Experten-Interviews

Sonderausgabe Changemanagement - September 2015

Changemanagement: Der Ton macht die Musik

Change-Projekte sind immer wieder mit Entlassungen verbunden. Dabei spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Caroline Pfeiffer Marinho, Country Manager des Outplacement-Anbieters Lee Hecht Harrison, über die Wichtigkeit von Transparenz bei Veränderungsprozessen.

Von: Wolf-Dietrich Zumach   Teilen  

Wolf-Dietrich Zumach

Wolf-Dietrich Zumach ist nach diversen Führungspositionen in Verlagen seit 2004 selbständiger Berater für Medienunternehmen. Als Entwickler und Ideengeber hat er ein starkes Interesse für innovative Querdenker und Businessideen. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Verlags-Know how und hat seit 2007 für WEKA Business Media schon weit über 100 Fachinterviews im Print-, Audio- und Videoformat durchgeführt und produziert.

Changemanagement

personalSCHWEIZ: Frau Pfeiffer Marinho, welches sind die Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung eines Change-Projekts?

Caroline Pfeiffer Marinho: Ich will zwei wichtige Punkte nennen. Erstens muss die oberste Managementebene einer Organisation voll und ganz hinter dem Change-Projekt stehen und dieses unterstützen. Ein zweiter Punkt ist Transparenz in der Kommunikation. Das heisst nicht, dass man immer alles sagen muss, aber es bedeutet, dass man ehrliche Aussagen zu den Punkten macht, die man weiss oder auch nicht weiss. Selbst wenn Menschen ihren Job im Laufe eines Projekts verlieren werden, machen sie bei diesem Projekt mit, wenn sie sehen, dass sie respektvoll behandelt werden.  

Lee Hecht Harrison bietet Unternehmen Unterstützung im Changemanagement an. In diesem Bereich kommen immer wieder neue Konzepte in Mode wie zum Beispiel Lean Management, Business Process Reenginering (BPR) oder Total Quality Management (TQM). Was ist das Besondere an Ihrem Ansatz?

Sie haben lauter Beispiele genannt, die prozessorientiert sind und die in erster Linie eine höhere Produktivität oder Qualität zum Ziel haben. Unser Ansatz unterscheidet sich davon absolut, denn unser Changemanagement leitet sich von der menschlichen Komplexität der Veränderung ab und nicht vom Prozess selbst. Wir gehen davon aus, dass die Mitarbeitenden eines Unternehmens generell wissen, was gemacht werden muss. Das muss man ihnen nicht vermitteln, denn sie kennen das Unternehmen und das Business am besten. Was sie eher nicht können, ist die eigentliche Umsetzung der Veränderung, weil sie die menschliche Komplexität unterschätzen. Die meisten Change-Projekte scheitern ja nicht an der Idee oder am Prozess, sondern an der menschlichen Komplexität.  

 

«Die meisten Change-Projekte scheitern nicht an der Idee oder am Prozess, sondern an der menschlichen Komplexität.»  

Welches sind die häufigsten Fehler, die dabei begangen werden? Bei Change-Projekten werden den Mitarbeitenden oft wunderschöne Folien präsentiert, welche den Veränderungsprozess veranschaulichen. Die Mitarbeitenden sollten nun bei diesem Projekt mitmachen – das machen sie aber in vielen Fällen nicht. Das liegt oft an einer falschen Kommunikation oder daran, dass die richtigen Leute nicht im richtigen Moment involviert werden. Häufig werden die Mitarbeitenden viel zu spät miteinbezogen. Wenn zum Beispiel eine Personalreduktion ansteht, machen viele Unternehmen den Fehler, zu glauben, dass die Entlassung erst am Entlassungstag anfängt. Bei Entlassungen sinkt die Produktivität jedoch erfahrungsgemäss schon ein halbes oder ein ganzes Jahr vorher. Unser Ansatz ist daher: Wie können wir die Menschen auf allen Ebenen unterstützen, sodass sie diesen Change mitmachen? Auch im Wissen, dass man oft ein Jahr vorher noch nicht so genau weiss, was genau passieren wird. Aber man kann mit den menschlichen Auswirkungen besser umgehen.  

Lee Hecht Harrison ist in der Schweiz der führende Spezialist für Personalveränderungen. Dazu gehört auch die Unterstützung in der beruflichen Neuorientierung, das sogenannte Outplacement. Welche Dienstleistungen beinhaltet dieser Prozess?

Ein Outplacement-Prozess wird durch drei Phasen bestimmt. In der ersten Phase, dem Assessment, wird das berufliche Leben eines Kandidaten untersucht. In einer zweiten Phase steht die Planung der nächsten Schritte an. Und in der dritten Phase geht es um die Implementierung. Dieser Prozess hört sich sehr linear an, was grundsätzlich auch stimmt. In der Realität ist er aber oft nicht so linear, und trotzdem gehen wir den ganzen Prozess ziemlich systematisch an. Jede dieser Phasen ist dann mit konkreten Etappen verbunden, wie zum Beispiel dem Verfassen eines CVs, der Erstellung eines Social-Media-Profils, dem Führen von Lohnverhandlungen oder dem Betreiben von Networking. Ich möchte hier Inhalt und Format unterscheiden. Inhaltlich geht es primär darum, zu verstehen, wer diese Person in beruflicher Hinsicht ist, ihre Stärken zu erfassen und sie – wenn gewisse Fähigkeiten fehlen – durch geeignete Massnahmen für den nächsten Job weiterzuentwickeln. Hier müssen wir auch Personen unterscheiden, die eine neue Festanstellung suchen, in Rente gehen, ein Studium aufnehmen oder sich selbstständig machen wollen. Bezogen auf das Format, haben wir heute Kandidaten, die ganz unterschiedliche Lernmethoden bevorzugen. Wir bieten zum Beispiel One-to-one-Sessions mit einem Karrierecoach, Gruppen-Workshops oder auch E-Learning an, denn nicht jeder fühlt sich in einer Gruppe wohl oder will mit einem Berater allein im Raum sein.  

Outplacement bietet unzweifelhaft viele Vorteile für den beruflichen Wiedereinstieg entlassener Personen. Doch wo liegen die Vorteile für das Unternehmen?

Hier spielt der Employer Brand eine grosse Rolle. Sie müssen sich vorstellen, dass die meisten entlassenen Mitarbeitenden in der gleichen Branche bleiben. Sie gehen entweder zu Konkurrenzunternehmen, zu Kunden bzw. Lieferanten oder sprechen mit verbleibenden Mitarbeitenden. Das bedeutet, dass sie immer noch Teil der spezifischen Branchen-Community sind. Das hat für ein Unternehmen Auswirkungen in seiner Eigenschaft sowohl als Arbeitgeber wie auch als Lieferant eines Produkts oder einer Dienstleistung. Als Unternehmen will ich ja nicht einen Exmitarbeitenden haben, der über mich schlecht spricht oder ein negatives Image in der Branche aufbaut. Das ist sicher einer der Hauptgründe, dass Unternehmen Outplacement-Dienstleistungen beauftragen. Ein sauberes arbeitsrechtliches Vorgehen spielt aber auch eine grosse Rolle, denn hier sind Mitarbeitende viel weniger geneigt, gegen ihren Arbeitgeber juristisch vorzugehen. Ein weiterer Grund ist: Bleibende Mitarbeitende beobachten sehr genau, unter welchen Umständen Arbeitskollegen entlassen werden. Das sagt nämlich sehr viel über die vorherrschende Unternehmenskultur aus. Wir alle kennen ja das Sprichwort: «Der Ton macht die Musik.» Wenn ich eine Entlassung schlecht mache, beschäftigen sich verbleibende Mitarbeitende damit sechs Monate, wenn ich das aber gut mache, vielleicht nur sechs Tage. Zusammenfassend spielen für ein Unternehmen also drei Faktoren beim Outplacement eine grosse Rolle: das Arbeitsrecht, das Unternehmensimage und die Produktivität der verbleibenden Mitarbeitenden.  

«Mitarbeitende beobachten sehr genau, unter welchen Umständen Arbeitskollegen entlassen werden. Dies beeinflusst die Produktivität der Verbleibenden.»  

Wie würden Sie den Schweizer Outplacement-Markt charakterisieren und von welchen Grössenordnungen sprechen wir hier? Wir betreuen in der Schweiz rund 1200 Kandidaten im Jahr. Ich schätze, dass grössenordnungsmässig in der Schweiz insgesamt einige Tausend Outplacement-Kandidaten pro Jahr betreut werden. Das finanzielle Volumen des Schweizer Markts ist jedoch schwer einzuschätzen, denn wir und ein anderes Unternehmen sind die einzigen zwei börsenkotierten Unternehmen. Von daher haben wir für diese zwei Unternehmen Transparenz in den Zahlen. Bei allen anderen Unternehmen ist dies nicht der Fall, denn das sind vor allem Familienbetriebe, deren Zahlen nicht veröffentlicht werden. Der Schweizer Markt ist aber definitiv ein wachsender Markt. In der Schweiz war das Outplacement bis vor ein paar Jahren nur auf das Senior Executive Level ausgerichtet. Mittlerweile ist das anders, denn wir haben nun auch Kandidaten aus dem normalen Executive Level, wenn Kaderpositionen oder Büroplätze abgebaut werden, aber auch Arbeiter, wenn eine Fabrik geschlossen wird. Der Schwerpunkt liegt heute in der Schweiz auf der Masse der beruflichen Mittelschicht. Dies ist übrigens auch ein globaler Megatrend.  

Entlassungen von über 50-jährigen Arbeitnehmern und die Probleme dieser Altersgruppe bei der Stellensuche werden zurzeit heftig diskutiert. Ist diese Gruppe im Outplacement überproportional stark vertreten?

Nein. Diese Altersgruppe ist zwar vertreten, aber nicht überproportional. Unsere Hauptaltersgruppe sind die 40- bis 50-Jährigen mit einem Anteil von 48 Prozent an allen Kandidaten. Unserer Erfahrung nach hängt die längere Arbeitslosigkeit von über 50-Jährigen hauptsächlich damit zusammen, dass diese Personen keine Unterstützung haben, um sich neu zu erdenken. Häufig wollen diese Personen nämlich genau dieselbe Funktion im selben Format wieder ausfüllen, in der Regel eine 100 Prozent-Festanstellung. Das bringt Schwierigkeiten mit sich und das ist der Punkt, wo Outplacement-Anbieter einen Mehrwert schaffen und neue Perspektiven aufzeigen können.  

Welche weiteren Personengruppen haben es derzeit besonders schwer, eine neue Stelle zu finden?

Schweizer Grossunternehmen haben in den letzten Jahren viele Expats angestellt. Wenn diese Personen dann arbeitslos werden, ist das Verbleiben in der Schweiz schon eine grosse Herausforderung. Hier ist weniger die ausländische Nationalität, sondern oft die Sprache ein Problem, wenn man nur Englisch und keine der lokalen Landessprachen beherrscht. Aber auch eine Rückkehr in das Ursprungsland ist nicht so einfach, da dort das früher vorhandene berufliche Netzwerk oft neu aufgebaut werden muss. Was ich speziell in der Schweiz schwierig finde, sind die Bedingungen für arbeitende Frauen. Im Gegensatz zu einem Vater muss eine Mutter mit kleinen Kindern hier erst einmal «beweisen», dass sie privat alles im Griff hat, um überhaupt arbeiten zu können. Diese Einstellung gegenüber arbeitenden Frauen kann man hier häufig zwischen den Zeilen heraushören und sie ist eher auf einer informellen Ebene zu finden. Das kenne ich aus meinem Heimatland Brasilien nicht. Dort ist das kein Thema.

«Beim Überbringen von Kündigungen meinen es Führungskräfte oft gut, machen es dann aber schlecht.»

Wie lange dauert es Ihrer Erfahrung nach, bis Kandidaten im Outplacement wieder einen neuen Job haben?

Der Zeitraum, bis eine neue Stelle gefunden wird, ist in letzter Zeit länger geworden, da die Unternehmen bei Anstellungen weniger Risiken eingehen. Man will sich heute zu 100 Prozent sicher sein, die richtige Person mit dem richtigen Profil für die richtige Zeit gefunden zu haben. Im mittleren Management muss man für eine neue Stelle mit rund fünf Monaten rechnen, im Senior Management mit bis zu 12 Monaten – und beide Zeiträume werden tendenziell länger. Im Schnitt haben zwei Drittel unserer Kandidaten, die überwiegend im Senior Management tätig sind, nach sechs Monaten einen neuen Job. Wie viele Bewerbungen es dafür durchschnittlich braucht, ist schwierig zu sagen, denn man kann ja Hunderte von Bewerbungen versenden, aber darunter sind nur einige wenige treffende Bewerbungen. Eines ist aber sicher: Je höher der Job in der Hierarchie angesiedelt ist, desto mehr Interviews müssen geführt werden. 

Eine Aussage von Ihnen lautet: «Die Art und Weise, wie gekündigt wird, hat einen entscheidenden Einfluss auf die Verarbeitung der Situation und die berufliche Zukunft.» Was könnten Führungskräfte bei Kündigungsgesprächen besser machen?

Beim Überbringen der «schlechten Nachricht» meinen es Führungskräfte oft gut, machen es dann aber schlecht. Denn intuitiv macht es eine Führungskraft leider meist so, wie es für sie selbst am besten ist, und nicht, wie es für den zu Entlassenden am besten wäre. Es ist aber auch sehr schwierig, sich in die Rolle eines Mitarbeitenden zu versetzen, dem gekündigt wird. Intuitiv werden zum Beispiel Leute zum Wochenende hin am Freitag entlassen, denn der Vorgesetzte fühlt sich am besten damit. Die Führungskraft geht leicht und locker in ihr Wochenende, doch der Entlassene muss das ganze Wochenende mit dieser Nachricht verbringen und kann bis am Montag praktisch nichts unternehmen. Ein weiteres Beispiel: Die Kündigung in einem schönen Café auszusprechen, ist nur für den Vorgesetzten gut. Er fühlt sich geschützter, denn er ist in einem öffentlichen Raum. Dem Gekündigten wäre aber in einer solchen Situation sicher ein geschützter Privatraum lieber, zum Beispiel das Büro des Chefs. Und noch ein Punkt: Vorgesetzte sprechen eine Kündigung lieber am Ende des Tages aus, weil sie den ganzen Tag haben, um sich darauf vorzubereiten. Aber damit nehmen sie dem Entlassenen die Chance, die Kündigung während des Tages zu verarbeiten und sich selbst auf den Weggang vorzubereiten, sich von Kollegen zu verabschieden oder auch schon den Arbeitsplatz zu räumen.  

Zur Person

Caroline Pfeiffer Marinho ist seit Anfang 2015 Country Manager von Lee Hecht Harrison (LHH) Schweiz. Sie verfügt über einen MBA in Marketing und Hochschulabschlüsse sowohl in Werbung und Kommunikation als auch in Psychologie. Nach 12 Jahren Erfahrung im Bereich Geschäftsentwicklung in der brasilianischen Finanzdienstleistungsbranche stiess sie 2009 als Consultant zu LHH und wurde 2010 zum Director Sales & Marketing für die Region Lateinamerika berufen. Zudem war sie Leiterin der Bereiche Berufl iche Neuorientierung und Changemanagement bei LHH in Brasilien und trug somit die Gesamtverantwortung für die dortige Ertragslage in diesen Bereichen. In ihrer Funktion war sie dafür verantwortlich, lokale Geschäftsstrategien zu entwickeln sowie Innovations- und Wachstumsquellen zu  erschliessen. Bei der Leitung der Bereiche Berufl iche Neuorientierung und Changemanagement arbeitete sie vor allem daran, die Vorreiterrolle des Unternehmens, Methoden der Kundenbetreuung und Möglichkeiten der Leistungserbringung weiter auszubauen. LHH wurde 1974 gegründet und ist heute welt- und schweizweit führend im Outplacement und in der Entwicklung von Führungskräften und Mitarbeitenden. Als einziger Anbieter ist LHH in der gesamten Schweiz tätig und unterhält vier Standorte in der Deutschschweiz, drei in der Romandie und zwei im Tessin.

www.lhh.ch

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