Experten-Interviews

Ausgabe Oktober 06/2016

Lohnprognosen: Indirekt lohnwirksame Faktoren werden wichtiger

Seit 2001 führt Lohntendenzen.ch umfassende und detaillierte Prognosen zur Lohnerhöhung in der Schweiz durch. CEO Andreas Kühn spricht im Interview über Tendenzen und Entwicklungen der Löhne.

Von: Wolf-Dietrich Zumach   Teilen  

Wolf-Dietrich Zumach

Wolf-Dietrich Zumach ist nach diversen Führungspositionen in Verlagen seit 2004 selbständiger Berater für Medienunternehmen. Als Entwickler und Ideengeber hat er ein starkes Interesse für innovative Querdenker und Businessideen. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Verlags-Know how und hat seit 2007 für WEKA Business Media schon weit über 100 Fachinterviews im Print-, Audio- und Videoformat durchgeführt und produziert.

Lohnprognosen

personalSCHWEIZ: Herr Kühn, Sie untersuchen seit vielen Jahren die Lohnentwicklung in der Schweiz. Welche generellen Faktoren beeinflussen die Lohnfindungsentscheide der Schweizer Unternehmen?

Andreas Kühn: Ich sehe hier drei Faktoren. Zuallererst die aktuelle finanzielle Situation des Unternehmens. Einfach gesagt: Wenn kein Geld da ist, kann man die Lohnsumme auch nicht erhöhen. Dieser finanzielle Spielraum ist einerseits davon abhängig, ob das Unternehmen in der Vergangenheit gut geführt wurde, und andererseits, wie sich das wirtschaftliche Umfeld des Unternehmens entwickelt hat. Ein zweiter Faktor ist der Ausblick in die Zukunft. Mit welchen Risiken sieht sich das Unternehmen in den nächsten 2–3 Jahren konfrontiert? Wie wird sich in diesem Zeitraum die Konjunktur auf den Zielmärkten z.B. im Inland, in Europa oder in Asien entwickeln? Seit der Finanzkrise und in Zeiten der fortschreitenden Globalisierung ist die Unsicherheit bezüglich der Zukunft deutlich grösser geworden. 2009 haben alle den Atem angehalten, heute ist man wieder gelassener. Ein dritter Faktor ist der Ausgleich der Teuerung. Mitarbeitende sollen aufgrund der Teuerung nicht weniger Lohn zur Verfügung haben. Dieser Faktor war in Zeiten hoher Teuerungsraten von einigen Prozent im Jahr ungleich bedeutsamer als in den heutigen Zeiten. Die Teuerung spielt weiterhin eine Rolle, aber mit umgekehrten Vorzeichen.

Spielen generelle Lohnerhöhungen überhaupt noch eine Rolle oder sind für die Unternehmen individuelle Lohnerhöhungen wichtiger?

Generelle Lohnerhöhungen sind – historisch gesehen – vermutlich die ersten Lohnerhöhungen, die es überhaupt je gegeben hat. Betrug die Teuerung zwei oder drei Prozent, war klar, dass alle Mitarbeitenden mehr Lohn brauchen, um real nicht schlechter dazustehen. Seit 2011 haben wir in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik (BFS) Teuerungsraten, die bei null oder unter null liegen. Wir vermuten darin einen Hauptgrund für die in der Tat sinkende Bedeutung genereller Lohnerhöhungen. Wir führen unsere Lohnuntersuchungen seit 2001 durch – im letzten Jahr hatten wir erstmalig die Situation, dass mehrere Branchen keine generellen Lohnerhöhungen mehr gewährt haben. Wir haben konsequenterweise eine Fortsetzung dieser Entwicklung für 2017 erwartet und sind von der ersten Prognose für 2017 überrascht worden: Genau diejenigen Branchen, die 2016 eine Nullrunde bei generellen Erhöhungen hatten, planen solche für 2017 in verstärktem Mass, als ob sie die verpasste generelle Erhöhung wieder aufholen wollten. Trotzdem sehen wir klar den Trend, dass der Anteil an generellen Lohnerhöhungen langsam zurückgeht und sich das Interesse in Richtung individueller Lohnerhöhungen verschiebt, diese werden somit wichtiger.

«Lohnerhöhungen wurden oft nur ‹Handgelenk mal Pi› gewährt. Indirekt lohnwirksame Faktoren werden wichtiger, dazu tragen auch gesellschaftliche Phänomene bei.»

Die Lohnerhöhungen der letzten Jahre haben sich ja auf einem relativ niedrigen Niveau bewegt. Warum ist das so?

Das hat in der Hauptsache zwei Gründe. Zum einen sind die Zukunftserwartungen der Unternehmen seit der Finanzkrise von 2008/2009 verstärkt von Unsicherheit geprägt, oder etwas anders formuliert: Seit diesem Zeitpunkt sind die Zukunftsrisiken in vielen Branchen gestiegen. Da ist es nur allzu verständlich, wenn sich die Unternehmen nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen wollen. Lohnerhöhungen sind – im Gegensatz zu Boni – dauerhaft und können nicht einfach wieder zurückgefahren werden. Zum Zweiten haben die negativen Teuerungsraten für Lohnerhöhungen den praktischen Effekt, dass Mitarbeitende auch ohne nominelle Lohnerhöhung in den Genuss einer Reallohnerhöhung kommen. Vielleicht haben sich die Unternehmen bereits an den seit 2012 bestehenden Zustand negativer Teuerungsraten gewöhnt und beziehen das in ihre Entscheide mit ein.

Hat sich dadurch die Bedeutung der indirekt lohnwirksamen Faktoren wie Arbeitszeit, PK-Gelder usw. in den letzten Jahren verändert?

Wir beschäftigen uns im Rahmen des Vergütungscontrollings schon seit Langem sehr intensiv mit dieser Frage. Sie verweisen damit auf die Zusammenhänge von Salärsystem, Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen, Benefits und verwandten Faktoren. Das Stichwort ist hier «Total Compensation» oder anders ausgedrückt: Was bekommt ein Mitarbeitender unter dem Strich vom Unternehmen zurück? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn es geht längst nicht nur um monetäre Faktoren. Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung, bevor ich die Frage nach der Bedeutung der Entgeltfaktoren beantworte. Es fällt uns regelmässig auf, dass in der Praxis die Saläre nicht selten organisch und unsystematisch gewachsen sind, was dazu führen kann, dass zwei Mitarbeitende unterschiedliche Löhne bekommen, obwohl beide dieselbe Aufgabe mit der gleichen Leistungsbereitschaft erfüllen. Lohnerhöhungen wurden oft nur «Handgelenk mal Pi» gewährt, vor allem in früheren Jahren florierender Wirtschaft. Besonders chaotisch ist es bei den Benefits, die manchmal schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr angeschaut worden sind und seit der Einführung des neuen Lohnausweises teilweise unattraktiv geworden sind. So wissen vor allem mittlere und grössere Unternehmen nicht, was der einzelne Mitarbeitende unter dem Strich erhält. Aus diesem Grund hat sich die Bedeutung der indirekt lohnwirksamen Faktoren in der Praxis bisher nicht stark geändert. Gut, man schraubt da und dort an den Arbeitszeiten. Aber wenn die Löhne nicht mehr ansteigen, stellt sich den Unternehmen schon die Frage, was sie stattdessen ihren Mitarbeitenden anbieten sollen. Indirekt lohnwirksame Faktoren werden daher wichtiger, dazu tragen auch gesellschaftliche Phänomene bei. In vielen Unternehmen liegt bei der «Total Compensation» aufgrund der stiefmütterlichen Behandlung der Lohnnebenleistungen und Benefits in der Vergangenheit ein gewisses Potenzial brach. Wir verzeichnen in letzter Zeit vermehrt Anfragen zu diesem Thema.

«Aus- und Weiterbildung bzw. Entwicklungsmöglichkeiten werden zu einem wichtigen Teil der Total Remuneration.»

Welche Branchen liegen im industriellen Sektor regelmässig an der Spitze der Lohnerhöhungen und welche bilden regelmässig das Schlusslicht?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Durch die an der Basis gute Zusammenarbeit der Sozialpartner oder auch durch Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt ergibt sich immer wieder die Situation, dass versäumte Lohnerhöhungen in einzelnen Branchen plötzlich nachgeholt werden. Das war z.B. 2012 beim L-GAV für das Gastgewerbe so. Da sind durch die Einführung eines neuen Lohnsystems plötzlich grosse Lohnerhöhungen auf einen Schlag realisiert worden. Aber es ist auch klar, dass dort, wo gut verdient wird, wie etwa in der Pharmabranche, es oft überdurchschnittliche Lohnerhöhungen gibt. Wo die Margen aber knapp sind, wie beispielsweise seit einiger Zeit in der exportierenden MEM-Industrie, die ja zusätzlich vom «Frankenschock» besonders getroffen wurde, fallen Lohnerhöhungen dann auch deutlich niedriger aus.

Lesen Sie das komplette Interview in der September-Ausgabe von personalSCHWEIZ

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Zur Person

Andreas Kühn, lic. oec. HSG, Betriebswirtschafter mit Schwerpunkt Personalmanagement und langjährigen Erfahrungen als Strategieberater für Grossunternehmen, ist Managing Partner und VR der know.ch AG, der führenden Schweizer Unternehmensberatung zur Erhebung, Analyse und Interpretation von HR-Kennzahlen. Beratungsschwerpunkte der know.ch sind dabei die Themenbereiche Strategie & Targets, Mitarbeiter-Performance, Personalrisiken und Human Capital Controlling. Zudem bietet die know.ch AG unter dem Label Lohntendenzen.ch die umfassendste und detaillierteste jährliche Analyse und Prognose zu Lohnerhöhungen und Lohntrends in der Schweiz an.

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