Experten-Interviews

Ausgabe Dezember/Januar 08/2016

Resourceful Humans: Jeder ist HR

Heiko Fischer und Angela Maus haben 2011 die Resourceful Humans GmbH gegründet. Mit ihrem RH-Konzept wollen sie Unternehmen in demokratisch geführte Netzwerkorganisationen transformieren. Die Vorteile: weniger Bürokratie, mehr Unternehmertum.

Von: Wolf-Dietrich Zumach   Teilen  

Wolf-Dietrich Zumach

Wolf-Dietrich Zumach ist nach diversen Führungspositionen in Verlagen seit 2004 selbständiger Berater für Medienunternehmen. Als Entwickler und Ideengeber hat er ein starkes Interesse für innovative Querdenker und Businessideen. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Verlags-Know how und hat seit 2007 für WEKA Business Media schon weit über 100 Fachinterviews im Print-, Audio- und Videoformat durchgeführt und produziert.

Resourceful Humans

personalSCHWEIZ: Herr Fischer, Frau Maus, «Kill HR!» ist eines Ihrer bekanntesten Statements. Wollen Sie HR abschaffen?

Angela Maus (AM): An «Kill HR!» sind wir vorbei, diese Frage stellt sich so nicht mehr. «Was einmal die HR-Funktion war, wird es in der nahen Zukunft durch die Zunahme von Netzwerkorganisationen und AI so nicht mehr geben», um es mit den Worten von Marina Klein, HR-Direktorin von Accenture D-A-CH auszudrücken. Doch gerade auch die Digitalisierung wird der HR-Funktion noch einmal die Chance geben, ihr Erbe zu gestalten.

Heiko Fischer (HF): Als ich vor knapp 10 Jahren Personalleiter bei Europas grösster Videospielfirma Crytek wurde, habe ich die Mitarbeiter gefragt: «Was für ein HR wünscht ihr euch?» «Gar keines », antworteten sie. Das HR stand in ihrer Wahrnehmung für Kündigung, Verhinderung und Bürokratie, im besten Falle noch als marginaler Schutz vor schlechtem Management. HR ist nicht für diese Misere verantwortlich, aber man wirft uns auch nicht gerade vor, dagegen aufzubegehren. Zum besseren Verständnis: die Games-Industrie ist agiles Projektgeschäft, 100 Prozent Wissensarbeit. Alles Top-Spezialisten, die innerhalb von 24 Stunden einen besser bezahlten Job in San Francisco anstatt in Frankfurt bekommen. Die Mitarbeiter meinten mit «Kill HR!»: Was ihr Management nennt, macht uns die Arbeit schwer.

AM: Anstatt gegen «Kill HR!» anzukämpfen, haben wir die Provokation als Chance genutzt, um mit den Mitteln einer hoch technologischen, hoch kreativen Firma eine neue optimale Arbeitskultur ohne jegliche Bürokratie zu gestalten. Der ehemalige Kundendienst-Vorstand von Amazon sagte einmal, dass niemand Kundendienst wolle. Niemand freut sich darauf, mit der Hotline von Amazon zu sprechen. Der beste Kundendienst ist also derjenige, den man gar nicht braucht. Das Gleiche gilt für HR, stellvertretend für das Management. Kein Management bedeutet, dass die Organisation die maximale Einfachheit und Reife erreicht hat, um einen Beitrag zu leisten. Es geht also um einen Managementansatz, der im Fall des RH-Way auf dem Design eines menschlichen Netzwerks basiert. Aus «Kill HR!» wird: Jeder ist HR. Jeder ist Mitunternehmer.

«Es geht um mehr als die HR-Funktion, es geht um ein Management-Framework, ein Organisations-Betriebssystem.»

Um was geht es bei Ihrem Konzept des «RH-Way» genau?

HF: Der RH-Way ist der Tesla des Managements. Ein radikal besserer Weg, um Organisationen als Netzwerke mit 100 Prozent Unternehmertum und 0 Prozent Bürokratie zu organisieren und zu führen.

AM: Mit dem RH-Way geht es darum, ein ethisches, menschenzentrisches Managementsystem zum unternehmerischen «Goldstandard» zu machen und somit aus Organisationen heraus ein besseres und nachhaltigeres Wirtschaftssystem mit auf den Weg zu bringen. Es geht darum, die positive Macht von auf RH-Prinzipien basierten Netzwerkorganisationen hierfür im Markt unter Beweis zu stellen. Ungleich z.B. zu Holacracy basiert der RH-Way auf Design-Prinzipien anstatt auf einem vorgegebenem Regelwerk. Der RH-Way gibt Menschen ein Framework, um ihre eigene, beste Art der Arbeit selbst zu gestalten.

HF: Schauen Sie in die Welt. Wer inspiriert uns? Elon Musk, der mit Elektroautos unser Weltklima verbessern will, der mit SpaceX der Menschheit ein zweites Zuhause auf dem Mars schaffen möchte. Diese Visionen bewegen uns. Im System Arbeit fehlte uns diese Vision. Dabei ist doch eine der grössten Fragen überhaupt: Wie arbeiten wir als Menschen zusammen?

AM: Unsere momentane Mission symbolisiert den ersten Schritt des Übergangs von klassischer Führung hin zu einer menschlichen Netzwerkorganisation, die alle Individuen in der Organisation miteinander verbindet. Wertbeiträge statt Titel und Hierarchien, Information fliesst frei. Selbstorganisierte Teams agieren autonom, um für den Kunden Wert zu schaffen. Menschen bestimmen den Prozess, nicht andersherum. Als Personaler sehen wir hier den Auftrag, für das HR als Prototyp dieses Netzwerks mutig voranzugehen und den Eigenversuch zu wagen. Das geht auch manchmal schief, das ist der Preis der Innovation. Der Tesla Roadster war ein Desaster, die letzte SpaceX Rakete explodierte, doch man lernt und macht weiter. Denn das Ziel lohnt sich.

HF: Zurückblickend war es dies, was mich antrieb und die DNA unserer Firma ausmacht. Ich hatte das Glück, mit einem Vater aufzuwachsen, der beim allerersten Startup – Hewlett-Packard (HP) – fast ein Utopia miterlebt hat und aus dem HR heraus HP massgeblich mitgestalten konnte. Eine Organisation, die Menschlichkeit und Unternehmertum zu Lebzeiten der Gründer fast optimal miteinander verbunden hat. Menschen fühlten sich bei HP wie Erwachsene behandelt, zu Hause und wertgeschätzt, waren unter den Kollegen wie unter Freunden. Sie sahen Sinn in ihrer Arbeit und waren der stolze Nukleus des Silicon Valley. Der HP-Way war das erste Organisationsbetriebssystem, das Unternehmertum, Menschlichkeit und Technologie konsequent miteinander verband.

AM: Wir haben mit dem RH-Way daher das Rad nicht komplett neu erfunden, wir haben lediglich die Prinzipien von nachhaltig erfolgreichen Netzwerkorganisationen auf ihre Essenz hin destilliert und mit radikaler Technologie, passend für eine moderne Firma, befähigt. Herausgekommen ist ein praktikabler Ansatz, auch bestehende sinngetriebene Organisationen jeglicher Grösse und Couleur in unternehmerische Netzwerke zu transformieren. Das sind die ersten Schritte für eine Wirtschaft, die für den Menschen da ist, besonders im Zeitalter der Hochtechnologie.

Aus welchen Einsichten und Erfahrungen heraus entwickelten Sie diesen Ansatz?

HF: Die Basis des RH-Way bildete der HP-Way anno 1952 mit dem Mantra, dass das Management die Prioritäten setzt, welche autonome Teams dann eigenverantwortlich umsetzen. Erweitert wurde das Konzept durch W.L Gore’s Netzwerkansatz, in dem die Mitarbeitenden seit 1958 hierarchiefrei und prozessfrei miteinander arbeiten. Autorität zum Handeln wurde direkt an die Schnittstelle zum Kunden verlagert. Handelsbanken steuerten den dynamischen Budgetierungsprozess bei, das Beyond Budgeting. Clovis Bojikian, der VP HR bei Semco, und Dan Walker, VP HR Apple zu Zeiten von Steve Jobs’ Rückkehr, addierten das Führungselement, um Kultur agil zu gestalten wie ein Produkt. Und bei Crytek war die wichtigste Lektion der Kreativprozess. Menschen denken nicht in Prozessen, sondern in «Experiences » – was sie erfahren und fühlen, ist für sie relevant. Der RH-Way verbindet die Essenz all dieser Managementansätze, und sein einzigartiger Veränderungsprozess atomisiert die Kultur in solche Erfahrungswerte und Wertbeiträge für Mitarbeiter sowie Kunden.

AM: All das ist jenseits von Methodiken. Die unterliegen Trends. Die Prinzipien der Netzwerkorganisation sind jedoch beständig. «Talk is cheap, show me the code», wie Programmierer so schön sagen. Erst sagte man uns, HR zu nutzen, um eine Firma zu transformieren, ginge überhaupt nicht, und ignorierte uns. Nach dem erfolgreichen Selbstversuch haben wir verstanden: Es geht um mehr als die HR-Funktion, es geht um ein Management-Framework, ein Organisations-Betriebssystem. Doch alle lachten und sagten: Jaja, HR in einem Startup der Videospiel-Branche ist das eine – von extern andere zu befähigen, ist etwas gänzlich anderes. Wir mussten also beweisen, dass wir es auch in anderen Industrien und Grössenordnungen können.

«Menschen denken nicht in Prozessen, sondern in ‹Experiences› – was sie erfahren und fühlen, ist für sie relevant.»

Und wie haben Sie dies bewiesen?

HF: 2011 haben uns Karin Zaugg, die HR-Direktorin von publisuisse, und Pierre O. Botteron, VP HR bei FHRI Hotels & Resorts, die Chance gegeben, ihre HR-Teams in unternehmerische Netzwerke zu transformieren. Sie waren mutige Bekenner der ersten Stunde und wurden vom Erfolg belohnt.

AM: Nach zwei HR-Teams wollten wir den RH-Way in einer kleinen Firma beweisen. Marc Stoffel, CEO von Haufe-umantis, war so couragiert und hat den Ansatz genutzt, um seine ca. 150 Mitarbeitenden auf ganz neue demokratische Art zu Mitunternehmern zu machen. Dafür hat er zu Recht mit uns gemeinsam den HR Excellence Award für die Innovation des Jahres gewonnen. Nun wurden wir ernst genommen, aber auch heftig kritisiert.

HF: Trotzdem blieb ein Rest Skepsis. In einem grösseren Unternehmen, gar in einem börsenkotierten Konzern, ginge das niemals. Nun haben wir gerade mit CEO Mark Klein und seinem Board die Transformation der ersten T-Mobile Landesorganisation mit ca. 3000 Mitarbeitenden innerhalb des deutschen Telekom- Konzerns erfolgreich vollendet und das gesamte Performance Management auf unsere Netzwerk-Logik umgestellt.

AM: Nach der erfolgreichen Implementierung des RH-Way auf dem US-Nuklear U-Boot Santa Fe mit Kapitän David Marquet gab uns Professor Gilbert Probst, der Geschäftsführer des World Economic Forum, den Ritterschlag, als er in Davos sagte, der RH-Way sei der beste Ansatz, um jegliche Art von Organisationen in unternehmerische Netzwerke zu transformieren. Das war ein wichtiger Schritt, um dem RH-Way Glaubwürdigkeit zu verleihen. Nun arbeiten wir mit Accenture am nächsten grossen Schritt.

Welches sind die grundlegenden Prinzipien des RH-Way?

HF: Wir nennen dies die 1st Principles. Diese sind quasi die Naturgesetze von Netzwerkorganisationen. Sie bilden die Basis allen Handelns.

AM: Mit den 1st Principles kocht man die Dinge auf die fundamentalsten Wahrheiten herunter und baut dann von dort aus etwas Neues auf. Was ist der Vorteil dieses Denkens? Es ermöglicht Innovationen in grossen Sprüngen anstatt in kleinen Verbesserungen von etwas Vorhandenem. Die grundlegenden RH-Prinzipien sind: Erstens: Gib guten Leuten Handlungsfreiheit, und sie handeln zunehmend verantwortlich. Ein zweiter Punkt: Gib volle Transparenz über Prozess, Fortschritt und Resultat, um Rechenschaft (Accountability) zu gewährleisten. Und drittens: Halte alles klein und simpel, um Vernetzung zu ermöglichen. Das hört sich erst einmal trivial an, doch in der Anwendung in einer Organisation mit einer klaren Zielsetzung und als Fragen formuliert, schaffen sie eine sich stets selbst-erneuernde Netzwerkkultur von innen heraus von, für und durch die Mitarbeitenden selbst.

Lesen Sie das komplette Interview in der Dezember/Januar-Ausgabe von personalSCHWEIZ. personalSCHWEIZ jetzt abonnieren

Zu den Personen:

Heiko Fischer, MBA und MsC Organisational Consulting, und Angela Maus, Dipl.Betriebswirtin (FH), sind demokratisch gewählte CEOs und Gründer der 2011 etablierten Resourceful Humans (RH) GmbH in Berlin. Zusammen entwickelten sie RH als ein Organisationsbetriebssystem, das einen radikal neuen unternehmerischen Führungsansatz mit autonomen Teams in einer Netzwerkorganisation verfolgt. Heiko Fischer führte als HR-Leiter diese Strategie erstmalig beim Videospielentwickler Crytek zwischen 2008 und 2011 erfolgreich ein. Angela Maus leitete im gleichen Zeitraum beim Pharmaunternehmen Bayer ein globales HR-Projekt zur Entbürokratisierung der Personalabteilung. Inzwischen haben beide mit ihrem Unternehmen das RH-Konzept, für das sie 2014 den HR Excellence Award erhielten, in einer Vielzahl von Organisationen erfolgreich etabliert. Heiko Fischerist ein gefragter Keynote Speaker auf Management-Events und zudem Gastdozent an der Hochschule für Wirtschaft Zürich(HWZ) für den MAS HR Leadership.

www.resourceful-humans.com

 

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