgl. etwa BGer 4A_45/2013 vom 6.6.2013, E. 4.3; BGer 8C_151/2010 vom 31.8.2010, E. 2.8.
8 Eine aktuelle Übersicht zur Gerichtspraxis in diversen Kantonen findet sich bei Neukom Chaney, A. (2021). Zankapfel Arbeitszeugnis. Anwaltsrevue 23(3), 109–113.
9 Vgl. BGer 4A_295/2020 vom 28.12.2020, E. 6.9.
10 Vgl. BGE 129 III 177, E. 3.2; BGE 101 II 69, E. 2 f.
11 Vgl. Art. 251 Ziff. 1 oder Art. 252 des Strafgesetzbuches (StGB).
12 Vgl. etwa Portmann, W. & Rudolph, R. (2020). Kommentar zu Art. 330a OR, N 11. Basler Kommentar zum Obligationenrecht I. Basel: Helbing & Lichtenhahn.
13 Vgl. zum Ganzen AGer ZH AG060037 vom 17.9.2007. In diesem Entscheid ging es um einen Bankangestellten, der wegen Kreditkartendelikten zulasten von Kunden strafrechtlich verurteilt und von seiner Arbeitgeberin ordentlich entlassen wurde. Die klagende Bank verlangte gerichtlich, es sei dem ehemaligen Arbeitnehmer zu verbieten, die Arbeitszeugnisse zu verwenden, welche keinerlei Hinweis auf die Delikte enthielten, obwohl sie nach deren Bekanntwerden ausgestellt worden waren.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Juni 2022 von personalSCHWEIZ erschienen.

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